Plädoyers in Gießen Ayleen-Prozess: Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft
Im Prozess um den gewaltsamen Tod der 14-jährigen Ayleen haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers gehalten. Die Anklage fordert lebenslange Haft wegen Mordes und Sicherungsverwahrung. Die Verteidigung schließt sich an, zumindest weitestgehend.
Am Gießener Landgericht hielten am Montag Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers im Mordfall Ayleen. Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertretung forderten eine Verurteilung wegen Mordes und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.
Außerdem plädierten beide dafür, dass der Angeklagte Jan P. aus Waldsolms (Lahn-Dill) anschließend an eine lebenslange Haftstrafe in Sicherungsverwahrung kommt. Laut Staatsanwaltschaft steht fest, dass P. Ayleen getötet hat. Das hat er im Verfahren bereits zugegeben.
Als Mordmerkmale kämen sowohl die Befriedigung des Geschlechtstriebs als auch die Verdeckung einer Straftat in Frage, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger.
Staatsanwalt über Jan P.: "gleichgültig und ignorant"
Das Mädchen und der Mann kannten sich aus stark sexualisierten Chats in sozialen Netzwerken und einem Online-Spiel. Der Angeklagte sei "zum Feind in ihrem Chat" geworden, sagte Hauburger.
Er habe noch nie erlebt, dass jemand "so gleichgültig und ignorant" sei, wenn er ein Leben ausgelöscht habe, sagte Hauburger mit Blick auf den Angeklagten. Der Mann habe ein sexuelles Bedürfnis gehabt und dieses umgesetzt.
"Wenn dabei jemand stirbt, ist es ihm auf Deutsch gesagt scheißegal." Das sei es, was den 30-Jährigen so gefährlich mache.
Staatsanwalt rekonstruiert nochmals Tat
Hauburger rekonstruierte nochmals überblicksweise die Tathergänge aus Sicht der Anklage: Wie der Angeklagte im Internet "auf Jagd" nach verletzlichen Mädchen gegangen sei und Ayleen kontaktiert habe. Wie die 14-Jährige sich anfangs noch darauf einließ, später aber nicht mehr gewollt habe.
Wie der Angeklagte - ein mehr als doppelt so alter Mann - sie dann aber in der Hand hatte, psychischen Druck aufbaute, plötzlich in ihrem baden-württembergischen Heimatdorf stand und wollte, dass sie in sein stinkendes Auto stieg. Die blanke Todesangst, die Ayleen vermutlich gehabt habe, als er mit ihr in das Waldstück in Hessen fuhr.
Hauburger betonte: Es gebe klare Hinweise darauf, dass es sich nicht um eine Affekttat gehandelt habe, wie der Angeklagte es zum Prozessauftakt in einem schriftlichen Statement angedeutet hatte. "Jan P. ist ein Mörder", so der Staatsanwalt. Es könne zwar nicht erwiesen werden, dass er die 14-Jährige vergewaltigt habe. Das ändere aus Sicht der Anklage aber nichts daran, dass die ganze Tat sexuell motiviert gewesen sei.
Nebenklage: Eltern wollen aufklären
Die Nebenklagevertreterin Katja Ravat, schloss sich den Forderungen der Anklage an. Sie lenkte zudem den Blick auf das, was der furchtbare Verlust von Ayleen für ihre Familie bis heute bedeute.
"Viele Fragen werden wahrscheinlich für immer offen bleiben", sagte Ravat. Etwa, welches Leid die Tochter genau erfahren musste. Aber auch: Warum Ayleen sich ihnen nicht anvertraut habe und nicht die Reißleine gezogen habe. Und: Ob sie als Eltern mehr oder anders auf sie hätten eingehen können.
"Diese Fragen treiben die Familie rund um die Uhr um und sind auch der Motor, um hier teilzunehmen", so Ravat. Es gehe ihnen auch darum, medial aufzuklären. Denn: Ihre Tochter sei ein sogar überdurchschnittlich angepasstes Kind gewesen. Ayleen sei nicht durch wilde Partys aufgefallen, man habe sie sogar zu mehr Aktivität animieren wollen. Sie hätten die Gefahr nicht gesehen, so Ravat.
Die Eltern wollten deshalb andere Eltern dazu aufrufen, sich selbst technisch fit zu halten, mit ihren Kindern ins Gespräch zu gehen und Jugendliche gegebenenfalls auch mehr zu kontrollieren.
Familie kritisiert Gerichtsentscheidungen im Vorfeld
Mit Blick auf den Angeklagten sagte Ravat: Man frage sich, warum Schutzkonzepte und Sanktionen nicht gewirkt haben. Zudem kritisierte sie unter anderem die Umstände der Führungsaufsicht, die wenige Monate vor der Tat ausgelaufen war. Diese Entscheidung sei aus ihrer Sicht "mehr als fragwürdig" gewesen.
Ravat ist überzeugt: Der Angeklagte hätte dem damals zuständigen Landgericht Limburg ein ganzes Bündel an Gründen geliefert, die Aufsicht zu verlängern. Die Nebenklage-Vertreterin räumte zwar ein: Realistisch müsse man davon ausgehen, das P. auch unter Führungsaufsicht jemanden hätte töten können. Aber: Die Justiz sei ihrer Verantwortung hier nicht nachgekommen.
Verteidiger: "Er wird wegen Mordes zu verurteilen sein"
Die Verteidigung schloss sich in ihrem Schlussplädoyer in weiten Teilen der Anklage an, hatte aber "Kritik an einzelnen Punkten", wie es hieß. Verteidiger Henner Maaß sagte über den Angeklagten: "Es ist klar: Er wird wegen Mordes zu verurteilen sein."
Allerdings komme als Mordmerkmal aus seiner Sicht lediglich die Verdeckungsabsicht in Frage. Es sei nicht zu beweisen, dass P. versucht habe, Ayleen zu vergewaltigen oder sie tatsächlich vergewaltigt habe.
Die Verteidigung zog auch die beantragte Sicherungsverwahrung und die Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht in Zweifel. Aber: Die Schwere der Schuld könne nicht angenommen werden, unter anderem aufgrund des aus Sicht der Verteidigung nicht nachweisbaren sexuellen Motivs bei der Tötung.
Zudem kritisierte Maaß die Rolle des Anwalts, der P. noch bis Ende letzten Jahres vertreten hatte. Dieser war schon vorher dessen gesetzliche Betreuer gewesen. Dies habe zu einem Interessenkonflikt geführt und die Befragung - auf der entscheidende Aspekte der Begründung der Anklage aufbauen - sei für P. ungünstig verlaufen.
Angeklagter: "Es tut mir leid"
Am Schluss nahm P. überraschenderweise die Möglichkeit wahr, persönlich das Wort zu ergreifen. Das hatte er den gesamten Prozess über nicht getan.
"Ich schließe mich der Verteidigung an, und es tut mir leid", sagte er. Es war der erste vollständige Satz, den der Angeklagte in diesem fast dreieinhalb Monate andauernden Prozess gesagt hat.
Gutachter hält Angeklagten für schuldfähig
Der psychiatrische Gutachter, der im Prozess aussagte, sieht bei dem Angeklagten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen. Der Experte hält den 30 Jahre alten Tatverdächtigen zugleich für voll schuldfähig und sieht ein hohes Risiko, dass er weitere sexuell motivierte Tötungsdelikte begehen könnte.
Das Mädchen aus Baden-Württemberg soll von dem 30-Jährigen nach Hessen verschleppt worden sein. In einem Waldstück bei Langgöns-Cleeberg (Gießen) soll er versucht haben, die 14-Jährige zu vergewaltigen und sie schließlich erwürgt haben. Ihre Leiche wurde aus dem Teufelsee zwischen Echzell und Reichelsheim (Wetterau) geborgen.
Seit Mitte Juni muss sich der Mann unter anderem wegen des Verdachts auf Mord, versuchter Vergewaltigung mit Todesfolge und Nötigung vor Gericht verantworten. Das Urteil in dem Prozess soll am Donnerstagnachmittag fallen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 25.09.2023, 19.30 Uhr
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