Tod einer Vierjährigen Staatsanwaltschaft wirft Narkosearzt Mord vor

Im Prozess gegen einen Anästhesisten aus Bensheim beantragt die Staatsanwaltschaft eine lebenslange Haft. Er soll in einer Zahnarztpraxis in Kronberg den Tod einer Vierjährigen verursacht haben.

Ein Mann, dessen Gesicht verpixelt ist, steht neben seinem Rechtsanwalt vor einem Tisch im Gerichtssaal.
Der angeklagte Anästhesist (links) und sein Anwalt bei einem vorherigen Verhandlungstag im Gerichtssaal. Bild © Imago Images
  • Link kopiert!

Lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes durch Unterlassen: Das hat die Staatsanwaltschaft am Freitag im Prozess gegen einen Narkosearzt aus Bensheim (Bergstraße) gefordert.

Der heute 67-Jährige soll Kindern im Herbst 2021 in einer Zahnarztpraxis in Kronberg (Hochtaunus) verunreinigtes Narkosemittel gespritzt haben. Daraufhin hätten sie eine Blutvergiftung erlitten. Um dies zu verdecken, habe er die kleinen Patienten trotz ihres kritischen Zustands nicht in eine Klinik einweisen lassen, sagte eine Staatsanwältin vor dem Landgericht Frankfurt.

Audiobeitrag
Ende des Audiobeitrags

Ein vierjähriges Mädchen starb in der Nacht nach der Behandlung an einer Sepsis. Bei rechtzeitiger medizinischer Behandlung hätte es überlebt, davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Drei weitere Kinder wurden in den Folgetagen in der Frankfurter Uniklinik behandelt, zwei von ihnen überlebten nur knapp.

Anklage sieht Mindestanforderungen nicht erfüllt

Laut Anklage erfüllte der Arzt im Herbst 2021 die Mindestanforderungen an Sicherheit und Hygiene nicht. Unter anderem habe er Narkosen ohne Assistenzkraft durchgeführt und Einwegspritzen mehrfach verwendet.

Zudem soll er eine Flasche des Narkosemittels Propofol bei mehreren Patienten angewandt haben, obwohl diese nur zur einmaligen Anwendung an einem einzigen Patienten bestimmt sei.

"Müssen nicht so eine Welle machen"

Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, Fragen der besorgten Eltern, ob sie ihr Kind in eine Klinik bringen sollten, abgewiegelt zu haben. Zur Zahnärztin soll er am Tag nach dem Tod des Mädchens gesagt haben, man müsse "nicht so eine große Welle machen". Zu diesem Zeitpunkt schwebten die anderen drei Kinder noch in Lebensgefahr.

"Dieser Satz sagt schon alles über seine Verdeckungsabsicht", sagte die Staatsanwältin: "Die Nichtalarmierung brachte ihm Zeit." Schließlich sei ihm als Arzt klar gewesen, dass sich Sepsis-Erreger im Körper im Laufe der Zeit immer schwerer nachweisen ließen.

Außerdem sei die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass der Praxismüll und damit wichtige Beweismittel nicht mehr hätten gesichert werden können.

Zunächst schwächere Anklage

Zu Prozessbeginn hatte die Anklage zunächst auf Körperverletzung mit Todesfolge und gefährliche Körperverletzung plädiert. Anfang Oktober wies die Richterin darauf hin, dass auch eine Verurteilung wegen Totschlags und versuchten Totschlags möglich sei.

Der Anästhesist sei auch des versuchten Mordes an den weiteren Kindern schuldig, sagte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer am Freitag. Sie beantragte, den Mann mit Urteilsverkündung in Haft zu nehmen. Zudem solle ein Berufsverbot ausgesprochen werden.

Verteidigung: keine Tötungs- oder Verdeckungsabsicht

Der Verteidiger des Angeklagten stellte in seinem Plädoyer keinen konkreten Strafantrag. Sein Mandant habe versucht, das Leben des Mädchens zu retten, sagte der Anwalt. Es gebe keine Hinweise auf eine Tötungs- oder Verdeckungsabsicht.

Der Angeklagte verfolgte die Plädoyers äußerlich unbewegt. In seinem letzten Wort sagte er nur, er schließe sich den Ausführungen seines Anwalts an.

67-Jähriger gibt Fehler zu

Im Laufe des Prozesses hatte der 67-Jährige zugegeben, ihm seien "unbewusst Fehler bei der Behandlung unterlaufen". Er widersprach allerdings dem Vorwurf, Propofol mehrfach verwendet zu haben, und gab an, früher um einen Rettungswagen gebeten zu haben.

Mehr als 25 Jahre lang arbeitete der Mann als niedergelassener Anästhesist. Er war auf ambulante Vollnarkosen für Zahnärzte spezialisiert. In Bensheim betrieb er eine mobile Anästhesie- und Notfallpraxis, mit der er zu den Arztpraxen fuhr.

Vorstrafe wegen fahrlässiger Tötung

Wegen der fahrlässigen Tötung einer erwachsenen Patientin im Jahr 2019 war er bereits vorbestraft. Zudem meldeten sich im Laufe des Prozesses weitere ehemalige Patienten.

So hatte eine Frau im November 2020, also zehn Monate vor den nun angeklagten Taten, nach einer von ihm gelegten Narkose ein Multiorganversagen erlitten. Sie soll ebenfalls nur knapp überlebt haben.

Mittlerweile befindet sich der Arzt im Ruhestand. Im Rahmen des Strafprozesses hat er zugesagt, der Familie des verstorbenen Mädchens 20.000 Euro zu zahlen. Das Urteil soll in der kommenden Woche fallen.

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de, dpa/lhe