Teure Fehlplanung in Nordhessen? Dieser Radschutzstreifen führt in ein Beet mit Bäumen
Was genau hat man sich in Fuldabrück-Bergshausen beim Anlegen eines Radschutzstreifens gedacht? Sicher ist: Der Streifen endet plötzlich mitten in einer Verkehrsinsel mit drei Bäumen. Ein Aprilscherz? Mitnichten, sagt der Bürgermeister.
In Bergshausen geht es - wie der Name dieses Ortsteils von Fuldabrück (Kassel) schon vermuten lässt - bergauf. Radfahrer können die Steigung jetzt sicher auf einem Radschutzstreifen bewältigen, zumindest fast. Denn mit dem gestrichelt markierten Streifen ist plötzlich Schluss.
Bordstein, Beet, Bäume - mitten auf der Spur. Radfahrer müssen hier auf die Fahrbahn ausweichen. Erst nach dem Hindernis geht es mit der Markierung weiter. Slalom-Parcours, Schikane für frisierte E-Bikes oder Blödheit der Planungsbeteiligten?
Planungsfehler oder gewollt?
Unter einem Facebook-Post der Bild-Zeitung zur Radweg-Posse wird schon fleißig diskutiert, wie es zu dem Planungsfehler kommen konnte. Auch Radfahrer und Radfahrerinnen aus Bergshausen sind irritiert - soll man hier ausweichen, anhalten oder absteigen und schieben? Keine Ahnung!
Anna versteht die Verkehrsführung an dieser Stelle nicht. Sie ist mit Fahrrad und Kinderanhänger unterwegs. Vor der Verkehrsinsel habe sie plötzlich ausscheren müssen.
"Das ist mega gefährlich", sagt Anna. Mit dem abrupt endenden Radschutzstreifen setze man ihre Sicherheit und die ihrer Kinder aufs Spiel. Sie vermisst ein Warnschild für Radfahrer, das auf das Ende des Schutzstreifens aufmerksam machen könnte.
Radfahrer ziehen am Berg den Kürzeren
Auch Gerhard Walter ist irritiert, als er an der Stelle vorbeikommt. "Das hat etwas von einem Schildbürgerstreich", sagt er.
Walter vermutet, die Gemeinde habe vor allem nach Fördertöpfen für Radwege und für die Neuanpflanzung von Bäumen geschielt - und habe trotz der "dysfunktionalen Lösung" den winkenden Fördergeldern nicht widerstehen können.
Jedenfalls ziehen Radfahrer hier den Kürzeren, zumal es ganz schön bergauf geht. Wer einmal anhält, muss danach mühsam in die Pedale treten, um an der Verkehrsinsel vorbeizukommen. "Die, die das hier gemacht haben, sind noch nie Rad gefahren", vermutet ein Mann, der gerade vorbeikommt. Aber ist der Weg wirklich falsch geplant?
Bürgermeister sieht "gelungenes Projekt"
Keinesfalls, sagt Bürgermeister Andreas Damm (unabhängig). Er versteht die ganze Aufregung nicht. Bergshausen habe nach der Sanierung der baufälligen Flughafenstraße eine "top sanierte Straße mit Tempo 30, Verkehrsinseln zur Verkehrsberuhigung und einem Schutzstreifen für Radfahrer".
Die Sanierung sei insgesamt ein "gelungenes Projekt". Fünf Jahre wurde hier geplant und gebaut. Dass es jetzt Kritik an der Ausführung gibt, kann Damm nicht verstehen.
Die Pläne für den Ausbau der Straße hätten 2021 öffentlich ausgelegen, damit Bürgerinnen und Bürger sich hätten informieren und beteiligen können. Dort sei der Wunsch aufgekommen, auf beiden Seiten eine begrünte Verkehrsinsel zu planen.
Geprüft und abgenommen
Vom Vorwurf der Steuergeldverschwendung will Bürgermeister Damm nichts wissen. Den Umbau der Straße habe man durch Fördergelder vom Land Hessen mitfinanziert - so habe man den Gemeindehaushalt entlastet. Dass der Schutzstreifen so plötzlich endet, sei der Straßenverkehrsordnung geschuldet, so Damm.
Die Breite der Straße reiche nicht aus, um den Schutzstreifen an der Verkehrsinsel vorbeizuführen. Deshalb müssten Radfahrer ebenso wie Autos kurz warten, um den Gegenverkehr durchzulassen. Die Verkehrsbehörde Hessen Mobil habe die Straße geprüft und abgenommen.
Ein Radweg ist ein baulich abgetrennter Weg, der ausschließlich für Radfahrer vorgesehen ist. Er kann sich neben der Fahrbahn oder abseits davon befinden und ist oft durch Bordsteine oder Grünstreifen von der Straße getrennt.
Radfahrstreifen werden auf der Fahrbahn geführt. Sie sind an einer durchgezogenen Markierung zu erkennen. Sie dürfen nur zum Ein- und Abbiegen von Autos – beispielsweise um Parkplätze zu erreichen - überfahren werden. Radfahrer sind verpflichtet, sie zu nutzen.
Ein Radschutzstreifen hingegen ist ein auf der Fahrbahn markierter Bereich für Radfahrer, der mit einer gestrichelten Linie gekennzeichnet ist. Autos dürfen diesen Streifen bei Bedarf (z. B. zum Ausweichen) befahren, allerdings nur, wenn keine Radfahrer behindert oder gefährdet werden.
Radweg, Radfahrstreifen, Radschutzstreifen: Was ist der Unterschied?
Ein Radweg ist ein baulich abgetrennter Weg, der ausschließlich für Radfahrer vorgesehen ist. Er kann sich neben der Fahrbahn oder abseits davon befinden und ist oft durch Bordsteine oder Grünstreifen von der Straße getrennt.
Radfahrstreifen werden auf der Fahrbahn geführt. Sie sind an einer durchgezogenen Markierung zu erkennen. Sie dürfen nur zum Ein- und Abbiegen von Autos – beispielsweise um Parkplätze zu erreichen - überfahren werden. Radfahrer sind verpflichtet, sie zu nutzen.
Ein Radschutzstreifen hingegen ist ein auf der Fahrbahn markierter Bereich für Radfahrer, der mit einer gestrichelten Linie gekennzeichnet ist. Autos dürfen diesen Streifen bei Bedarf (z. B. zum Ausweichen) befahren, allerdings nur, wenn keine Radfahrer behindert oder gefährdet werden.
Ministerium: Unterbrechung nicht vorgesehen
Für die Sanierung der Flughafenstraße sind Fördergelder in Höhe von 638.300 Euro zugesagt, teilte eine Sprecherin des hessischen Wirtschaftsministeriums auf hr-Anfrage mit. Neben dem Bau der Straße seien zwei Bushaltestellen und die Gehwege barrierefrei realisiert worden, dazu wurde der Radschutzstreifen umgesetzt. Für die gesamte Maßnahme seien insgesamt 2,3 Millionen Euro an Baukosten veranschlagt worden.
Dass der Schutzstreifen für Radfahrer jetzt für Diskussionen sorgt, sei dem Ministerium derzeit nicht bekannt. Die Kommune ist dabei laut Ministerium für die Planung und den Bau verantwortlich. Allerdings sei eine Unterbrechung des Schutzstreifens weder in den Vorgaben des Landes Hessen, noch "in den technischen Regelwerken" vorgesehen, teilte die Sprecherin mit.
Ob die umstrittene Umsetzung in Bergshausen Auswirkungen auf die bereits zugesagten Fördergelder hat, wird sich noch zeigen: Die Gemeinde müsse jetzt "im Rahmen des Verwendungsnachweises den Einsatz der Fördermittel erläutern", so die Sprecherin. Das Ministerium will dann klären, ob an dem Ist-Zustand nachträglich etwas geändert werden muss, damit die Förderung wirklich fließt.
ADFC bezeichnet Planung als "Unding"
Wenn es nach dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) geht, ist da noch Luft nach oben. Susanne Zinke kann über die Sanierung nur den Kopf schütteln. Sie ist Vorstandsmitglied des ADFC Kassel Stadt und Land. Es sei ein Unding, eine neue Straße so zu planen, dass Radfahrende auf ihrer Fahrt bergauf bei Gegenverkehr halten müssten, erklärt Zinke.
Sinnvoller wäre eine Lösung mit Fahrbahnschwellen gewesen, die den Verkehr ebenso verlangsamen würden wie die installierten Bauminseln. Generell hält der ADFC Schutzstreifen für die schlechtere Lösung, weil immer auch Autos darauf fahren würden. Die umstrittene Lösung in Bergshausen ist laut ADFC kein Einzelfall in der Umgebung.
Immer wieder Radweg-Planungsfehler
Man habe den Fall in Bergshausen zum Anlass genommen, eine Befragung der 1.500 Mitglieder in Stadt und Land anzustoßen. Diese habe gezeigt, dass es immer wieder vergleichbare Planungsfehler gebe. Dazu hätten die vielen Rückmeldungen laut Zinke gezeigt, dass Radfahrer sich nicht sicher fühlen.
Immer wieder gibt es Kritik an der Radverkehrsinfrastruktur in Hessen. So endet der Rheingau-Radweg nach elf gut ausgebauten Kilometern sehr plötzlich – auf der Bundesstraße 42. In diesem Jahr soll endlich eine provisorische Lösung für die Gefahrenstelle kommen.
Ein Fall von Steuergeldverschwendung?
Der Bund der Steuerzahler hat den Fall in Nordhessen schon auf dem Schirm, wie ein Sprecher auf hr-Anfrage mitteilte. Ein Urteil wollten die Wächter über mögliche Steuergeldverschwendungen noch nicht fällen. Man stehe am "Anfang der Recherche" und könne deshalb noch keine fundierte Aussage zu dem Fall treffen, heißt es.
Ob es der Bergshäuser Radschutzstreifen ebenso wie die Brücke ins Nichts zwischen Lorsch (Bergstraße) und Heppenheim, der stillgelegte Schornstein auf dem Gelände des Fernheizwerks der Universität Marburg oder das Sprungturm-Fiasko aus Biedenkopf ins Schwarzbuch der Steuerzahler schafft, ist noch unklar.
Ihre Kommentare "Mega gefährlich" oder gelungenes Projekt? Ihre Meinung
24 Kommentare
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Unfassbar, wie man so etwas Dummes planen kann! Hessen Mobil und der Bürgermeister sollten mal selbst aufs Rad steigen und diese Straße so lange rauffahren, bis sie merken, dass auch Radfahrer Verkehrsteilnehmer sind!
Solche unsinnigen Bestimmungen , die so etwas zulassen, müssen sofort geändert werden. Der "fließende Verkehr", das sind auch Radfahrer. Wo bleibt die Verkehrswende? -
Typisch Deutschland - ein Bürokratsmuss den kein Mensch versteht!!!
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Sehr gelungene Strassenplanung und gegen die Klimakrise wurden noch 3 schöne Bäume gepflanzt.
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