Halbjahresbilanz Sechs Monate Schweinepest - und kein Ende in Sicht

Ein halbes Jahr nach dem ersten Schweinepestfall in Hessen ist die Lage unverändert schwierig. Die Seuche grassiert in mehreren Landkreisen, fast 600 infizierte Tiere wurden gefunden. Der Kampf gegen das Virus wird noch Jahre dauern, prognostiziert ein Experte.

Wildschwein
Eine Infektion mit der Afrikanischen Schweinepest endet für Schweine fast immer tödlich. Bild © picture-alliance/dpa

Sechs Monate ist es her, dass die Afrikanische Schweinepest (ASP) erstmals in Hessen nachgewiesen wurde. Am 15. Juni hatte das Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit den positiven Befund bei einem toten Wildschwein bestätigt. Es war zuvor bei Rüsselsheim im Kreis Groß-Gerau entdeckt worden.

Jetzt auch im Rheingau-Taunus-Kreis

Seitdem hat sich die Seuche in Hessen weiter ausgebreitet. Bis 13. Dezember wurden 578 infizierte Wildschweine in vier Landkreisen und in Darmstadt gemeldet, die meisten mit 305 im Kreis Bergstraße. Und die Lage ist weiter dynamisch.

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Wie weit Hessen von einer Entwarnung entfernt ist, zeigen die Funde im Rheingau-Taunus-Kreis, der bis zur vergangenen Woche noch als frei von der Schweinepest gegolten hatte. Zuletzt waren sogar auf der Rheininsel Mariannenaue drei verendete, mit ASP infizierte Wildschweine gefunden worden. Die Tiere sind gute Schwimmer.

Sperrzone vor kurzem augeweitet

In einer Mitteilung vom Wochenende hat das Landwirtschaftsministerium ausdrücklich vor einer Ausbreitung der Krankheit entlang des Rheins gewarnt. Nach den aktuellen Funden wurde die Sperrzone II mit Jagdverbot und Einschränkungen für die Zucht noch einmal ausgeweitet.

Kartenausschnitt von Südhessen, in welchen zwei Zonengrenzen eingezeichnet wurden. Darüber steht "Zonierung Afrikanische Schweinepest".
Aktuelle Schweinepest-Schutzzonen Bild © Quelle: Hessisches Ministerium für Landwirtschaft, OpenStreetMap-Mitwirkende, Berarbeitung: hessenschau.de

"Kein Sprint, sondern ein Marathon" sei die Bekämpfung der Seuche, betont das Ministerium den Langzeitcharakter der Aufgabe. Ähnlich sieht das der Tierarzt und Genetiker Gerald Reiner. Er ist Leiter der Klinik für Schweine, Bestandsmedizin und molekulare Diagnostik, an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.

Experte: "Müssen etliche Jahre damit leben"

Reiner beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit der Afrikanischen Schweinepest. "Ich denke, wir müssen irgendwie damit leben", sagt er, "zumindest für etliche Jahre." Dem Experten zufolge kam das Virus 2007 in kontaminierten Lebensmitteln mit einem Schiff aus Afrika nach Georgien.

"In ganz Osteuropa ist es immer noch aktiv", sagt Reiner. Von dort sei es vermutlich durch Menschen, die hier arbeiteten, wie etwa Erntehelfer, mit deren Proviant 2020 nach Brandenburg und unabhängig davon 2024 nach Hessen gekommen.

"Das ist das Damoklesschwert , das über ganz Deutschland schwebt", sagt Reiner. "Wir können nicht sagen, ob nicht morgen in Niedersachsen und übermorgen in Bayern und so weiter ein neuer Ausbruch stattfindet."

Sperrzonen, Zäune, Kadaversuche

Die Eingrenzung der ASP habe seit dem ersten Fund höchste Priorität, stellt das Ministerium klar und zählt eine Reihe von Maßnahmen auf, die das bewerkstelligen sollen: Einrichtung von Sperrzonen, Errichtung von Zäunen, Kadaversuche mit Hilfe von Drohnen und Hunden.

Eigentlich sei das Virus schwer übertragbar, erklärt Veterinär Reiner. Für eine Infektion brauche es Gewebe wie Blut, einen Kadaver oder auch kontaminierte Lebensmittel wie Fleisch und Wurst. Laut FLI kann auch der Kot der Schweine infektiös sein.

Kadaver lange infektiös

Ist ein Wildschwein an ASP verendet, liegt der Kadaver irgendwo in Wald und Flur. "Die bluten dann aus der Nase, aus dem After, den Augen." Andere Schweine nähern sich, schnuppern, sind neugierig. "Wenn dann so ein Kontakt stattfindet, kann sich wieder ein Schwein infizieren."

Zwei Umstände begünstigen die Verbreitung: Zum einen ist der Kadaver sehr lange infektiös. Deshalb ist es wichtig, verendete Tiere so schnell wie möglich zu bergen. Zum anderen kann ein infiziertes Schwein mehrere Tage überleben. Deshalb ist es wichtig, dass es in dieser Zeit keine größeren Wege zurücklegt und das Virus nicht noch in andere Regionen trägt.

Auch die Bevölkerung ist gefordert

Hier kommen die Verhaltensregeln in der Sperrzone II zum Tragen. "Es ist entscheidend, dass wir als Gesellschaft wachsam bleiben", nimmt Landwirtschaftsminister Ingmar Jung (CDU) die Bevölkerung in die Pflicht. "Nur so können wir verhindern, dass sich die Seuche weiter ausbreitet."

Konkret heißt das: auf den Wegen bleiben und Hunde anleinen, um keine Tiere aufzuschrecken. In der Sperrzone II gilt ein Jagdverbot, Freizeitaktivitäten wie Pilzesammeln oder Geocaching abseits der Wege sind tabu.

Zäune zerschneiden Lebensräume

Dass Zäune bei der Bekämpfung der Schweinepest helfen, räumt Reiner ein, verweist aber auch auf mögliche schädliche Auswirkungen für andere Tierarten. Deren Lebensräume seien ohnehin durch Straßen und Siedlungen schon stark zerschnitten. Zudem würden sich längst nicht alle Wildschweine von den teils filigranen Zäunen stoppen lassen.

Für durchweg wirksam hält er dagegen den Einsatz von Lebendfallen, sogenannten Saufängen, in Infektionsgebieten. In diese rund zwei Meter hohen Holzkonstruktionen werden mithilfe von Ködern ganze Rotten gelockt, um sie zu erschießen, da die Tiere potenziell infiziert sein könnten. "Das scheint ganz gut zu funktionieren."

Mensch indirekt betroffen

ASP befällt nur Schweine, weil nur ihre Zellen die passenden Rezeptoren haben, an die das Virus andocken kann. Für sie endet eine Infektion fast immer tödlich. Für andere Tiere wie Hunde und Katzen, aber auch für Menschen ist die Schweinepest medizinisch gesehen völlig ungefährlich.

Gleichwohl hat ihr Auftreten gravierende wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen. Davon betroffen sind vor allem Schweinehalter. Wird in einem Bestand ASP auch nur bei einem Tier nachgewiesen, müssen alle Schweine des Betriebes gekeult, also getötet, werden. In Hessen sind bislang neun ASP-Fälle bei Hausschweinen gemeldet worden.

Schweinebauer: "Das hat wirklich wehgetan"

Einer, den es getroffen hat, ist Rainer Roth aus Riedstadt (Groß-Gerau). "Das hat wirklich sehr wehgetan", sagt der Schweinebauer. Mit viel Geld, Arbeit und Emotion habe er versucht, seinen rund 170 Schweinen ein annehmbares Leben zu ermöglichen. "Und dann wird so etwas einfach entsorgt", trauert er den Tieren nach.

Auch für viele Schweinehalter, deren Bestand nicht direkt von ASP betroffen ist, bringt die Seuche Probleme, etwa wenn ihr Betrieb in der Sperrzone II liegt. Es gibt in Deutschland kaum Schlachthöfe, die diese Schweine schlachten dürfen. Ein größerer Schlachthof mit entsprechender Genehmigung liegt im hunderte Kilometer entfernten Schleswig-Holstein.

Kaum Schlachtmöglichkeiten und schlechtes Image

Doch lange Transportwege bedeuten mehr Tierleid und hohe Kosten. Gerade die kleinen Betriebe hätten gar nicht die Stückzahlen, um die LKWs auszulasten, erklärt Züchterin Susanne Ries aus Münster (Darmstadt-Dieburg). Und Schweine aus der Sperrzone dürfen nicht mit anderen vermischt werden. In Modautal (Darmstadt-Dieburg) schafft seit ein paar Wochen eine neue kleine Schlachthalle ein wenig Abhilfe.

Und dann ist da noch das Imageproblem, das den betroffenen Schweinebauern den Absatz erschwert. Der Einzelhandel wolle oft keine Tiere aus der Sperrzone II abnehmen, sagt Ries. "Aber das sind im Moment die am besten untersuchten Tiere", erklärt sie. Wer garantiert ASP-freies Fleisch essen wolle, müsse gerade jenes aus der Sperrzone kaufen.

Ministerium verweist auf erste Erfolge

Solche Nöte machen die Dringlichkeit des Problems deutlich. Immerhin: Das Ministerium verweist auf erste Erfolge. Die EU-Kommission habe der teilweisen Aufhebung der Sperrzone III rings um von ASP betroffene Hausschweinbestände zugestimmt. Dies zeuge von einer erfolgreichen Seuchenbekämpfung, meint Minister Jung.

Ausgestanden ist aber noch lange nichts. Experte Reiner zufolge kommt es jetzt darauf an, ein Abwandern von Wildschweinen aus betroffenen Regionen zu vermeiden und ihre Dichte durch gezielte Bejagung gering zu halten. In Belgien und Tschechien habe man damit gute Erfolge erzielt.

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de