Unwetter im Landkreis Kassel "Es wird keinen hundertprozentigen Schutz geben"
Nach den heftigen Unwettern in Nordhessen gab es Zusammenhalt, viele helfende Hände - aber auch Kritik. Vize-Landrätin und Ex-Feuerwehrfrau Silke Engler sagt, wie sich Kommunen künftig besser wappnen wollen und was jeder Einzelne tun kann.
Erst wälzen sich Anfang August Schlammlawinen durch Gottsbüren, einen Ortsteil von Trendelburg (Landkreis Kassel). Nur wenige Wochen später sorgen Starkregen und Sturm im rund 25 Autominuten entfernten Reinhardshagen für vollgelaufene Keller und abgedeckte Dächer. Die Verwüstung sieht man noch Wochen später.
Wie können sich Kommunen künftig besser vor Unwetterereignissen schützen? Wie belastend sind die Einsätze für Rettungskräfte, und warum dauert es so lange, bis Schutzmaßnahmen greifen? Silke Engler (SPD) ist Vize-Landrätin des Landkreises Kassel. Sie war von 2018 bis 2021 Bürgermeisterin der Stadt Baunatal und selbst jahrelang bei der Feuerwehr.
hessenschau.de: Wie gut sehen Sie Gottsbüren für die Zukunft aufgestellt?
Silke Engler: Alle Kommunen sind mitten im Umbauprozess, den die Klimaveränderung mit sich bringt. Wir schauen, welche Veränderungen wir an Fließgewässern, in Wäldern oder an Versickerungsflächen noch vornehmen müssen.
Das wird uns in den nächsten Monaten und Jahren weiter beschäftigen. Aber es wird leider keinen hundertprozentigen Schutz geben können.
hessenschau.de: Wie sieht dieser Umbauprozess konkret aus?
Engler: Viele Kommunen, die an Fließgewässern liegen, sorgen dafür, dass der Bach nach Starkregenereignissen gut fließen kann. Dafür braucht es sogenannte Retentionsflächen, also Flächen zur Ausbreitung. Diese Prozesse dauern lange.
Die Stadt Baunatal und die Gemeinde Schauenburg haben das in einem 20 Jahre dauernden Prozess gemeistert und mit umfangreichen europäischen Fördergeldern einen Hochwasserschutz eingerichtet.
In Hessen sind die Gemeinden zuständig für den Hochwasserschutz. Unterstützung gibt es dabei vom Land, so werden beispielsweise Planungsdaten zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus werden Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser gefördert. Im Schnitt investiert das Land 16 Millionen Euro, ein Großteil davon entfällt auf kommunale Vorhaben.
Geschädigte haben derweil Chancen auf Finanzhilfen. Rückwirkend zum 1. Juli wurde die Elementarschäden-Richtlinie des Landes Hessen neu gefasst. Auch forst- und fischereiwirtschaftliche Betriebe. Die Frist für den Antrag endet am 6. Oktober.
Hochwasser-Zuständigkeit und Finanzhilfen für Geschädigte
In Hessen sind die Gemeinden zuständig für den Hochwasserschutz. Unterstützung gibt es dabei vom Land, so werden beispielsweise Planungsdaten zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus werden Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser gefördert. Im Schnitt investiert das Land 16 Millionen Euro, ein Großteil davon entfällt auf kommunale Vorhaben.
Geschädigte haben derweil Chancen auf Finanzhilfen. Rückwirkend zum 1. Juli wurde die Elementarschäden-Richtlinie des Landes Hessen neu gefasst. Auch forst- und fischereiwirtschaftliche Betriebe. Die Frist für den Antrag endet am 6. Oktober.
Es gehört aber auch dazu, dass Menschen sensibler werden. Deshalb fordern wir Anlieger immer wieder auf, nichts an den Bächen zu lagern, was im Falle eines Hochwassers den Abfluss behindert.
hessenschau.de: Braucht es noch größere Maßnahmen, damit Orte wie Gottsbüren bei so starken Regenfällen in Zukunft geschützt sind?
Engler: Jede Kommune muss sich ihre Ortschaften genau anschauen. In Gottsbüren war das Fließgewässer nur Teil des Problems. Das Wasser und der Schlamm sind auch den Hang heruntergekommen. Wir wissen, dass der Wald unter Hitzestress leidet, deshalb müssen Eigentümer wie Hessenforst schauen, wie der Wald weiter umgebaut werden kann.
Es ist eine Aufgabe, die alle staatlichen Ebenen betrifft und wir können nicht aufhören, uns damit zu beschäftigen. Auch wenn wir Schutz für ein 100-jähriges Hochwasser haben, wer sagt uns, dass das in 50 Jahren noch reicht? Die extremen Klimaveränderungen werden weiter zunehmen.
hessenschau.de: Ist es nicht ein grundlegender Fehler, dass an solchen Stellen überhaupt noch Häuser gebaut werden?
Engler: Die Siedlung Gottsbüren gibt es schon sehr lange, es ist ein gewachsener Ort. Die Klimaveränderung zeigt, dass sich neue Gefahren auftun.
Früher hat es auch geregnet. Die Gottsbürener haben berichtet, dass sie immer mal wieder Hochwasser hatten. Das ist also nichts Ungewöhnliches, aber diese extremen Niederschläge, diese Extremwetterereignisse, die sind neu.
Deshalb werden wir keine Siedlung schließen und die Menschen umsiedeln, aber wir müssen einfach schauen, was möglich ist. Dazu muss jeder entscheiden, ob er mit dem Restrisiko, was bleiben wird, gut leben kann oder ob er woanders leben möchte.
hessenschau.de: Sie waren selbst jahrelang Feuerwehrfrau. Wie sehr belastet solch eine Lage die Einsatzkräfte?
Engler: Wenn sich Einsätze wie jetzt in Gottsbüren oder Reinhardshagen häufen, dann geht das über die Kräfte der Retter hinaus. Darauf müssen wir achten. Wichtig ist, dass man die Katastrophenzüge tauscht und immer nur eine begrenzte Zeit einsetzt. Und wir müssen die Feuerwehren gut ausstatten, damit die Kameradinnen und Kameraden gut vorbereitet sind.
Sie sind tagtäglich bei Notlagen, Bränden und Verkehrsunfällen im Einsatz und werden dann im Katastrophenfall zusätzlich hinzugezogen. Bei solch außergewöhnlichen Ereignissen sind das nicht nur eine oder zwei Stunden, sondern mehrere.
Es ist harte Arbeit, Keller auszupumpen. Ich habe das als Feuerwehrfrau oft gemacht, hinterher ist man schlagkaputt. Doch so ein Einsatz setzt viele Kräfte frei, weil man davon getrieben ist, helfen zu wollen.
hessenschau.de: Wer ist dafür verantwortlich, dass die Auswirkungen zuletzt so drastisch waren?
Engler: Es wird nicht gelingen, jemanden zu finden, der ein Versäumnis begangen hat. Wenn man es philosophisch betrachtet, sind wir Menschen schuld. Wir brauchen wieder mehr Demut vor der Natur und vor unserer Erde.
Wir sind diejenigen, die versiegeln, wir sind diejenigen, die alle ein Auto haben wollen, wir sind diejenigen, die für ihr Smartphone ständig Energie brauchen. Wenn wir alle einmal schauen, was wir verändern können, ist das schon viel.
hessenschau.de: In Fulda gibt es ein Frühwarnsystem, das bei starken Regenfällen Alarm schlägt. Kann so etwas auch im Kreis Kassel helfen?
Engler: Durch die Apps "Hessenwarn" und "Katwarn" gehen die Unwetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes raus. Wenn wir in der Leitstelle merken, dass sich eine Situation zuspitzt, dann gibt es eine zusätzliche Sirenenwarnung und eine Warnung durch Cell Broadcasting.
Bei dem Unwetter Anfang August haben wir das genutzt, als das Regenrückhaltebecken in Hofgeismar-Hombressen überzulaufen drohte.
hessenschau.de: Bestenfalls bleibt jetzt ein knappes Jahr Zeit, bis die Unwetter-Saison wieder startet. Was wollen Sie bis dahin erreicht haben?
Engler: Auf Kreisebene sprechen wir regelmäßig mit den Bürgermeistern, dafür gibt es feste Termine. Wann die Kommunen für sich entschieden haben, was notwendig ist und ob bereits entsprechende Schritte eingeleitet wurden, kann ich nicht sagen.
Jetzt wird es auch unser Job sein, immer wieder an die Nacht des 2. August zu erinnern, um aufzuzeigen, was passieren kann.
Hinweis: Das Interview mit Vize-Landrätin Silke Engler wurde vor der Kamera geführt und für die Textversion gekürzt, redigiert und autorisiert.
Ende der weiteren Informationen