Reichsbürgerprozess in Frankfurt Eine AfD-Richterin im Irrgarten der Wahrheitsfindung

Als erste Angeklagte im Frankfurter Reichsbürgerprozess hat die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann zu den Tatvorwürfen Stellung genommen. Die Berliner Richterin wollte "einiges zurechtrücken" - verstrickte sich dabei jedoch, ohne es zu merken, in Widersprüche.

Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack Winkemann als Angeklagte im Frankfurter Reichsbürger-Prozess.
Als erste Angeklagte im Frankfurter Reichsbürger-Prozess hat sich die ehemalige Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann zu den Tatvorwürfen geäußert. Bild © picture-alliance/dpa
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Man kann nicht behaupten, dass es der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann an Selbstbewusstsein mangeln würde. Bevor sie sich im sogenannten Reichsbürger-Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt zu den Tatvorwürfen äußert, will die aus Darmstadt stammende Juristin zunächst einmal klarstellen, was Gericht und Publikum zu erwarten haben.

Ein Geständnis werde ihre Einlassung nicht sein, kündigt die Angeklagte Malsack-Winkemann an. Vielmehr werde "in der Folge einiges zurechtzurücken" sein, was in der Anklage behauptet wird. Eine erstaunliche Ansage für eine Richterin. Denn dass die Einlassung einer oder eines Angeklagten derart überzeugend ist, dass sie Gericht und Staatsanwaltschaft von der Unrichtigkeit der Tatvorwürfe überzeugt, kommt eher selten vor.

Sturm auf den Reichstag geplant

Der Versuch der Wahrheitsfindung im Strafprozess ähnelt oft der Suche nach der richtigen Route in einem Irrgarten. Ermittlungsergebnisse weisen in die eine, Aussagen von Zeugen und Angeklagten oftmals in eine ganz andere Richtung. Und nicht selten laufen die Beteiligten mit Anlauf in die eine oder andere Sackgasse.

Der Generalbundesanwalt wirft Malsack-Winkemann vor, zum inneren Kreis einer Verschwörung um Heinrich XIII Prinz Reuß gezählt zu haben, die den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Ordnung in der Bundesrepublik geplant haben soll. In einer Art Schattenregierung, die nach dem erfolgten Umsturz die Macht in Deutschland übernehmen sollte, wäre ihr das Ressort Justiz zugefallen.

Angetrieben worden sei die Gruppe dabei von der Überzeugung, dass eine globale "Allianz", ein technisch überlegener Geheimbund von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, zu ihren Gunsten in das Geschehen eingreifen würde. Auf ein Signal dieser "Allianz" hin, sollte der Sturm auf den Reichstag erfolgen. Anschließend hätte die Gruppe Reuß geplant, Säuberungen von missliebigen Politikern und Amtsträgern bis auf die kommunale Ebene hin durchzuführen. Dass dabei Menschen ums Leben kommen, sei zumindest in Kauf genommen worden - so die Anklage.

Sturm auf den Reichstag geplant

Teil des Putschplans war der Anklage zufolge, mit einer bewaffneten Gruppe das Reichstagsgebäude in Berlin zu stürmen, um Parlamentarier und Regierungsmitglieder festzunehmen. Malsack-Winkemann wird dabei im Speziellen vorgeworfen, mehreren Mitgliedern des "militärischen Arms" der Putschisten-Gruppe Zugang zum Reichstagsgebäude verschafft zu haben, um dieses für den Angriff auszukundschaften. Zudem soll sie weitere Informationen zur Verfügung gestellt haben, die der Planung des Angriffs dienten.

Im Prozess gegen die mutmaßlichen Mitglieder der Gruppe Reuß wird die Wahrheitsfindung durch einige Besonderheiten zusätzlich erschwert: Etwa durch die Vielzahl von Angeklagten, die auf drei getrennte Hauptverhandlungen verteilt wurden. Durch ein Konglomerat verschiedener Verschwörungserzählungen, die laut Anklage die Grundlage für die Putschpläne bildeten. Und - wie sich zuletzt in den Prozessen gezeigt hat - eine ganze Reihe von Animositäten zwischen den Angeklagten.

Malsack-Winkemann scheint überzeugt, den Weg durch das Dickicht dieses Irrgartens zu kennen. Dass sie während ihrer Aussage, die sich mittlerweile über anderthalb Prozesstage erstreckt, selbst in die eine oder andere Sackgasse läuft, bemerkt sie allerdings nicht.

Verteidigung durch Anklage

Vor dem Oberlandesgericht hat Malsack-Winkemann die Vorwürfe erwartungsgemäß von sich gewiesen. Zwar habe sie tatsächlich drei Mitangeklagte durch den Reichstag geführt, doch habe es sich dabei um eine rein "touristische Veranstaltung" gehandelt. Die Treffen des "Rates", wie sich der Führungskreis der Gruppe Reuß selbst bezeichnete, seien eher eine Art "intellektueller Kreis" gewesen, bei dem vornehmlich gut gegessen, getrunken und diskutiert worden sei. Bei der Anklage handele es sich um ein "Ammenmärchen", das dazu diene "eine terroristische Vereinigung zu konstruieren".

Die Aussage der 60-Jährigen mag ihrer Verteidigung dienen, vorgetragen wird sie als Anklage. Bei den angeblichen Plänen zur Reichstagsstürmung handele es sich um "völlig substanzlose, unbelegte Behauptungen", verkündet Malsack-Winkemann. Dass sie und ihre Mitangeklagten inzwischen seit mehr als anderthalb Jahren in Untersuchunghaft säßen, sei allein schon aufgrund des fortgeschrittenen Alters von einigen unzumutbar. Zudem sei es "widerlich", was in der Presse über die Gruppe verbreitet würde.

Zu einem Großteil besteht die Einlassung der suspendierten Berliner Richterin also aus Vorwürfen. Was ihr in ihrem ausschweifenden und an Wiederholungen nicht armen Vortrag aber nicht gelingen will, ist eine konsistente Gegenerzählung zur Anklage aufzubauen.

Glauben an die "Allianz"

So lässt Malsack-Winkemann mehrfach durchscheinen, dass sie zumindest zeitweise tatsächlich an die Existenz jener ominösen globalen Allianz geglaubt habe, die sich der Bekämpfung des "Deep State" in Deutschland verschrieben habe. Erfahren habe sie von deren angeblicher Existenz durch Telegram-Kanäle, die sie genutzt habe. Und schon allein die Tatsache, dass diese Theorie dort massenhaft verbreitet worden wäre, habe aus ihrer Sicht zumindest für eine gewisse Glaubwürdigkeit gesprochen.

Die Gruppe um Reuß jedenfalls habe mit einem "Eingreifen" dieser Allianz gerechnet, wodurch eine globale Krisensituation ausgelöst würde. Der Vorbereitung auf eben diese Krise habe letztendlich auch die Gründung des "Rates" im Februar 2022 gedient. Dabei hätten die Beteiligten keinesfalls geplant, selbst aktiv zu werden. Die Vorstellung sei gewesen: "Die Allianz macht alles. Auch Gerichtsverfahren und so."

Mehrere Mitglieder der Gruppe - darunter der Mitangeklagte Rüdiger von P., Ex-Oberst der Bundeswehr - hätten dabei behauptet, Kontakt zur "Allianz" zu halten. Mit der Zeit, sagt Malsack-Winkemann, seien sowohl ihr als auch Prinz Reuß Zweifel daran gekommen. Deshalb habe der mutmaßliche Rädelsführer im Februar 2022 die Devise ausgegeben, dass nichts gemacht würde, ehe sich ein Vertreter der Allianz zu erkennen gäbe.

Zentrale Elemente der Reichsbürgerideologie

Man kann davon ausgehen, dass die Einlassung der Angeklagten mit ihren Verteidigern abgesprochen wurde. Umso erstaunlicher ist es, dass niemandem aufgefallen zu sein scheint, dass sich Malsack-Winkemann an mehreren Stellen selbst widerspricht. So erklärt sie beispielsweise zunächst, dass die Mitglieder der Gruppe aufgefordert worden seien, sich "Gedanken zu machen, was passiert, wenn es zu einem Systemwechsel kommt". Einige Stunden später behauptet sie, dass "das Wort Umsturz oder Putsch oder Systemwechsel" bei Diskussionen in der Gruppe nie gefallen sei.

Neben offenkundigen Widersprüchen sind es vor allem die Auslassungen, die Malsack-Winkemanns Aussage interessant machen. Vor allem dort, wo sie versucht, den mutmaßlichen Rädelsführer Heinrich XIII Prinz Reuß zu entlasten. Dieser habe sich vehement gegen "einen Putsch oder eine Revolution" ausgesprochen. Denn durch einen "Putsch wie die Oktoberrevolution" sei es nicht möglich, "Souveränität" herzustellen, berichtet die Ex-Parlamentarierin.

Ganz davon abgesehen, dass man sich fragen kann, warum sich Prinz Reuß gegen einen Putsch aussprach, wenn dieser angeblich nie zur Debatte stand, stellt sich vor allem die Frage, welche Souveränität in Deutschland hergestellt gehört, die nicht schon vorhanden wäre.

Sinn ergibt dies nur, wenn man die Ansicht vertritt, dass die Bundesrepublik in ihrer jetzigen Form keine Souveränität besitzt, sondern unter Fremdverwaltung steht - ein zentrales Narrativ der sogenannten Reichsbürger-Szene. Dass Prinz Reuß ein Anhänger eben dieser Ideologie sei, hatte Malsack-Winkemann zuvor jedoch vehement bestritten.

Schlechte Nachrichten aus München

Es ließen sich noch zahlreiche weitere Ungereimtheiten aufzählen: Malsack-Winkemann erklärt mehrfach, Prinz Reuß habe darauf bestanden, dass "alles nach Recht und Gesetz" vonstatten gehen müsse. Was genau da vonstatten gehen sollte, erläutert sie ebenso wenig, wie welches "Recht und Gesetz" nach einem Eingreifen der "Allianz" eigentlich noch Anwendung gefunden hätte. Ebenso unklar bleibt, gegen wen diese "Allianz" eigentlich "Gerichtsverfahren" hätte führen sollen und warum eigentlich. Oder auch warum ein "intellektueller Kreis" eigentlich über einen "militärischen Arm" verfügte.

Zu all den Unzulänglichkeiten ihrer Einlassung in Frankfurt gesellen sich zudem Erkenntnisse aus dem parallel stattfindenden Reichsbürger-Prozess in München. Dort wurden unter anderem Telefonmitschnitte vorgespielt, in denen sich Malsack-Winkemann gegenüber einer - ebenfalls angeklagten - Mitarbeiterin ihres Bundestagsbüros darüber ausließ, dass sie erst etwas bewegen könne, "wenn die Parteien abgeschafft sind und wir ein anderes System bekommen".

Die angeklagte Ex-AfD-Parlamentarierin hat mit ihren Angaben bislang vor allem eines erreicht: Sie ermöglicht es Gericht und Anklage, zahlreiche Nachfragen zu stellen. Es könnten noch einige dazu kommen. Am kommenden Dienstag will Malsack-Winkemann ihre Aussage fortsetzen.

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de