Nach tödlichem Unfall in Darmstadt Forderungen nach mehr Sicherheit für Fahrradfahrer
Wie können Fahrradfahrer vor schweren Unfällen bewahrt werden? Nach dem Tod einer Radfahrerin in Darmstadt fordern Experten erneut Sicherheitssysteme für Lkw und Autos. Vor allem fehle Platz für Radler.
Nach dem schweren Unfall, bei dem am Mittwoch in Darmstadt eine Fahrradfahrerin von einem Lkw überfahren und tödlich verletzt wurde, sind Forderungen nach mehr Schutz für Radfahrer im Straßenverkehr laut geworden.
Die 30 Jahre alte Fahrradfahrerin hatte nach Angaben der Polizei an einer roten Ampel an einer Kreuzung am Cityring auf einer Linksabbiegerspur vor dem Tanklaster gestanden. Als die Ampel auf Grün sprang, habe der Lkw-Fahrer sie erfasst.
Diese Stelle hatten die Stadtverordneten in Darmstadt bereits als gefährlich identifiziert und beschlossen, einen abgetrennten Radstreifen zu bauen. Das Vorhaben wurde noch nicht umgesetzt. Unklar ist, ob das den Unfall hätte verhindern können.
Abbiege-Assistent nicht für ältere Fahrzeuge
Der sogenannte tote Winkel beim Lkw ist trotz moderner Spiegel- und Kameratechnik für Radfahrer immer noch potenziell lebensgefährlich. Elektronische Abbiege-Assistenten sollen das ändern. Sie überwachen mittels Sensoren die Bereiche vor und neben dem Lkw.
Das System erkennt Radfahrer oder Fußgänger im direkten Umfeld eines Fahrzeugs und warnt den Lkw-Fahrer beim Abbiegen - zum Beispiel akustisch oder optisch. Der Abbiege-Assistent verhindert gegebenenfalls, dass der Laster anfährt. Reagiert der Fahrer nicht, kann es eine Bremsung einleiten.
Das Problem: Es gibt keine Pflicht, den Assistenten installiert zu haben. Zwar sind Abbiege-Assistenten laut EU-Verordnung seit Juli vergangenen Jahres für neue Fahrzeugtypen und ab Juni 2024 für neue Fahrzeuge verpflichtend. Aber ältere Fahrzeuge müssen nicht nachgerüstet werden.
Fahrradclub fordert Warnsensoren an Autotüren
Unfallexperte Siegfried Brockmann vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sagte am Donnerstag, er sehe auch die Autoindustrie in der Pflicht: Warnsensoren könnten Türen blockieren, damit keine vorbeifahrenden Radler so erfasst würden.
Solche Assistenzsysteme zur Vermeidung von sogenannten Dooring-Unfällen müssten verpflichtend werden - das forderte der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC). Ende August vergangenen Jahres wurde eine Frau in Frankfurt bei einem Dooring-Unfall getötet.
2021 in Frankfurt 67 Dooring-Unfälle
Der ADFC geht nach einer Auswertung von 2013 bis 2022 bundesweit von im Schnitt drei tödlichen Dooring-Unfällen pro Jahr aus. Die Stadt Frankfurt zählte 2021 insgesamt 67 solcher Unfälle, 2017 seien es noch 155 gewesen. In Wiesbaden gab es einen Anstieg von sieben Unfällen 2015 auf zwölf im Jahr 2021, wie das Verkehrsdezernat mitteilt.
Es handelt sich nicht um die häufigste Unfallart für Radfahrer, jedoch um eine, der sie kaum vorbeugen können. Auch vorausschauendes Fahren stoße hier an seine Grenzen, sagt Unfallexperte Brockmann: "Ein Radfahrer mit 20 Stundenkilometern hat einen Bremsweg von rund elf Metern. Das heißt, er müsste fast drei Wagenlängen vorausschauen."
Experte: Holländischer Griff höchstens zusätzlich sinnvoll
Die Vermeidung liege auf Seite der Autofahrer, sagte Brockmann. Wichtig sei, dass die Fahrerin oder der Fahrer immer in den Seitenspiegel schaue vor dem Aussteigen. Der in Informationskampagnen beworbene sogenannte Holländische Griff sei höchstens zusätzlich sinnvoll.
Bei diesem Griff öffnen Autofahrer die Tür mit der rechten statt mit der linken Hand. Dazu müssen sie sich ein Stück weit umdrehen und, so die Hoffnung, Radfahrer entdecken, bevor sie die Tür öffnen. Doch man müsse sich nicht einmal um 90 Grad drehen, um den Griff mit der rechten Hand zu erreichen, gab Brockmann zu bedenken.
Als Gegenmaßnahme müssten Straßen umgeplant werden, um Radfahrer mit ausreichendem Abstand an parkenden Autos vorbeizuführen. Nötig sei ein Trennstreifen von mindestens 75 Zentimetern, der mindestens in allen Fahrradstraßen vorhanden sein müsse, forderte der Unfallexperte. Markierungen müssten ausreichend klar stellen, dass es sich um einen Trennstreifen handele und nicht um den Radweg.
Sicherheitsstreifen von mindestens 50 Zentimetern
In Frankfurt werde an der Reduzierung potenzieller Gefahrenstellen gearbeitet, sagte Stefan Lüdecke, Referent im Mobilitätsdezernat. Bei Neuplanungen und Sanierungen werde ein Trennstreifen geschaffen. Zudem lege die Stadt baulich getrennte Radwege an. Stellenweise würden auch Parkplätze abgeschafft, um die Sicherheit zu erhöhen, bis eine andere Möglichkeit umgesetzt werden könne. Das gelte für die Stelle an der Taunusanlage, an der vergangenen Spätsommer die Radfahrerin tödlich verletzt wurde.
Auch Wiesbaden hat das Thema im Blick, wie das Verkehrsdezernat mitteilte. Aktuell würden 50 Zentimeter Sicherheitsstreifen empfohlen, dies werde bei Neuplanungen von Radverkehrsanlagen berücksichtigt. Wo möglich, seien es mindestens 75 Zentimeter. Auch Markierungen würden aufgebracht, um Radfahrer und Autofahrer aufmerksam zu machen.
ADFC: Zu enges Überholen konsequent ahnden
ADFC-Landesgeschäftsführer Sofrony Riedmann sagte, Aufklärung sei gut, habe aber auch Grenzen, wenn etwa Kinder Autotüren öffneten. Entscheidend sei der Ausbau der Infrastruktur, die Radfahrerinnen und Radfahrern ausreichend Platz und Sicherheit bieten müsse. Nötig seien mindestens 75 Zentimeter Trennstreifen zu Parkplätzen. Falschparken auf Geh- und Radwegen und zu enges Überholen müssten konsequent geahndet werden.
Sendung: hr4, hessenschau, 16.03.2023, 14.30 Uhr
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