Landgericht Kassel Neuer Prozess gegen falsche Ärztin aus Fritzlar begonnen
Jahrelang arbeitete sie als Ärztin in Fritzlar – ohne Abschluss. Drei Patienten starben. Nach einer Revision steht die 54-Jährige nun erneut in Kassel vor Gericht. Am ersten Prozesstag sagten eine enge Freundin und eine Ex-Kollegin aus – ihre Aussagen hätten kaum gegensätzlicher sein können.
Meike S. hält sich beim Betreten des Gerichtssaals einen Aktenorder vor das Gesicht. Ihre schwarze Winterjacke zieht sie den ganzen Vormittag nicht aus, obwohl es warm ist im Saal E 221 im Landgericht Kassel.
Hier hat am Montag ein neuer Prozess gegen die Frau begonnen, die sich jahrelang fälschlicherweise als Narkoseärztin ausgegeben hat. Sie soll durch Behandlungsfehler den Tod von drei Menschen verschuldet haben. Für die sieben Verhandlungstage sind insgesamt 36 Zeuginnen und Zeugen sowie vier Sachverständige geladen.

Gericht muss über Tötungsvorsatz entscheiden
Diese sollen im Kern Angaben dazu machen, wie sich Meike S. während ihrer Zeit im Krankenhaus verhalten hat. Stephan Schwirzer, Sprecher der Staatsanwaltschaft Kassel, erklärte, es gehe darum, herauszufinden, welche Persönlichkeit Meike S. hat und ob sie einen Tötungsvorsatz hatte.
Beim Prozessbeginn wirkt Meike S. fast teilnahmslos, ihr Gesicht ist hinter den langen blonden Locken verborgen.
Mit gefälschter Approbationsurkunde praktiziert
Die heute 54-Jährige hatte sich mit einer gefälschten Approbationsurkunde eine Anstellung als Narkoseärztin am Hospital zum Heiligen Geist in Fritzlar (Schwalm-Eder) erschlichen.
Dort war sie seit Ende 2015 als Ärztin tätig und übernahm ab 2016 auch Aufgaben als Narkoseärztin bei Operationen. Bei etwa 500 Patientinnen und Patienten leitete sie die Narkose ein. Nach Überzeugung der Anklage starben drei Patienten infolge ihrer Behandlungsfehler, andere erlitten schwere Schäden.
Freundin über Meike S.: "Wunsch nach Arzt-Sein"
Zu Beginn der Verhandlung am Montag betrat die Mutter von Meike S. den Zeugenstand. Sie verweigerte jedoch eine Aussage. Ihre bis dahin teilnahmslos wirkende Tochter warf ihr Küsse zu. Danach sagten erst eine enge Freundin und dann eine ehemalige Arbeitskollegin aus. Ihre Schilderungen über Meike S. konnten kaum unterschiedlicher sein.
Die Freundin erzählte, sie habe Meike S. Ende der 1990er-Jahre in einem Fitnessstudio kennengelernt und zunächst eine enge Freundschaft zu ihr aufgebaut. Sie zeichnete das Bild einer Frau, die vom "Wunsch nach Arzt-Sein" angetrieben sei. Sie habe sich zwar gewundert, als Meike S. plötzlich ein Examen hatte, dies aber "geschluckt".
Ihre Freundin beschrieb sie als lustig, hilfsbereit und loyal - aber auch als eine, die jede Emotion auslebe, "im Guten wie im Schlechten". Noch heute habe sie Kontakt zu Meike S. Diese schäme sich für das, was passiert sei.

"Spektakulären Erzählungen" über angeblichen Einsätze
Eine ehemalige Kollegin, die mit Meike S. am Bildungszentrum des Klinikums Kassel arbeitete, berichtete von einer zunächst engagierten und motivierten Dozentin. Doch irgendwann sei es zu Konflikten mit Schülerinnen und Schülern gekommen. Diese hätten sich über zu komplexe und unverständliche Unterrichtsinhalte beschwert.
Zudem habe Meike S. Diagnosen anhand von Symptomen der Schüler gestellt. Das habe Unruhe verursacht, besonders weil die Angeklagte schwere Krankheitsbilder wie einen möglichen Hirntumor diagnostiziert habe.
Auffällig sei auch gewesen, dass Meike S. mit "spektakulären Erzählungen" über ihre angeblichen Einsätze als Notärztin aufgetreten sei. Dennoch habe sie die Kollegen am Bildungszentrum nie eindeutig wissen lassen, ob sie tatsächlich Ärztin sei.
Folgen billigend in Kauf genommen
Die Liste der Vorwürfe ist lang. Laut Staatsanwaltschaft dosierte die Angeklagte bei Operationen etwa Medikamente fehlerhaft, verzögerte ärztliche Maßnahmen bei Komplikationen oder unterließ sie. Die Frau habe die nachteiligen Folgen der Behandlungsfehler billigend in Kauf genommen, sagte der Staatsanwalt.
"Die Angeklagte wusste, dass sie nicht als Ärztin tätig werden durfte und nicht über die entsprechende Ausbildung verfügte", so die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage. Zudem sei ihr bewusst gewesen, dass es sich bei der Anästhesie um einen sehr eingriffsintensiven medizinischen Fachbereich handelt. Trotz der mehrfach aufgetretenen Probleme und Komplikationen habe sie ihre Tätigkeit fortgesetzt.
Übersteigertes Bedürfnis nach Anerkennung
Im Mai 2022 war die Angeklagte deshalb unter anderem wegen dreifachen Mordes und versuchten Mordes in zehn Fällen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Auch die besondere Schwere der Schuld stellte die 6. Große Strafkammer damals fest. Laut dem Urteil setzte die Frau aus einem übersteigerten Bedürfnis nach Anerkennung das Leben von Patientinnen und Patienten aufs Spiel.
BGH hob Urteil teilweise auf
Gegen das Urteil hatte die Angeklagte Revision eingelegt. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hob die Entscheidung teilweise auf, weil er unter anderem den Tötungsvorsatz nicht ausreichend begründet sah.
Außerdem habe das Gericht die Umstände, die gegen vorsätzliche Tötungen der Patienten sprechen, nicht ausreichend beachtet. Dazu gehören laut BGH die Persönlichkeitsstruktur und die Verhaltensauffälligkeiten der Angeklagten.
Doktorgrad wegen Plagiierens entzogen
Die Angeklagte sagte am ersten Verhandlungstag zunächst nichts zu den Vorwürfen, auch in dem ersten Prozess hatte sie sich nicht geäußert. Ihr Werdegang ist verschlungen: Mal studierte sie Biologie, mal Zahnmedizin. Sie absolvierte eine Heilpraktikerprüfung sowie zahlreiche Praktika.
Abschluss und Promotion erfolgten schließlich in Biologie. Der Doktorgrad wurde ihr von der Uni Kassel allerdings wegen Plagiierens wieder entzogen. Einen zweiten Doktortitel soll sie im Internet gekauft haben. Eine abgeschlossene Ausbildung als Ärztin hat die 54-Jährige nicht.
Die 10. Große Strafkammer des Landgerichts muss den Fall nun neu verhandeln und entscheiden. Das Gericht hat bis zum 30. April sechs weitere Verhandlungstermine anberaumt.