Seltene Wolfsbegegnung Wolf verfolgt Reiterinnen im Wald bei Greifenstein
20 Minuten lang versuchten sie, ihn zu verjagen – aber der Wolf verschwand nicht. Zwei Reiterinnen im Lahn-Dill-Kreis haben eine eindringliche Wolfsbegegnung auf Video festgehalten. Wie gefährlich war das Treffen?
"Hau ab, verschwinde!", schreien die beiden Reiterinnen aus vollem Hals. Sie klatschen laut und drehen sich immer wieder verängstigt auf ihren Pferden nach hinten um. "Was machen wir jetzt?", fragt eine die andere. "Rennen dürfen wir ja nicht."
Am 29. Dezember vergangenen Jahres sind Anika Haas und Marion Mutz mit ihren Pferden und zwei Hunden unterwegs im Wald bei Ulm-Greifenstein (Lahn-Dill). Plötzlich taucht hinter ihnen ein Wolf auf. Der Wolf kommt näher, lässt sich wieder zurückfallen und verfolgt die Gruppe weiter.
Irgendwann brüllen die Reiterinnen einfach nur noch: "Weg, weg, weg, weg, weg!" Aber der Wolf, der hinter ihnen herläuft, geht nicht weg. Mehr als 20 Minuten lang geht das so.
Wolfszentrum bestätigt Sichtung
Anhand der Videos der Reiterinnen hat das Hessische Wolfszentrum, das zu Hessenforst gehört, bestätigt: Es handelte sich tatsächlich um einen Wolf.
Greifenstein ist eins von mittlerweile sechs Wolfsterritorien in Hessen. Laut Wolfszentrum gibt es hier mindestens ein Tier. Ein Wolf gilt dann offiziell als territorial, wenn er in einem bestimmten Gebiet mindestens zweimal im Abstand von sechs Monaten genetisch erfasst wird.
Sechs Territorien in Hessen
Jeweils ein Rudel ist in Rüdesheim (Rheingau-Taunus) und Wildflecken im bayerischen Teil der Rhön nahe der Landesgrenze heimisch. Ein Wolfspaar lebt zudem in Butzbach (Wetterau). Einzeltiere gibt es außerdem in Ludwigsau (Hersfeld-Rotenburg) und Spangenberg (Schwalm-Eder).
Rund um Greifenstein gibt es laut Wolfszentrum seit etwa 2020 immer wieder Sichtungen.
Begegnungen mit Menschen selten
Intensive Begegnungen wie die von Anika Haas und Marion Mutz sind jedoch selten. Den beiden Reiterinnen sitzt die Erfahrung auch drei Wochen später noch in den Knochen. Angst, Panik, Hilflosigkeit – das sind die Gefühle, die Haas und Mutz beschreiben, wenn sie daran zurückdenken.
Erstaunlich groß sei der Wolf gewesen, sagt Marion Mutz. Zuerst habe sie gedacht: "Wow, da steht er jetzt." Große Sorgen habe sich dann aber vor allem um ihre Tiere gemacht.
Wie gefährlich war die Situation?
Das Wolfszentrum hat die Videos der Reiterinnnen mittlerweile ausgewertet. Hessenforst-Pressesprecher Moritz Frey sagt: Grundsätzlich habe das Tier im Wald ein "wolfstypisches" Verhalten an den Tag gelegt. "Wölfe neigen dazu, die Situation erst mal eine Weile zu beobachten."
Im Fall der zwei Reiterinnen sei außerdem wichtig zu wissen: Menschen auf Pferden würden von Wölfen häufig nicht als Menschen erkannt. Das Treffen sei aus Sicht des Wolfszentrums zwar selten, aber nicht gefährlich gewesen, meint Frey.
Wolfszentrum: Wolf nicht verhaltensauffällig
Bislang sei aus Greifenstein noch kein Wolfsverhalten gemeldet worden, das den Wolf laut Definition der zuständigen Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes als verhaltensauffällig einstufe, erklärt Frey.
Das wäre etwa der Fall, wenn sich ein Wolf mehrere Tage lang in weniger als 30 Metern Entfernung von bewohnten Gebäuden aufhielte. "Solche Wölfe werden dann als siedlungstolerant bezeichnet, was durchaus unerwünscht ist,“ so Frey.
Trotzdem behalte das Wolfszentrum das weitere Verhalten des Wolfs in Greifenstein im Auge. "Wir sind für die Situation jetzt besonders sensibilisiert."
Was tun bei Wolfsbegegnung?
Frey rät: Wer einem Wolf im Wald begegnet, sollte sich zunächst am besten mit lautem, selbstbewussten Rufen oder Klatschen bemerkbar machen. "Man sollte sich dann langsam entfernen und dabei stets dem Wolf das Gesicht zurichten."
Falls sich das Tier weiterhin nähert, empfiehlt Frey, "mit Bestimmtheit auf das Tier zuzugehen" und etwas nach ihm zu werfen. "Am besten Steine oder Stöcke."
Rissfunde rund um Greifenstein
Auch die Zahl der Rissfunde nimmt in der Region zu. Erst vergangenes Wochenende wurde nicht weit entfernt ein totes Tier in einem Wildgehege gefunden.
Laut Eigentümer Patrick Kostka handelte es sich um einen etwa 45 Kilo schweren Damhirsch, der zum Teil bis auf die Knochen abgefressen war. Aus seiner Sicht könne das nur ein Wolf gewesen sein, meint Kostka. "Ein Fuchs macht so was nicht."
Er berichtet: Im vergangenen halben Jahr seien insgesamt elf Tiere im Gehege gerissen worden. Vier Wolfsrisse hat das Wolfszentrum offiziell bestätigt. Den aktuellen Fall untersucht es derzeit noch.
Umgang mit Wolf umstritten
Der Umgang mit dem Wolf ist ein stark umstrittenes Thema, vor allem wegen Konflikten mit Nutztierhalten sowie Vorbehalten und Ängsten in der Bevölkerung. In Hessen war der Wolf rund 150 Jahre lang ausgestorben. Seit 2011 gibt es wieder bestätigte Nachweise, und seit 2020 Hinweise auf sesshafte Wölfe.
Die Debatte wurde auch im Vorfeld der Landtagswahl 2023 intensiv geführt. Im vergangenen Jahr entschied das Umweltministerium, den Umgang mit dem Wolf neu zu regeln. Die Zuständigkeit wurde von der Naturschutzverwaltung zur Jagdbehörde verlagert, und der Wolf wurde ins Landesjagdgesetz aufgenommen – allerdings mit ganzjähriger Schonzeit.
Auch der Europarat ebnete kürzlich den Weg, um den Schutzstatus von Wölfen europaweit herabzustufen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisierte das scharf. Er befürchtet eine Verschärfung des Konflikts sowie eine Schwächung des Naturschutzes. Zuletzt verwies er darauf, dass die Zahl der Wolfsrisse in Hessen 2024 zurückgegangen sei.
Reiterinnen: Nichts passiert, aber Angst bleibt
Anika Haas, Marion Mutz und ihren Tieren ist nichts passiert. Trotzdem hat das Treffen mit dem Wolf Spuren hinterlassen.
Haas geht aus Angst vor einer erneuten Begegnung derzeit nicht mehr in den Wald. Mutz wagt sich zwar noch hinein – aber nur bewaffnet mit Pfefferspray. Und dabei drehe sie sich immer wieder um, sagt sie.