Prozess im Fall Ayleen Angeklagter soll weitere Mädchen unter Druck gesetzt haben

Der mutmaßliche Mörder der Schülerin Ayleen hat nach der Tat offenbar weitere Mädchen kontaktiert. Vor dem Landgericht Gießen sagte ein Ermittler am zweiten Prozesstag, der Angeklagte habe eine 17-Jährige aufgesucht und sei bereits in ihrem Zimmer gewesen.

Mann mit Aktenordner, Anwalt mit Robe, Justizbeamter
Der heute 30-jährige Jan. P. mit seinem Verteidiger Henner Maaß Bild © Rebekka Dieckmann
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Am zweiten Prozesstag gegen den mutmaßlichen Mörder der Schülerin Ayleen geben zwei Kriminalpolizisten aus dem Lahn-Dill-Kreis einen Überblick über das, was passiert ist in den Tagen und Wochen rund um das Verschwinden der Schülerin aus dem baden-württembergischen Gottenheim am 21. Juli 2022.

Nach dem kurzen Prozessauftakt am Dienstag beginnt im Gießener Landgericht damit die Beweisaufnahme. Die Polizisten geben einen Abriss über ihre Ermittlungsarbeit und darüber, wie sich der Vermisstenfall innerhalb weniger Tage rasant weiterentwickelte: Von der Suche und Hoffnung, das Mädchen noch lebend zu finden, über die Verhaftung des Verdächtigen und den Fund der Leiche, bis schließlich zu seinem Geständnis.

Es geht um Zeugenaussagen, Datenanalyse, Durchsuchungen. Was war wann bekannt? Wer wurde wann eingeschaltet? Was sind gesicherte Fakten und wo gibt es bis heute Lücken?

Cybergrooming: System aus Druck und Angst

Vieles, was an diesem Tag gesagt wird, ist grundsätzlich bereits öffentlich, manches aber auch nicht. Zum Beispiel als es um das sogenannte Cybergrooming geht, das Jan P. bei Ayleen angewandt haben soll: Ein System aus Druck und Angst, um übers Internet an Nacktfotos und andere sexuelle Inhalte von Minderjährigen zu kommen - bis hin zum persönlichen Treffen.

Die Ermittler berichten: P. habe ein ähnliches Kommunikationsmuster noch bei mehreren anderen Mädchen angewandt – und das nicht nur vor, sondern sogar noch nach Ayleens Tod, also in der Woche zwischen ihrem Verschwinden und seiner Verhaftung.

Angeklagter suchte weiteres Mädchen auf

Demnach soll P. am Morgen des 22. Juli - nur wenige Stunden, nachdem er Ayleens Leiche in den Teufelsee geworfen haben soll - die Adresse einer 15-Jährigen aus Dresden in seine Navigationsapp eingegeben haben. Er fuhr zwar nicht dorthin, dafür aber wenige Tage später zu einem anderen Mädchen nach Sinsheim (Baden-Württemberg), mit dem er ebenfalls in Kontakt stand.

Die Ermittler berichten: P. habe die damals 17-Jährige zu Hause besucht und sei mit ihr aufs Zimmer gegangen, dort habe er sie zu Sex gedrängt. Passiert sei allerdings nichts, weil die Eltern der Jugendlichen zu Hause waren.

Kontakt mit Ayleen: Geld für Fotos

Auch über seine Kontakte mit Ayleen kommen an diesem Tag weitere Details zutage. Etwa, dass der Angeklagte Ayleen zunächst Geld angeboten haben soll im Gegenzug für Fotos von ihr. Von 700 bis 900 Euro sei in den Nachrichten die Rede gewesen. Er habe sich als eine Art "Sugar Daddy" vorgestellt, berichtet einer der Ermittler.

Dann habe P. den Druck Stück für Stück erhöht: Zunächst mit Drohungen, sich selbst etwas anzutun, dann ihren Angehörigen, dann ihr selbst. Als er schließlich mit dem Auto in ihr Dorf gefahren sei, habe er sie genötigt, zum Treffpunkt zu kommen. "Ich sage sonst deinem Vater, was du für eine bist", soll er geschrieben haben.

Aus den Chatprotokollen ergebe sich: Das Mädchen habe zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, in das Fahrzeug zu steigen. Ayleen habe klipp und klar gesagt: Ich komme, du gibst mir das Geld, ich gehe.

Spielzeugpistole im Handschuhfach

Ebenfalls eine neue Information an diesem Tag: Im Handschuhfach seines Autos fanden die Polizisten später eine Spielzeugpistole – täuschend echt aussehend, sagen die Ermittler. Ob sie zum Einsatz kam, ist unklar.

Noch immer unklar ist auch, ob es eine Vergewaltigung gab. Weil die Leiche eine Woche lang im Wasser trieb, konnte die Obduktion einen vollzogenen sexuellen Übergriff weder beweisen noch ausschließen. Angeklagt ist vor Gericht deshalb lediglich der Versuch.

Aber es gibt auch auffallend viele Fakten, die gesichert sind: P. und Ayleen wurden zum Beispiel gemeinsam in der Tatnacht im Auto an einer Raststätte gefilmt. In seiner Wohnung fanden die Ermittler ihre Kleidungsstücke, ihre Schülerfahrkarte, ihr immer noch eingeschaltetes Handy. Am nächsten Tag googelte P. nach der Tiefe des Teufelsees. Hinzu kommen viele Daten aus Chats und Bewegungsprotokollen.

Angeklagter bleibt rätselhaft

Jan P. hört sich das alles an. Er sagt auch an diesem zweiten Verhandlungstag nichts, zumindest nichts Hörbares. Insgesamt wirkt er aufmerksam, fokussiert auch immer wieder Menschen im Gerichtssaal direkt. Emotionen zeigt er dabei kaum – und wenn doch, dann sind sie rätselhaft. Er runzelt manchmal die Stirn, an ein paar Stellen grinst er leicht, murmelt etwas vor sich hin oder zu seinem Anwalt.

Was geht in seinem Kopf vor? Wie nimmt er die Dinge wahr? Sollte er weiter schweigen, wird darüber wohl erst das psychologische Gutachten Auskunft geben, das später noch im Prozess Thema werden soll.

Kommende Woche Montag wird die Verhandlung zunächst mit weiteren Zeugenaussagen fortgesetzt. Voraussichtlich wird auch Ayleens Mutter aussagen. Möglicherweise wird dann auch die Videoaufzeichnung seiner Befragung im September gesichtet werden. Dort soll P. das erstmals gestanden haben, Ayleen getötet zu haben.

Weitere Informationen

Sendung: hr-iNFO, 14.6.23, 16.20 Uhr

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Quelle: hessenschau.de