Freizeit, Events, Hilfe Wie die Stadt Kassel Jugendliche mit einer App erreichen will
Boah, Alter - noch ne App?! Nach dem Vorreiter aus dem Werra-Meißner-Kreis hat auch die Stadt Kassel eine App für Jugendliche an den Start gebracht. Aber kann so etwas gegen TikTok, Snapchat, Insta & Co. überhaupt anstinken?
Ganz oben in der App ein Waschbär - immerhin das inoffizielle Wappentier Kassels - dazu orange und lindgrüne Buttons. Die Jugendapp ist auf den ersten Blick richtig modern, auf den zweiten bietet sie Infos zu unterschiedlichen Kategorien, zum Beispiel "Hilfe und Beratung", "Events" und "Neue Projekte", bei denen man sogar mitbestimmen kann.
Eine kleine hr-Umfrage unter 16- bis 19-Jährigen zeigt: Die App ist noch nicht bekannt, stößt aber auf reges Interesse. Beim Scrollen durchs App-Angebot bleiben Laura, Caesar, Pepe und Raphael immer wieder hängen. Die App sei "eine coole Idee, wenn man nicht so viele Kontakte hat", sagt Pepe und eine sichere Quelle, gerade wenn man auf der Suche nach Hilfsangeboten sei, eben weil sie von der Stadt und somit "offizieller daherkommt" als eine eigene Google-Suche, meint Caesar.
Jugendliche an App-Entwicklung beteiligt
Die App der Stadt Kassel ist im Rahmen des Jugendaktionsprogramms "Zwischen Einbringen und Ausprobieren – Beteiligung und (Frei‐)räume für Partizipation und Demokratie" vom Hessischen Ministerium für Integration und Soziales entstanden.
Thomas Reuting vom Jugendamt in Kassel hat die Entwicklung von Beginn an begleitet: Jugendliche und junge Erwachsene hätten Inhalte, Aufbau und Funktionen in mehreren Beteiligungsphasen mitbestimmt und so "ihre eigene App gestaltet", berichtet Reuting.
Anfang 2023 hatten 2.000 Menschen aus der Zielgruppe an einer Online-Befragung zum Thema “Was wünschst du dir für eine Jugendapp in Kassel” teilgenommen. Jetzt ist sie in den App-Stores unter "Jugendapp" verfügbar. Das Angebot richte sich an junge Menschen aus Kassel und Umgebung, aber auch an die, die zu Besuch in die Stadt kommen, so Reuting.
Inhalte an Bedürfnissen orientiert
Auf den Erkenntnissen aus der Befragung wurde die App programmiert, die nun stetig getestet und weiterentwickelt wird. Die Inhalte der Jugendapp orientieren sich an den Bedürfnissen und Wünschen aus der Umfrage sowie den laufenden Rückmeldungen.
Dabei habe sich gezeigt, dass vor allem eine Übersicht über kostenfreie Events in Kassel bei den Befragten hoch im Kurs steht, so Reuting. Zudem Infos zu Anlaufstellen, wo junge Menschen Hilfe und Beratung finden können. Dabei liegt der Hauptfokus der App auf kostenfreien Angeboten.
Der 19 Jahre alten Laura aus Kassel ist der Button für Hilfsangebote gleich aufgefallen. Es sei vor allem für Mädchen in Notsituationen sehr schwer, wirklich Hilfe zu finden, meint die Abiturientin. Die App biete einen Überblick - ohne dass man gleich mit jemandem reden müsse, fasst sie den Vorteil zusammen.
"Jugendliche haben Informationsdefizit"
Doch welchen Nutzen haben Jugendapps für Städte und Kommunen? Sie böten einen niedrigschwelligen Zugang zu Informationen und seien zeitlich und räumlich flexibel nutzbar, so Katrin Peyerl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaften an der Phlipps-Universität in Marburg. Zudem hätten sie ein hohes Maß an Informations- und Vernetzungspotenzialen.
Peyerl hat das Jugendaktionsprogramm des Ministeriums begleitet. Aus ihrer Sicht hätten Jugendliche häufig ein Informationsdefizit: So wüssten sie nicht, welche Angebote es gebe, wann und wo welche Events stattfänden oder an wen sie sich mit Fragen wenden könnten.
Eine gut gemachte Jugendapp hält Peyerl für eine sinnvolle Methode, um eine breitere Gruppe an Jugendlichen zu erreichen und teilhaben zu lassen.
"Es ist auf jeden Fall schön, wenn ich mitentscheiden kann, was mit meiner Stadt passiert", sagt Raphael zur Möglichkeit der Mitbestimmung an der Kasseler App. Allerdings ist der 16-Jährige unsicher, ob die App wirklich viele Leute erreichen wird. Es gebe einfach zu viele Konkurrenzangebote, die auf Plattformen wie Instagram bereits etabliert seien. Die Idee an sich findet er "auf jeden Fall super".
Baustein für jugendgerechteren Werra-Meißner-Kreis
Vorreiter in Sachen Jugendapp ist der Werra-Meißner-Kreis. Im Juni 2023 wurde dort ein solches Angebot offiziell freigeschaltet, seitdem haben es knapp 1.000 Menschen heruntergeladen. Hier setzt man auf denselben Schweizer App-Anbieter wie die Stadt Kassel. Der bietet eine Basis, auf der die Städte individuell ihre Schwerpunkte wie bei einem Baukastensystem zusammenstellen können.
Ausgangspunkt für den Launch der WMK-App war die Forderung Jugendlicher nach einer Jugendapp im Rahmen eines Beteiligungsprozesses für einen jugendgerechteren Werra-Meißner-Kreis.
Dabei habe man erhoben, was Jugendliche im Kreis als "lückenhaft und nachteilig wahrnehmen und welche Veränderungen sie sich wünschen, um sich im Kreis wohler zu fühlen", erläutert ein Sprecher des Kreises. Damals wurden Bildung, Beteiligung, Mobilität, Freizeit, Jugendarbeit, Treffpunkte, Unterstützung und Digitalisierung als zentrale Themen genannt.
Jugendapp "kein Selbstläufer"
Die App sei allerdings kein Selbstläufer, sondern soll weiter beworben und aktuell gehalten werden. Wichtig sei, dass sie aktiv genutzt werde, so der Kreis-Sprecher. Und zwar "sowohl von Jugendlichen als auch denjenigen, die ihre Angebote für Jugendliche dort publik machen wollen".
Eine ursprünglich angedachte Mitarbeit von Jugendlichen in Form einer Jugendredaktion, die Inhalte von Jugendlichen für Jugendliche erarbeitet und in die App einpflegt, "konnte mangels Interesse leider nicht umgesetzt werden", so der Sprecher. Somit kümmert sich eine Agentur für Kommunikation und Film im Auftrag des Kreises um die Inhalte.
Aktualität als Herausforderung
Damit die Kasseler Jugendapp in der Zielgruppe relevant wird, ist das Engagement der Nutzer ausdrücklich erwünscht. Neben Rückmeldungen an das Jugendapp-Team gibt es die Möglichkeit, an Umfragen teilzunehmen oder eigene kleine Beiträge zu verfassen.
Erziehungswissenschaftlerin Peyerl sieht vor allem in der Aktualität der Apps eine Herausforderung. Dies könne nicht in Eigenverantwortung durch Jugendliche funktionieren, sondern brauche "pädagogische Begleitung und Bekanntheit in diversen gesellschaftlichen Feldern". Hier müssten Erwachsene die Verantwortung übernehmen, Angebote und Infos einzustellen und zu aktualisieren. Diese müssten die Jugendlichen "mit ihren Anliegen ernstnehmen", betont Peyerl.
Das ist mit der Jugendapp offenbar gelungen - auch wenn die Bewerbung jetzt erst richtig losgeht. Laura, Caesar, Pepe und Raphael sind sich einig: super Idee, hilfreiche Infos - und der Waschbär zeigt auf den ersten Blick, worum es hier geht: nämlich um die eigene Stadt Kassel.
Sendung: hr3, 29.04.2023, 08:30 Uhr
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