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Reichsbürger-Prozess könnte sich über viele Monate ziehen

Ein Mann mit grauem Haar und transparenter Brille legt den Kopf in den Nacken und schaut nach oben.

Seit zwei Wochen läuft der Prozess gegen die mutmaßlichen Reichsbürger-Putschisten um Prinz Reuß am Frankfurter Oberlandesgericht. Zu den Tatvorwürfen war bislang wenig zu hören. Stattdessen ging es viel um juristisches Kleinklein. Und das dürfte erst ein Vorgeschmack gewesen sein.

In Sachen erstes und letztes Wort ist die Strafprozessordnung recht eindeutig. Das Hauptverfahren beginnt mit der Verlesung der Anklage und endet mit dem letzten Wort des oder der Angeklagten. Was dazwischen passiert ist selbst für Juristen schwer vorhersehbar. Erst recht nicht, wenn sich nicht weniger als neun Männer und Frauen auf der Anklagebank wiederfinden und von 26 Anwältinnen und Anwälten vertreten werden.

Tatsächlich ist in den ersten vier Prozesstagen um die mutmaßliche Reichsbürger-Truppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß schon einiges gesagt worden. Allerdings nicht von den Angeklagten. Wer angesichts von Tatvorwürfen, die sich um die Vorbereitungen eines bewaffneten Umsturzes und bizarre Verschwörungstheorien drehen, auf ein Spektakel eingestellt war, dürfte von den ersten beiden Wochen im "Reichsbürger-Prozess" ziemlich enttäuscht gewesen sein.

Denn bislang geht es vor dem 5. Senat des Frankfurter Oberlandesgerichts fast ausschließlich um juristisches Kleinklein und fast gar nicht um wahnwitzige Terrorpläne.

Komplex Reuß stellt Justiz vor ein Dilemma

Ginge es nach dem Willen einiger Rechtsbeistände in diesem Prozess, wäre die Klageschrift erst gar nicht verlesen worden. Moniert wird vor allem, dass das Verfahren gegen die sogenannte "Patriotische Union", in dem insgesamt 26 Personen angeklagt sind, auf insgesamt drei Prozesse verteilt wurde.

Tatsächlich stellt der "Komplex Reuß" die deutsche Justiz schon allein aufgrund der Vielzahl der Angeklagten vor ein Dilemma. Auf der einen Seite gilt der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung. Die Angeklagten haben ein Recht darauf, dass der Prozess so zügig wie eben möglich zu Ende gebracht wird - was schon bei neun Angeklagten ein hehrer Wunsch bleiben dürfte.

Auf der anderen Seite beklagen die Anwälte nicht ganz zu Unrecht, dass in den abgespaltenen Verfahren in Stuttgart und München eben auch Sachverhalte verhandelt werden, die für die Bewertung der Schuld ihrer Mandanten maßgeblich sind. Aufgrund der Aufspaltung sei es den Verteidigern jedoch nicht möglich, kritische Nachfragen zu stellen. Dadurch, so die Argumentation, sei das Recht auf rechtliches Gehör verletzt.

Wahlverteidiger beschuldigt Pflichtverteidigerin

Unvollständige Akten, fehlender Zugang zu Lesecomputern, zu wenig Zeit zur Vorbereitung. Die Liste der Beschwerden der Verteidiger ist lang - und dürfte mit jedem Prozesstag anwachsen. Teils steckt hinter dem Lamento Strategie, teils geht es um echte Unzulänglichkeiten von Strafvollzugsbehörden und Justiz.

Hinzu kommen einige besondere Probleme, die jedoch nicht in den Verantwortungsbereich des Gerichts fallen. Dirk Sattelmaier, Anwalt des angeklagten Ex-Polizisten Michael F., vertritt seinen Mandaten derzeit faktisch alleine. Einer seiner Mitverteidiger ist schwer erkrankt und kann daher nicht an der Verhandlung teilnehmen. Eine weiterer Anwalt fehlt seit Tag eins, ohne dass bislang geklärt werden konnte warum. Eine effektive Verteidigung sei unter diesen Umständen nicht möglich, beklagt Sattelmaier.

Noch bizarrer ist die Situation der Angeklagten Vitalia B.. Ihr wird - im Gegensatz zu den übrigen Angeklagten - nicht Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, sondern lediglich deren Unterstützung. Ihr Wahlverteidiger Thomas Nirk beschuldigte am zweiten Prozesstag ihre Pflichtverteidigerin Sylvia Schwaben, im Kontakt mit dem russischen Konsulat in Leipzig zu stehen und Informationen an dieses weiterzugeben. Schwaben hat diese Vorwürfe gegenüber der Presse bestritten. Klar ist: Zwischen Vitalia B. und ihrer Wahlverteidigerin besteht kein Vertrauensverhältnis mehr.

Lebensgefährtin von Prinz Reuß sagte aus

Der Vorwurf gegen Schwaben ist durchaus pikant. Schließlich waren es gerade Kontakte zu eben jenem russischen Konsulat, die Vitalia B. auf die Anklagebank gebracht haben. Sie soll Gespräche zwischen dem vermeintlichen Rädelsführer Prinz Reuß und dem russischen Konsul vermittelt haben, bei denen es unter anderem um die Rückgabe konfiszierter Güter des Adelsgeschlechts Reuß gegangen sein soll. Wohlgemerkt: Nach der geplanten Machtübernahme durch die verhinderten Putschisten.

Vitalia B. ist derweil die einzige Angeklagte, die bislang selbst ausgesagt hat - wenn auch nur zu ihren persönlichen Verhältnissen und nicht zu den Tatvorwürfen. Die 40-Jährige gab unter anderem zu Protokoll, Prinz Reuß 2015 kennengelernt zu haben. Seit etwa 2016 sei daraus ein Liebesverhältnis erwachsen. Seit 2021 habe sie zudem die Inventarisierung der Kunstsammlung der verstorbenen Mutter von Prinz Reuß übernommen. 2022 zog sie auf dessen Thüringer Schloss Waidmannsheil. Für ihre Dienste erhielt sie eine Aufwandsentschädigung von 750 Euro im Monat.

Für das Gericht interessanter dürften indes andere Einnahmen von Vitalia B. sein. Laut Kontoauszügen erhielt sie Ende 2015 mindestens zwei Mal größere Geldsummen aus Russland - insgesamt mehr als 80.000 Euro. Vitalia B. behauptet, dass das Geld von ihrer Familie und "aus dem familiären Umfeld" stammt. Damit hätte sie ihre Dissertation finanzieren sollen.

Reichsflagge am Revers

Weitere Angeklagte - darunter auch Prinz Reuß - haben angekündigt, ebenfalls aussagen zu wollen. Zumindest zu den persönlichen Verhältnissen. Wann es soweit ist, steht in den Sternen. Die Verteidigung von Maximilian E., dem wie Prinz Reuß Rädelsführerschaft vorgeworfen wird, will ihren Mandanten erst zu Wort kommen lassen, wenn sie alle Unterlagen erhalten und durchgearbeitet hat.

Während man also am Oberlandesgericht Frankfurt noch weit davon entfernt scheint, zum Kern der Beweisaufnahme vorzudringen, werden im Zuschauerraum die ersten Urteile schon gesprochen. Allerdings nicht über die Angeklagten. Seit Tag eins verfolgen zahlreiche Sympathisanten der Angeklagten die Hauptverhandlung. Immer wieder kommentieren sie einzelne Tatvorwürfe mit höhnischem Gelächter. "Man darf es ja nicht sagen: Aber es ist wie bei Hitler", empört sich ein Mann in einer der zahlreichen Prozesspausen, "als erstes wird die Opposition ausgeschaltet."

Andere verzichten auf verbale Unmutsäußerungen. Stattdessen tragen sie ihre Gesinnung am Revers. Am dritten Prozesstag taucht eine junge Frau in grauem Rock und Lodenblazer im Gerichtssaal auf. Am Kragen prangt ein Anstecker in den Farben der Reichsflagge. Darauf der Aufdruck: 1871 - das Gründungsjahr des Deutschen Kaiserreichs, auf dessen Verfassung Reichsbürger sich bis heute berufen. Nach einer Ansprache durch die Polizei in einer Prozesspause durfte sie den Prozess weiter beobachten - ohne Anstecker am Kragen.

Zwei Wochen als Vorgeschmack

Die ersten beiden Wochen im Frankfurter Reichsbürger-Prozess haben einen Vorgeschmack auf das gegeben, was in den kommenden Monaten bevorsteht: Zahlreiche Anträge, noch mehr Verzögerungen und ab und an vermutlich auch Einlassungen zur Sache. Im Prinzip die üblichen Zutaten eines Strafprozesses in Deutschland - insbesondere wenn den Angeklagten politische Motive unterstellt werden. Das alles aber mal neun - mindestens.

Fest steht also weiterhin nur, dass die Angeklagten das letzte Wort haben werden. Ob und wann sie selbiges auch vorher noch ergreifen, ist noch nicht absehbar.

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