Unterwegs mit der "Ermittlungsgruppe Tuner" So sieht der Kampf gegen Raser in Kassel aus

Autos und Motorräder, die mitten in der Nacht mit heulendem Motor durch die Stadt heizen? Nicht nur eine Lärmbelästigung, sondern auch gefährlich, so die Polizei. Eine spezielle Ermittlungsgruppe soll Raser in Kassel jetzt ausbremsen. 

Archivbild: Die Polizei kontrolliert Raser.
"Ihre Papiere bitte" - ein Satz, der bei Kontrollen schon mal zu hören ist. Bild © picture-alliance/dpa
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"Der Motorradfahrer ist abgehauen", schallt es aus dem Funkgerät der Zivilstreife. Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Der Motorradfahrer kommt der Streife entgegen. Oberkommissar Harald Lattermann fährt über zwei Spuren, schneidet ihm den Weg ab und springt aus dem Auto.

Er stellt sich vor das Motorrad, damit der Fahrer nicht türmen kann. "Den Motor aus!“, brüllt der Oberkommissar den Mann an, damit er es trotz des Helmes versteht. "Das ist eine Verkehrskontrolle. Wir kontrollieren den Führerschein, Fahrzeugschein, Personalausweis." 

Jede Kontrollnacht ist anders

Kaum ist die Sonne untergegangen, werden die Verkehrskontrollen der Zivilstreife von Harald Lattermann richtig intensiv. Seine Ermittlungsgruppe – die "EG Tuner" – sucht an vier Tagen in der Woche Raser in Kassel, also Menschen, die entweder zu laut oder zu schnell durch die Stadt fahren. 

Wie genau so eine Kontrollnacht abläuft, das lässt sich vorab nicht sagen. "Wir machen uns ein Bild, wie das Aufkommen vom Verkehr ist und wie viele Menschen sich bewegen. All das verändert sich im Laufe des Abends immer wieder", erklärt Lattermann. Nur die Route bleibt gleich: Eine Schleife durch Kassel und über die von Clubs und Bars gesäumte Friedrich-Ebert-Straße. 

Wie zügig ist zügig? 

Dort ist auch der 24-jährige Motorradfahrer aufgefallen. Gerade zum Stehen gekommen, wird er erst einmal überprüft. Er ist heute bereits das dritte Mal von der Polizei gesichtet worden. Einmal ist er den Beamten entwischt, zwei Mal musste er anhalten. Ein Polizist erklärt ihm, er sei zu zügig unterwegs gewesen. Der Motorradfahrer möchte es genau wissen: "Was heißt zügig?" 

"Zügig heißt zu schnell, viel zu schnell, innerorts gilt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h. Sollten Sie wissen, wenn Sie einen Führerschein gemacht haben", antwortet der Streifenpolizist mit ruhiger Stimme. "Ja, das weiß ich", entgegnet der Angehaltene.

Unnötiges Hin- und Herfahren ist teuer

Die Zivilpolizisten hatten ihn dabei beobachtet, wie er viel zu schnell und in Schlangenlinien durch die Stadt fuhr. Die Folge: Ein Platzverweis für die Innenstadt. Und ein Bußgeld für "unnötiges Hin- und Herfahren" - das ist ein Verstoß gegen Paragraf 30, Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung. Kostenpunkt: rund 100 Euro. 

Zwei Polizisten der Verkehrsinspektion Baunatal arbeiten fest in der Ermittlungsgruppe Tuner. Sie waren bereits in der früheren siebenköpfigen AG Poser aktiv. Vervollständigt wird die neue Gruppe durch eine Konstellation wechselnder Polizisten aus Revieren in ganz Nordhessen. Die Arbeitszeit von 42 Stunden pro Woche ist für alle gleich. 

Die Gesundheit steht im Vordergrund 

Die Kontrolle des 24-Jährigen ist noch nicht vorbei. Es lägen mehrere Beschwerden gegen den Mann vor. Sein Motorrad sei zu laut. Mit einem Messgerät prüfen sie die Lautstärke des Auspuffs. "Etwas mehr als 100 Dezibel", stellen die Polizisten fest. "Gerade noch in der Toleranz." 

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Raser in Kassel: Unterwegs mit der Polizei

Polizisten im Nachteinsatz
Bild © hr
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Doch bereits ab 85 Dezibel können langanhaltende Geräusche das Gehör laut Weltgesundheitsorganisation WHO dauerhaft schädigen. Die Gesundheit sei für den Gesetzgeber der Hauptgrund gewesen, die Kontrollen zu erhöhen, so Lattermann. "Wenn alle zwei Minuten jemand mit Knattermotor vorbeifährt, ist das natürlich unangenehm und nervt. Keiner hat daran Freude, außer der Fahrzeugführer", sagt er.  

Der Motorradfahrer sieht das anders. Er frage sich, weshalb die Polizei ihn herausgezogen habe. "Ich gebe zu, ich mache ein bisschen Lärm während der Fahrt, drehe ein bisschen den Motor auf, aber die Leute beschweren sich bestimmt nicht wegen meiner Fahrweise, sondern einfach, weil es sie stört", sagt er den Polizisten. Aus Spaß fahre er auch einmal Schlangenlinien, aber die Lautstärke störe ihn nicht. Er sei ja noch jung.  

Anwohner sind verärgert über Ignoranz 

Einen Anwohner verärgert diese Ignoranz. Er erzählt dem hr, dass ihn die Lautstärke in seinem Wohngebiet verrückt mache. Sobald die Saison losgehe, kämen die Raser an jedem Wochenende in sein Wohngebiet in Waldau. Es sei quasi zu einem Sport geworden, sich hochmotorisierte Autos zu mieten und damit auf dem Parkplatz des Discounters zu "posen". Die 30er-Zone daneben werde zur Rennstrecke. 

Das habe für ihn auch gesundheitliche Auswirkungen: "Ich war sogar einmal kurz davor den Rettungsdienst zu rufen", erzählt er. Mit offener Balkontür wache er oft durch die knallenden Auspuffanlagen auf und bekomme Herzrasen. Als er das gegenüber den Rasern angesprochen habe, sei er bedroht und als "Nazi" betitelt worden. Deshalb möchte er anonym bleiben. 

52 illegale Autos stillgelegt 

Auch aufgrund solcher Vorfälle versucht die Polizei vermehrt gegen die Raser in und um Kassel vorzugehen. Tuning selbst sei zwar nicht illegal, allerdings müssten Anbauten an Fahrzeugen immer auch eine Zulassung in Deutschland haben, erklärt Oberkommissar Lattermann. Bei insgesamt 432 Kontrollen im Jahr 2023 habe die Einheit deshalb schon 52 Autos aus dem Verkehr gezogen. Außerdem seien elf Fahrer unter Drogeneinfluss gestoppt worden, einer alkoholisiert.  

Die Ermittlungsgruppe der Autobahnpolizei ist seit rund zwei Jahren im Einsatz. Besonders im Sommer, sobald die Sonne weg ist, kommen die Tuner mit ihren Wagen vor die Tür. Die Schicht dauert deshalb bis 4 Uhr am Morgen.  

Die Ausrüstung lässt auf sich warten 

Auf dem Weg durch ein Gewerbegebiet außerhalb von Kassel überholt ein BMW die Zivilstreife – außerorts, aber in einer 50er-Zone. Die Polizisten halten ihn an. Die Teile am Auto sind alle eingetragen. Der 19-jährige Fahrer kommt mit einer Verwarnung davon. 

Denn um den Verkehrsverstoß zu ahnden, müsste der 280-PS-Bolide der Autobahnpolizei noch besser ausgerüstet sein. Es fehlt der neuen Einheit an einem sogenannten ProViDa, einem speziellen Videomessgerät. Bestellt sei es schon, doch auch die Polizei muss auf die Ausrüstung warten, sagt Lattermann. Deshalb konzentriere man sich vor allem auf die sichtbaren Veränderungen.  

Ein Dodge Charger taucht auf der Straße auf: "Normalerweise würden wir den jetzt eine Stunde kontrollieren." Dafür habe die Einheit aufgrund einer Fahndung gerade jetzt nicht die Zeit. "Aber irgendwann wird auch der noch drankommen", schließt der Polizist. Zu tun gibt es also noch mehr als genug, für die Ermittlungsgruppe Tuner in Kassel. 

Weitere Informationen

Sendung: hr-iNFO, 14.08.2023, 8.22 Uhr

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Quelle: hessenschau.de