Prozess um AWO-Affäre in Wiesbaden 2.460 Euro pro Monat für die Bereitschaft zur Arbeit
Mehr als 50.000 Euro soll die Tochter eines ehemaligen CDU-Stadtverordneten von der Arbeiterwohlfahrt in Wiesbaden kassiert haben, ohne dafür zu arbeiten. Dafür stehen beide vor Gericht. Die Verteidigung argumentiert: Die heute 36-Jährige wollte ja arbeiten, durfte aber nicht.
2.460 Euro Bruttogehalt pro Monat, und das über einen Zeitraum von etwa drei Jahren: Das Gehalt, das sich die heute 36 Jahre alte Tochter des ehemaligen Wiesbadener CDU-Stadtverordneten Wolfgang Gores als Studentin in den Jahren 2016 bis 2019 dazu verdiente, kann sich in Uni-Kreisen durchaus sehen lassen. Angestellt war sie zu der Zeit ihres Zweitstudiums parallel als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Flüchtlingsbetreuung der Wiesbadener Arbeiterwohlfahrt (AWO) auf einer halben Stelle. Doch gearbeitet haben soll die Frau dafür nicht.
Gores und seine Tochter müssen sich dafür seit Donnerstag vor dem Wiesbadener Amtsgericht verantworten. Er wegen Anstiftung zur Untreue, da er für die Scheinanstellung seine Kontakte zur damaligen Wiesbadener AWO-Vorsitzenden Hannelore Richter spielen lassen haben soll, sie wegen Beihilfe zur Untreue. Der finanzielle Schaden, der der AWO dadurch entstanden sein soll, beläuft sich laut Staatsanwaltschaft auf 105.000 Euro.
Tochter hatte vergeblich nach Arbeit gefragt
Beide räumten den Verdienst vor Gericht ein, bestritten aber energisch, dass sie Scheinarbeit gesucht hätten. Die Tochter betonte, sie sei überzeugt davon gewesen, als Ethnologin - das hatte sie im Erststudium studiert - in der Flüchtlingshilfe nützliche Arbeit leisten zu können. Als sie ihren Arbeitsvertrag bei der AWO in Wiesbaden bekam, lebte sie in Berlin. Dort arbeitete sie zuvor in Vollzeit in einer Bio-Bäckerei. Verdienst: rund 2.000 Euro brutto im Monat.
Nach dem Abschluss des Arbeitsvertrags mit der AWO habe niemand ihr Aufträge zugewiesen. Mehrfach, so die 36-Jährige, habe sie vergeblich versucht, Arbeitsaufträge zu erfragen. Zwei E-Mails an Hannelore Richter belegen, dass die Frau zumindest am Anfang ihrer Tätigkeit gezielt nach Arbeitsaufträgen gefragt hatte - offenbar vergeblich.
Bewusste Falschangaben im Lebenslauf
Zum kommenden Verhandlungstag Ende November wird Hannelore Richter als Zeugin vorgeladen. Sie soll Auskunft darüber geben, weshalb die Tochter des Hauptangeklagten keine Arbeitsaufträge bekommen hat. Die Verteidigung der 36-Jährigen argumentiert, dass es Aufgabe des Arbeitgebers sei, Arbeit zuzuteilen. Es sei nicht Sache der Arbeitnehmerin, möglichen Aufträgen hinterherzulaufen.
Dennoch räumte die 36-Jährige vor Gericht eine bewusste Täuschung in ihrem Lebenslauf ein - oder wie sie selbst es formulierte: "das kleine blöde Paket der Lüge". Konkret ging es dabei um ein Arbeitszeugnis, das ihr als Nachweis für ein berufsbegleitendes Fernstudium der Sozialen Arbeit von der AWO ausgestellt wurde: Dafür musste sie neben einer aktuellen Anstellung drei Jahre Berufserfahrung im sozialen Bereich nachweisen. Diesen Gefallen tat ihr die AWO laut Staatsanwaltschaft.
Später fiel ihr Vater offenbar in Ungnade bei den Verantwortlichen in Wiesbaden. Wolfgang Gores hatte sich 2019 in den Kreisvorstand der Arbeiterwohlfahrt wählen lassen. Als wenig später Berichte über die mutmaßlichen Machenschaften der AWO aufkamen, gab er diesen Posten schnell wieder ab. In einer E-Mail beklagte sich Hannelore Richter daraufhin über den "Herrn Gores, der seine Tochter zwei Jahre bei uns abgestellt hatte".
Weitere Prozesse im AWO-Komplex
Im Ermittlungskomplex AWO war im Juli diesen Jahres eine frühere Justizangestellte wegen eines ähnlichen Vergehens zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Sie hatte zum Schein einen Arbeitsvertrag bei der AWO in Wiesbaden unterzeichnet und jahrelang unrechtmäßig abkassiert, insgesamt 172.000 Euro, wie das Amtsgericht in Frankfurt urteilte.
Vor Gericht wegen des Vorwurfs der Vorteilsnahme steht derzeit Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD), der laut Staatsanwaltschaft seiner damaligen Lebensgefährtin zu einer überbezahlten Stelle verholfen haben soll. Diesen Vorwurf bestreitet der OB energisch.
Der Skandal um die AWO-Kreisverbände Frankfurt und Wiesbaden war 2019 durch hr-Recherchen aufgedeckt worden. Dabei ging es zunächst um überhöhte Gehälter und teure Dienstwagen für Funktionäre des Sozialverbands. Im Laufe der Ermittlungen kamen immer neue Affären über Scheinarbeit, falsch abgerechnete Personalkosten und ungerechtfertigte Spenden ans Licht. Derzeit fordert die Frankfurter AWO vor Gericht 1,2 Millionen Euro Schadenersatz von ihrem ehemaligen Geschäftsführer Jürgen Richter.
Sendung: hr4 für Rhein-Main, 03.11.2022, 16.30 Uhr
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