Rechtsmediziner über Wasserleichen Warum wurde Pawlos nicht eher gefunden?

Obwohl hunderte Einsatzkräfte die Lahn in Weilburg nach dem verschwundenen Pawlos abgesucht hatten, tauchte die Leiche des Jungen dort erst Wochen später auf. Das wundert viele. Den Direktor der Frankfurter Rechtsmedizin allerdings überhaupt nicht.

Mehrere Polizisten und ein Polizeihund sitzen in einem Boot und suchen die Lahn nach Spuren von Pawlos ab.
Suche nach Pawlos in der Lahn mit Hilfe eines Polizeihundes. Bild © Mike Seeboth

Seit der Nachricht vom Fund des toten Pawlos in der Lahn in Weilburg erreichen den Hessischen Rundfunk Fragen von Nutzerinnen und Nutzern: Wie könne es sein, dass der Leichnam erst am Ostersonntag von einem Kanufahrer entdeckt wurde, wo doch ganze Hundertschaften von Einsatzkräften und auch Taucher viele Tage lang nach dem am 25. März verschwundenen sechsjährigen Jungen gesucht hatten? Hätte die Polizei seine Leiche nicht eher finden müssen?

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Die Polizei wirbt um Verständnis für ihre Leute. Man habe wirklich "nichts unversucht gelassen", aber die Einsatzkräfte seien an natürliche Grenzen gestoßen, sagte der Sprecher des Polizeipräsidiums Westhessen, Carsten Werner, dem hr auf Anfrage: "Gewässer wie die Lahn sind bei Suchmaßnahmen immer ein schwieriges Terrain."

Wo Pawlos ins Wasser gelangte, ist unklar

Unter Wasser herrschten sehr schlechte Sichtbedingungen, auch geübte Taucher hätten da wenige Chancen, etwas zu finden. Dazu kämen zum Teil starke Strömungen, die einen untergegangenen Körper mal hierhin, mal dorthin trieben. Und kein Mensch habe gesehen, wie und wo Pawlos überhaupt ins Wasser gelangte. Zumindest habe sich dazu kein Zeuge gemeldet, berichtet Werner.

Der entscheidende Faktor in solchen Fällen ist aber: Ein lebloser Körper geht im Wasser erst einmal unter. "Das ist eine normale physikalische Tatsache", sagt Werners Kollegin Ilka Roth. Es bestehe auch die Möglichkeit, dass ein Körper unter Wasser an etwas hängenbleibe, etwa an Ästen oder Wurzeln.

"Ein Körper geht im Wasser erst mal unter"

"Dass ein lebloser Körper, der ins Wasser gelangt ist, erst nach vier Wochen gefunden wird, ist überhaupt nicht ungewöhnlich", sagt denn auch Marcel Verhoff. Er ist der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt und war mit dem Fall Pawlos nicht befasst. Zu dem konkreten Fall des sechsjährigen Jungen kann und will er keine Mutmaßungen anstellen, aber er kann natürlich grundsätzliche Aussagen über Wasserleichen treffen.

Ein Mann mit weißgrauen Haaren sitzt in einer Stuhlreihe und stützt seine Ellenbogen auf ein Pult vor sich. Im Hintergrund sind Vitrinen zu erkennen mit Schädeln und anderen Anschauungsobjekten aus der Rechtsmedizin.
Marcel Verhoff, Leiter der Rechtsmedizin am Uniklinikum Frankfurt, im Hörsaal des Instituts. Bild © Stephan Loichinger (hr)

"Ein menschlicher Körper ist schwerer als Wasser und geht erst mal unter, unabhängig davon, ob der Mensch ertrinkt oder schon tot war", sagt Verhoff. Die Leiche bleibe dann so lange auf dem Grund, bis so viele Fäulnisgase entstünden, dass der Körper wieder Auftrieb bekomme und auftauche. Vier Wochen seien dafür sogar noch eine eher kurze Zeit, sagt der Experte.

Dabei gelte: Je kühler das Wasser, desto langsamer bildeten sich Fäulnisgase - wenn überhaupt. Unter 4 Grad entstehen sie erst gar nicht, wie Verhoff erläutert, weshalb manche Wasserleichen nie auftauchten.

Suche nach der Nadel im Heuhaufen

In einem fließenden Gewässer wie der Lahn kämen für Suchtrupps weitere Hindernisse hinzu. Zunächst wechselnde Strömungen, die dazu führten, dass ein untergegangener Körper nicht an einer Stelle verharre, sondern hin und her bewegt werde, sagt Verhoff. So ein Fluss sei ja auch ein riesiges Gewässer, das könne man gar nicht vollständig absuchen.

"Und dann haben die Taucher dort wahrscheinlich Sichtweiten von etwa einem Meter - das darf man sich ja nicht vorstellen wie in einem Schwimmbecken mit klarer Sicht", erläutert der Rechtsmediziner: "Das ist dann wirklich wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen."

Folgt man dem Experten, hätten die Taucher auf ihrer Suche nach Pawlos in der Lahn schon unwahrscheinliches Glück haben müssen, um auf seine Leiche zu stoßen. "In aller Regel muss man in solchen Fällen warten, bis sich so viele Fäulnisgase gebildet haben, dass der Körper von selbst auftaucht", sagt Verhoff.

Sendung: hr4,

Quelle: hessenschau.de