Polizei-Prävention gegen Trickbetrug Wie Luna nach einem Schockanruf beinahe 17.000 Euro verlor
Luna war sich sicher, niemals auf Trickbetrüger am Telefon reinzufallen. Aber dann wäre es doch fast passiert. Ihre Geschichte zeigt, wie geschickt Betrüger vorgehen. Die Ermittler befürchten jetzt auch zunehmend den Einsatz Künstlicher Intelligenz.
Auf Trickbetrüger am Telefon hereinfallen? Nein, das würde ihr niemals passieren. Da war sich Luna (Name von der Polizei verändert, Anm. d. Red.) lange Zeit sicher. Bis ihr clevere und professionell arbeitende Kriminelle das Gegenteil bewiesen. Sie wurde vor kurzem Opfer einer perfiden Betrugsmasche, erhielt einen sogenannten Schockanruf und hätte beinahe viel Geld verloren.
Die Frau aus Hünfeld (Fulda) berichtete am Freitag bei einer Info-Veranstaltung der Polizei für Medienvertreter über ihren Fall. Dabei wurde exemplarisch klar, wie die Täter vorgehen und wie sich Trickbetrug am Telefon (weiter)entwickelt.
Luna wollte ihren echten Namen nicht nennen und nicht erkennbar fotografiert werden. Aber sie wollte ihre Geschichte erzählen. Ihre Mission: Andere Menschen sollen daraus lernen.
Steigende Fallzahlen und Schadenssumme
Denn die Fallzahlen steigen. Und betroffen sind nicht nur ältere Menschen, wie die Polizei betonte. Auch junge Menschen werden Opfer. Polizeisprecherin Sandra Suski sagte in Fulda: Selbst sie könne sich nicht sicher sein, immer sofort zu erkennen, wenn sich ein Telefonbetrug anbahne. Das zeigt: Wenn das schon Kriminalisten sagen - wie mag es dann unbedarften Bürgern gehen?
Luna jedenfalls kamen keine Zweifel. Sie tappte in Sekunden in die Falle. Sie erhielt Mitte Oktober einen Anruf und glaubte, es sei ihre Tochter. "Mama, Du musst mir helfen", sagte eine weibliche Stimme. Luna war überzeugt, dass es ihr in Not geratenes Mädchen war.
Dann übernahm prompt eine andere Person das Gespräch und tischte eine abenteuerliche, aber immer wieder genutzte Geschichte auf: Die Tochter habe einen Unfall verursacht, ein Mensch sei ums Leben gekommen. Nun könne Luna mit der Zahlung einer Kaution, ihrer Tochter die Untersuchungshaft ersparen. Die Tochter sei ohnehin schon völlig fertig und gesundheitlich angeschlagen.
"Sie übten enormen Druck aus"
60.000 Euro sollte Luna zahlen. Sie ging zur Bank und bekam 17.000 Euro. Damit gab sich das Gegenüber am Telefon zufrieden. Bei dem Schockanruf hielten verschiedene Leute Luna über Stunden permanent am Telefon. "Sie übten enormen Druck. Ich habe nur noch funktioniert", erinnert sie sich.
Luna wurde keine Gelegenheit gegeben, die Geschichte zu überprüfen. Wenn sie auflege, könne man ihr und ihrer Tochter nicht mehr helfen. Dann sei der Deal mit der günstigeren Kaution geplatzt. Durch einige glückliche Umstände gelang es der Polizei, Luna ausfindig zu machen und vor der geplanten Geldübergabe am Amtsgericht in Fulda einzuschreiten.
15 Millionen Euro Schaden in einem Jahr
Für viele andere Opfer endeten solche am Telefon initiierten Betrügereien hingegen mit finanziellen Verlusten. Knapp 15 Millionen Euro erbeuteten Täter im vergangenen Jahr in Hessen, wie das hessische Innenministerium in Wiesbaden auf hr-Anfrage mitteilte. Die Zahl der erfassten Fälle stieg im Jahr 2022 um 100 auf 3.800. Die Aufklärungsquote sank auf 57,8 Prozent.
Die Ermittler gehen zudem von einer hohen Dunkelziffer aus. Geschädigte erstatteten aus Scham oft keine Anzeige. Oder sie erkannten den Betrug, beendeten das Telefonat und informierten nicht die Polizei. Laut Polizei ist das Phänomen Telefonbetrug groß. Neben dem Schockanruf, wie ihn Luna erhielt, gibt es auch die Enkeltrick-Masche, bei der sich Betrüger als Verwandte ausgeben.
Betrugsanrufe von Fake-Polizisten vorgespielt
Aus der Kategorie "falscher Polizeibeamter" führte die Polizei bei der Veranstaltung in Fulda ebenso einen Fall vor. Die Ermittler präsentierten nachgesprochene Passagen von Telefonaten, wie sie sich zwischen Täter und Opfer tatsächlich abgespielt haben.
Ein Betrüger gab an, dass Einbrecher in der Wohngegend unterwegs seien. Der Angerufene könne eines der nächsten Opfer werden. Deswegen solle er ihm Geld und Schmuck aushändigen, um alles in Sicherheit zu bringen. Selbst bei der Bank seien die Habseligkeiten nicht sicher. Dort seien Komplizen zugange.
Mit Psychologie und raffinierten Fragen
Aus den Ton-Dateien geht hervor, wie die Täter mit Psychologie und raffinierten Fragetechniken an Informationen kommen und sich ihrem Ziel schrittweise nähern. Polizei-Sprecherin Suski sagte: "Viele Menschen kennen zwar das Delikt, haben aber keine Vorstellung davon, wie realistisch so ein Trickbetrug tatsächlich abläuft und was es in diesem Moment in den Betroffenen auslöst."
Zudem kommen auch zunehmend technische Tricks zum Einsatz. Betrüger können bei ihren Anrufen auch eine örtliche Vorwahl und die Nummer 110 im Display erscheinen lassen (Call-ID-Spoofing). Die Opfer sollen glauben: Die örtliche Polizei ist am Apparat. Dabei würden Beamte nie vom Notruf aus anrufen, wie die Polizei in Fulda betonte. Doch weit herumgesprochen hat sich das offenbar noch nicht.
"Es kann wirklich jeden treffen"
Um den steigenden Fallzahlen und immer neuen oder veränderten Methoden zu begegnen, hat auch das Polizeipräsidium Osthessen am Freitag den Start einer Präventionskampagne verkündet. Sie ist Teil der hessenweiten Initiative Gemeinsam sicher in Hessen. Die Polizei in Fulda stellte wertvolle Verhaltenshinweise im Fall von Schockanrufen und Trickbetrug zusammen. Und so warnte auch der Fuldaer Polizeipräsident Michael Tegethoff: "Trickbetrug ist vielfältig. Es kann wirklich jeden treffen."
Die Tätergruppen aus der organisierten Kriminalität seien international tätig und gingen arbeitsteilig vor. Die Anrufe kommen laut Polizei aus Call-Centern in Osteuropa und der Türkei. Eingesetzt würden dabei auch Akteure, die regionalen Dialekte beherrschen, um Nähe zu vermitteln.
"Das macht uns Sorgen"
Die Polizei ist auch zum Handeln aufgerufen, weil sich die organisierte Kriminalität im Bereich Trickbetrug weiterentwickelt und modernste Technik verwendet. Polizeipräsident Tegethoff schwant Böses: "Ich mag mir noch gar nicht vorstellen, was die KI, die Künstliche Intelligenz, dabei noch für eine Rolle spielen wird. Das macht uns Sorgen."
Stimmen können mit Hilfe der KI nachgeahmt werden. Opfern soll der Eindruck vermittelt werden, dass sich tatsächlich Angehörige bei ihnen melden.
Künstliche Intelligenz als neue Gefahr
"Wir gehen davon aus, dass sich mit dem Aufkommen der Künstlichen Intelligenz Quantität und Qualität beim Trickbetrug steigern wird", sagte Präventionsexpertin Andrea Bachmann von der Kriminalpolizei Fulda. Täter müssten dafür nicht mal Accounts hacken. Sie könnten bereits leichter zugängliche Ton-Schnipsel aus Social-Media-Beiträgen nutzen und in neue Passagen für Betrugstelefonate verwandeln.
Luna kann sich bis heute nicht sicher sein, ob die Stimme ihrer Tochter täuschend echt imitiert wurde oder dabei Künstliche Intelligenz verwendet wurde - auch die polizeilichen Ermittlungen brachten keine Klarheit. Luna ist sich sicher: "Es war die Stimme meiner Tochter."
Sendung: hr4, 15.12.2023, 14.30 Uhr
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