Nach Schimmel-Skandal Wilke-Wurstfabrik wird für Gemeinde Twistetal zur Kostenfalle
Vor drei Jahren machte Wilke Wurstwaren bundesweit Schlagzeilen mit Gammelfleisch. Das Unternehmen ging insolvent, die Gemeinde Twistetal kaufte schließlich das Gelände samt Fabrik. Doch damit scheint sie sich übernommen zu haben.
Seit Herbst 2019 ist es still in den Fabrikhallen von Wilke Wurstwaren in Twistetal-Berndorf (Waldeck-Frankenberg). Nachdem die Produktion aufgrund erheblicher Hygienemängel gestoppt wurde und die Firma insolvent ging, lag das Gelände monatelang verlassen da. Doch inzwischen dröhnt wieder Lärm aus dem Gebäude – die Abrissarbeiten haben angefangen.
Wohnraum auf Fabrikgelände
2020 hatte Twistetal entschieden, die Fabrik samt Gelände zu kaufen. Die Gemeinde will das 30.000 Quadratmeter große Gelände für Wohnhäuser und Kleingewerbe verwenden. Unter anderem soll dort altersgerechter und barrierefreier Wohnraum geschaffen werden, um den Gemeindeteil Berndorf aufzuwerten.
Pläne, von denen Bürgermeister Stefan Dittmann (FDP) immer noch überzeugt ist. Doch inzwischen ist klar, dass die Kosten für die 4.000-Seelen-Gemeinde ohne Unterstützung nicht zu stemmen sein werden.
Fördergelder nötig
Die geschätzten Kosten für einen vollständigen Rückbau liegen laut dem Bürgermeister bei rund sieben Millionen Euro. "Bei einem Haushaltsvolumen von zehn Millionen Euro im Jahr wird das der Gemeinde Twistetal aber nicht gelingen", sagt er. Der Gemeindevertretung sei die entstehende finanzielle Belastung damals schon bewusst gewesen, erinnert sich Dittmann. Trotzdem habe sie dafür gestimmt, das Gelände für rund 500.000 Euro zu kaufen.
Damit die Gemeinde ihre Pläne noch umsetzen könnte, wäre sie nun auf weitere Fördergelder angewiesen. Das Land Hessen schoss bisher rund 1,25 Millionen Euro zu. Mit diesem Fördergeld würden die laufenden Arbeiten finanziert, erklärt Dittmann. Ziel sei es, den ältesten Gebäudeteil abzureißen und den Anbau aus den 1980er Jahren von sämtlichen Altlasten zu befreien. "Wir haben noch einen sehr weiten Weg vor uns."
Aufwendige Entkernung
Stadtentwickler Jörg Albin beschreibt die Beseitigung der Altlasten als besonders zeit- und kostenintensiv. Man habe vorab lediglich schätzen können, was auf einen zukomme. Die Realität sehe dann doch anders aus. Rohre, Dämmungen und ein Großteil der Böden enthielten Schadstoffe wie Asbest, zählt Albin auf. Eine weitere Herausforderung seien die Kühlhäuser, die Räucheröfen und das Klärwerk auf dem Gelände – all das müsse gesondert entsorgt werden. Das alles verteuere das Projekt, ebenso wie die gestiegenen Preise beispielsweise für Diesel.
Im Januar oder Februar soll die Schadstoffentkernung abgeschlossen sein, dann beginnt der Abriss des einen Gebäudeteils. Der andere Teil soll bis dahin in den Zustand eines Rohbaus gesetzt worden sein. "Wir haben entschieden, den Rohbau stehen zu lassen, sodass ein zukünftiger Investor entscheiden kann, ob er Teile davon verwendet", erklärt Albin das Vorhaben.
Zukunft der Fabrik ungewiss
Wie geht es dann weiter? Bürgermeister Dittmann kann darauf keine konkrete Antwort geben. "Wir werden versuchen, das Ganze zu projektieren. Vielleicht gibt es auch andere Nutzungswege für die Zukunft. Möglicherweise kommt dann doch eine gewerbliche Nutzung in Frage", sagt Dittmann.
Ursprünglich hatte sich die Gemeindevertretung gegen ein solches Vorhaben ausgesprochen, man wollte keine reine Gewerbefläche mehr mitten im Ort haben. Aus diesem Grund wurde sogar einem Interessenten abgesagt, der die Firma übernehmen und für sein Gewerbe nutzen wollte.
Offene Ansprüche der Belegschaft
Nicht nur auf dem alten Gelände des Wurstherstellers steht noch viel Arbeit an. Auch für die ehemaligen Arbeitnehmer ist das Kapitel Wilke nicht abgeschlossen, wie Andreas Kampmann von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sagt. Rein rechnerisch hätten manche noch finanzielle Ansprüche gegenüber Wilke.
"Es gibt Abfindungsansprüche eines jeden Arbeitnehmers. Aber es ist kein Geld da", beschreibt Kampmann die Situation. Hoffnung, dass noch Geld fließen könnte, würde er niemandem machen.
Doch auch ein weiterer Aspekt beschäftige die ehemaligen Beschäftigten, führt Kampmann weiter aus. Vielen könnten nicht nachvollziehen, warum der damalige Geschäftsführer strafrechtlich bislang ohne Konsequenzen davonkam.
Ermittlungen laufen weiterhin
Die Staatsanwaltschaft antwortete im Oktober auf Nachfrage des hr, dass das Ermittlungsverfahren laufe und dass es wegen des Umfangs der zu prüfenden Beweismaterials dauere. Ermittelt wird demnach wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, fahrlässigen Körperverletzung, des Verstoßes gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) sowie des gewerbsmäßigen Betruges. Zudem bestehe ein Anfangsverdacht der Insolvenzverschleppung. An diesem Stand habe sich nichts geändert, hieß es auf Nachfrage.
Obwohl der eigentliche Skandal um die Wilke-Wurst ein paar Jahre zurückliegt, ist das Kapitel also noch längst nicht abgeschlossen. Was letzten Endes aus den Fabrikhallen und dem Gelände wird – das wird die Zukunft zeigen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 25.11.2022., 19.30 Uhr
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