Ökologisch und regional Sexy Gemüse aus Darmstadt
Zwei Darmstädterinnen teilen ihre Begeisterung für selbstangebautes Bio-Gemüse. Im Corona-Lockdown haben sie einen Rezepte-Blog ins Leben gerufen, um dem regionalen Gesundmacher ein bisschen mehr "Sexappeal" zu verleihen.
Mama und Papa haben darauf bestanden, auch bei Oma kam sie immer auf den Tisch - meist als Beilage zum Sonntagsbraten: die Portion Gemüse. Denn Gemüse ist schließlich gesund und macht stark, so haben es Generationen von Heranwachsenden mit auf den Weg bekommen. Große Begeisterung ist beim Verzehr von Spinat, Erbsen und gedünsteten Möhren meist nicht aufgekommen, im besten Fall wurde ohne Murren aufgegessen.
Ökologisch, regional, sexy
Die Darmstädter Hobbygärtnerinnen Susanne "Susi" Hecker und Christine "Chrissy" Spira haben es sich jetzt zur Aufgabe gemacht, den Ruf des gesunden Lebensmittels aufzupolieren und bei Kochenden und Essenden gleichermaßen die Begeisterung für regionales Gemüse zu wecken. Dazu haben sie im Corona-Lockdown den Foodblog "Sterneacker" ins Leben gerufen.
Dort teilen die Frauen ihre Erfahrungen beim Anbau und jede Menge ausgefallene Rezepte. Ihr Motto: ökologisch, regional, sexy. "Unser Ansinnen ist, Gemüse mal ein bisschen sexyer, attraktiver, spannender und internationaler zu präsentieren und zu zeigen, was aus einfachen Zutaten entstehen kann", erklärt Susi im Gespräch mit dem hr.
Klickt man sich durch den Blog, wird schnell klar, was sie damit meint: Dort finden sich unzählige Fotos von ästhetisch drapierten Gerichten aus aller Welt, versehen mit appetitanregenden Namen wie "Fisch-Paprika-Kokos-Traum aus Bahia" oder "Lammrücken an Muskatkürbispüree mit Grünkohl und jungen Schalotten in Granatapfelcassis". Keine Spur von der klassischen Sonntagsbraten-Beilage.
Vom Acker in den Blog
Für Gerichte, die auf ihrem Blog landen, gibt es allerdings eine grundlegende Bedingung: Sie müssen ein Gemüse enthalten, dass bei ihnen auf den Äckern gewachsen ist. Ihre Äcker, das sind zwei Saisongärten am Darmstädter Oberfeld, einem Naherholungsgebiet am östlichen Stadtrand. Dort haben sich die 56 Jahre alte Susi und die acht Jahre jüngere Chrissy im vergangenen Sommer auch kennengelernt. "Wir haben uns quasi von Acker zu Acker ausgetauscht. 'Wie machst du dies?', 'Wie machst du das?'", beschreibt Susi ihr Kennenlernen.
Neben ihren Unterschieden - die zweifache Mutter Susi ist Sprachtrainerin und Übersetzerin und isst auch gerne Fleisch während Chrissy als Fotografin die Welt bereist und größtenteils vegan lebt - haben sie schnell festgestellt, dass sie drei große Leidenschaften teilen: Gemüse, Gesellschaft und Genuss. Mittlerweile ist daraus eine echte Freundschaft entstanden.
Im Lockdown haben die beiden beschlossen, dem Corona-Blues mit etwas "Positivem und Konstruktivem" zu begegnen, wie Susi erklärt. "Bei einem gemeinsamen Essen entstand dann im Herbst die Idee zu Sterneacker." Susi ist diejenige, die leidenschaftlich kocht und auch gerne schreibt, Chrissy steuert als Fotografin die professionellen Bilder bei.
Internationale Gäste in der Küche
Zum Kochen holen sich die Bloggerinnen auch gerne Verstärkung. "Wir lassen alle möglichen Leute aus verschiedenen Ländern für uns kochen", sagt Chrissy. Eine Inderin und eine Marrokkanerin waren bereits zu Gast, auch ein kurdisches und ein schwedisches Menü finden sich unter den Rezepten. Kürzlich hat eine Studentin von den Virgin Islands ein karibisches Kartoffel-Kichererbsen-Curry für Sterneacker zubereitet, der Koch des Darmstädter Woog-Cafés steuerte einen grantinierten Radicchio-Salat an Bohnen-Cassoulet bei.
Im Zentrum stehen dabei vor allem Spaß, Genuss und Geselligkeit - und natürlich gesunde Ernährung. "Wir probieren auch selbst ganz viel in der Küche aus", sagt Chrissy. "Dabei entstehen manchmal ganz besondere Sachen, manche Sachen gehen aber auch in die Hose." Nach der Pandemie wollen sie noch mehr Leute zusammenbringen, öfter zusammen essen und eine größere Community aufbauen.
Alles natürlich
Auch auf dem Acker sind Chrissy und Susi experimentierfreudig. Neben klassischen Sorten wie Kartoffeln, Zucchini oder Radieschen ziehen sie auch außergewöhnliche Sorten wie runde Zucchini oder längliche Kürbisse. Beim Anbau selbst achten sie auf ökologische und nachhaltige Zucht. "Wir verwenden nur samenfeste Sorten, die sich nicht verändern und deren Samen man im nächsten Jahr wieder einpflanzen kann", erklärt Susi.
Damit wollen sie auch ein politisches Statement setzen. "Wir entscheiden am Kochtopf über die Produktionsweisen und die Absatzmärkte von Essen und dessen Herstellung", heißt es auf der Internetseite. Als mündiger Verbraucher mache man über sein Ess- und Konsumverhalten basisdemokratische Politik.
Auf der Suche nach Ackerland
Jetzt im Frühling sind Susi und Chrissy wieder öfter auf ihren Feldern zu finden, denn seit Anfang Mai sind die Saisongärten geöffnet. Spätestens im November ist dann aber wieder Schluss, wenn die Gärten schließen. "Im Winter mussten wir für unsere Rezepte Bio-Gemüse dazu kaufen", gibt Susi zu.
Und weil die Rezepte ja eigentlich Gemüse aus Eigenanbau enthalten sollen, träumen beide von einem Stück Land, dass sie ganzjährig bewirtschaften können. Wer zufällig ein bisschen Land in und um Darmstadt übrig hat, darf sich gerne bei den beiden melden.
Dann könnten sie auch mehrjährige Gemüsesorten, wie etwa Bärlauch, Rhabarber und Artischocken, anbauen und die Rezepte-Rubrik noch ein klein wenig sexyer gestalten. Vielleicht findet man dort dann ja Rezepte wie "Betörendes Bärlauch-Büffet" oder "Romantisches Rharbarber-Rendezvous".
Sendung: hr1, 15.5.2021, 12:30 Uhr