Fair-Projekt in Darmstadt Teilchenbeschleuniger kostet Bund und Land 600 Millionen Euro extra
Bislang waren rund drei Milliarden Euro für die Fair-Anlage in Darmstadt vorgesehen - ein Vorzeigeprojekt der Grundlagenforschung. Damit es mit dem Bau weitergehen kann, müssen Deutschland und Hessen nach hr-Informationen über eine halbe Milliarde mehr zuschießen als geplant.
Bis zu 3.000 Forscherinnen und Forscher aus aller Welt sollen einmal in Darmstadt Geheimnisse um die Entstehung des Universums enträtseln. Doch der Griff nach den Sternen wird immer teurer. Und die Mehrkosten dürften für Deutschland und Hessen zu Buche schlagen.
Die bislang letzten Angaben für die Gesamtkosten für den Teilchenbeschleuniger namens Fair stammen aus dem Jahr 2019 und beliefen sich auf 3,1 Milliarden Euro. Doch diese Angaben sind spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine überholt.
"Aufgrund der weltwirtschaftlichen und geopolitischen Rahmenbedingungen lässt sich die Fair-Anlage mit den bisher durch die Gesellschafter zur Verfügung gestellten Mitteln nicht fertigstellen", teilt das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung auf hr-Anfrage mit. Nach jüngsten Angaben sollte die Anlage 2025 fertig werden, doch schon kurz nach Kriegsbeginn deutete sich an, dass der Zeitplan nicht zu halten sein dürfte.
Es wird teurer - aus etlichen Gründen
Zur Kostensteigerung trage ein ganzes Bündel an Widrigkeiten bei, erläutert das GSI Helmholtzzentrum, das für Fair federführende Forschungszentrum: die Folgen der Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Inflation, die Verknappung der Rohstoffe, die Störung der internationalen Lieferketten, die Explosion der Energiekosten. Konkrete Auswirkungen auf die Gesamtkosten würden zurzeit evaluiert. Eine Neuberechnung stellt GSI für die Zeit nach dem Treffen der Fair-Gesellschafter Anfang März in Aussicht.
In welchen Dimensionen die Kostensteigerung liegen wird, geht aus einem Sonderbericht des Bundesforschungsministerium zu dem Projekt hervor. Er wurde am Montag den Mitgliedern des Haushaltsausschusses im Bundestag vorgelegt. Demnach müssen der Bund und das Land Hessen mindestens fast 600 Millionen Euro zusätzlich bereitstellen, damit die Fair-Anlage weitergebaut werden kann.
Fall für den Haushaltsausschuss
Konkret weist der Bericht für die Ausbaustufe "First Science" allein für den Bund Mehrkosten von mindestens 518 Millionen Euro aus. Es könne aber auch, je nach Inflationsrate, bis zu 659 Millionen Euro teurer werden. Diese Mittel kommen zu den bereits bewilligten und teils schon verbauten 2,1 Milliarden Euro des Bundes hinzu.
"First Science" gilt als Einstiegsstufe für die Grundlagenforschung mit Schwerionen, ab der mit neuen Erkenntnissen zu rechnen ist. Weiterführende Ausbaustufen - mit voraussichtlich mehr Erkenntnisgewinn - zögen Mehrkosten von bis zu 720 Millionen Euro für den Bund nach sich, so steht es im Sonderbericht.
Bislang machte das von der hessischen FDP-Vorsitzenden Bettina Stark-Watzinger geführte Forschungsministerium den Sonderbericht nur einem kleinen Kreis von Haushaltspolitikern im Bundestag zugänglich. Um die Mittel bewilligt zu bekommen, benötigt die Ministerin die Zustimmung des Parlaments. In der Sitzung des Haushaltsausschusses an diesem Mittwoch steht Fair voraussichtlich auf der Tagesordnung.
Hessische Ministerin wirbt für Finanzspritze
Die Kosten für Fair übernehmen der Bund zu rund 60 Prozent und das Land Hessen zu 9,4 Prozent. Hessen muss aufgrund der Kostensteigerung mit zusätzlichen Ausgaben von mindestens 68 Millionen Euro rechnen. Nach hr-Informationen hat Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) hinter den Kulissen im Landtag bereits für die zusätzliche Finanzspritze für den Teilchenbeschleuniger geworben.
Während Bund und Land knapp 70 Prozent an Fair halten, teilt sich der Rest auf Forschungsorganisationen aus Russland, Indien und mehreren europäischen Staaten auf. Russland ist mit knapp 17,5 Prozent der zweitgrößte Partner.
Ausfall Russlands bringt neue Probleme
Nach dem Überfall auf die Ukraine wurde die Zusammenarbeit mit Russland ausgesetzt. Die Fair-Gesellschafter prüften einen Ausschluss Russlands und seiner Agentur für Atomenergie, Rosatom, aus ihrem Kreis. "Unter dem aktuellen Sanktionsregime und der aktuellen Einstufung des russischen Gesellschafters ist ein Ausschluss nicht rechtssicher möglich", heißt es in einem weiteren Bericht des Bundesforschungsministeriums dazu.
Ob die übrigen Partner mehr Geld zuschießen und wie sie den Ausfall Russlands langfristig auffangen können, steht auf der Tagesordnung der Sitzung der Fair-Gesellschafter am 9. und 10. März. Allerdings macht sich die Bundesregierung offenbar wenig Hoffnung, dass die Teilnehmer in Spendierlaune anreisen. Deutschland müsse in Vorleistung gehen, um das Projekt zu sichern, "da die internationalen Partner in der Regel mehrere Jahre benötigen, um die entsprechenden Mehrkostenanteile einzuwerben".
Ohne frisches Geld droht Totalverlust in Milliardenhöhe
Ohne frisches Geld sei, so steht es im Sonderbericht des Bundesforschungsministeriums, von einem Totalverlust der bereits verbauten und verplanten Mittel in Milliardenhöhe auszugehen. Hinzu kämen Probleme beim Rückbau der Baustelle des Teilchenbeschleunigers in einem Naturschutzgebiet in Darmstadt-Wixhausen. Stark-Watzingers Ministerium befürchtet auch einen Imageschaden: "Mit dem Abbruch würde das Vertrauen in die Fähigkeit Deutschlands, Großprojekte am eigenen Standort zu realisieren, erheblich gestört."
So gilt für den Teilchenbeschleuniger offensichtlich dasselbe Prinzip, das während der Finanzkrise von 2008 für ins Schlingern geratene Großbanken galt: too big to fail, zu groß zum Scheitern.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 28.02.2023, 19.30 Uhr
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