Hessischer Verwaltungsgerichtshof Umstrittene Parole bei Pro-Palästina-Demo in Frankfurt erlaubt
Für die einen spricht "From the river to the sea" Israel das Existenzrecht ab, für die anderen ist es eine freie Meinungsäußerung. Nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober sollte sie als unerlaubt gelten. Der VGH hat nun entschieden: Die Parole darf bei einer Demo nicht verboten werden.
Die Äußerung der Parole "From the river to the sea" durfte während einer propalästinensischen Demonstration am Freitagabend in Frankfurt von der Stadt nicht untersagt werden. Das hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) am Freitagmittag in Kassel entschieden (AZ 8 B 560/24).
Die Kundgebung, an der laut Polizei mit 75 Demonstrierenden deutlich weniger als die angekündigten 500 Menschen teilnahmen, wurde mit dem Namen "From the river to the sea - Palestine will be free! Für ein freies Palästina für alle Menschen!" angemeldet. Die Parole, übersetzt: "Vom Fluss bis zum Meer – Palästina wird frei sein", geht zurück auf die 1960er Jahre. Sie wurde damals von der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO verwendet, um auszudrücken, dass ein einziger Staat vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer angestrebt wird – darunter würde auch das Gebiet Israels fallen.
Strafbarkeit zweifelhaft
Die Aussage gilt als juden- und israelfeindlich. Die Stadt Frankfurt untersagte die Aussage "From the river to the sea" in mündlicher und schriftlicher Sprache. Die Organisatoren wandten sich beim Verwaltungsgericht Frankfurt gegen das Verbot und bekamen Recht.
Der 8. Senat des VGH bestätigte diese Entscheidung und wies die Beschwerde der Stadt gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zurück. Die Frankfurter Richter hätten die Verfügung der Stadt zutreffenderweise als offensichtlich rechtswidrig bewertet, hieß es zur Begründung.
Am Freitagabend teilte der VGH zudem mit, dass ähnliche Verbote für eine Demonstration am Samstag ebenfalls rechtswidrig seien.
Der VGH-Senat sah eine Strafbarkeit der Parole "From the river to the sea" bei der in einem Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung als äußert zweifelhaft an. Bei der strafrechtlichen Einordnung dieser Parole sei zwar zu berücksichtigen, dass damit der Wunsch nach einem freien Palästina vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer – einschließlich des Gebiets Israels in seinen heutigen Grenzen – ausgedrückt werde. Die Parole sage aber nichts darüber aus, wie dieses – politisch hoch umstrittene – Ziel erreicht werden solle.
Keine Hinweise auf Gewaltaufruf
Grundsätzlich seien politisch verschiedene Mittel und Wege denkbar, dieses abstrakte Ziel zu erreichen, beispielsweise durch völkerrechtliche Verträge, eine Zwei-Staaten-Lösung, einen einheitlichen Staat mit gleichen Bürgerrechten für Israelis und Palästinenser oder aber mittels des bewaffneten Kampfes. Ob die aufgezeigten alternativen Wege politisch realistisch seien, sei dabei unerheblich, so die Kasseler Richter.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Verwendung des Slogans durch den Antragsteller zwingend als Aufruf zu Gewalt und Terror gegen Israel zu verstehen sei, habe die Stadt nicht vorgetragen und seien für das Gericht auch nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht Frankfurt wies darauf hin, dass die Organisatoren der Demo ausdrücklich ein freies Palästina für alle Menschen gleich welcher Religion forderten.
Es kommt auf den Kontext an
Eine Strafbarkeit der Äußerung folge bei einer summarischen Prüfung weder aus dem Strafgesetzbuch noch aus dem Vereinsgesetz, entschieden die VGH-Richter weiter. Das Vereinsverbot des Bundesinnenministeriums gegen die Hamas umfasst nach Auffassung des Senats allein die Verwendung der Parole im Kontext mit der verbotenen Vereinigung. Ein vollständiges präventives Verbot der Äußerung der Parole rechtfertige es nicht.
Unabhängig davon falle eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu Gunsten des Antragstellers aus, erklärte der Hessische Verwaltungsgerichtshof. Der Beschluss ist nicht anfechtbar.
Die bisherige Rechtsprechung folgt diesem Muster: Es komme auf den Kontext an, in dem der Satz "From the river to the sea – Palestine will be free" falle. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel mit rund 1.200 Toten und hunderten Entführten am 7. Oktober 2023 sprachen sich mehrere Politiker, darunter Hessens damaliger Justizminister Roman Poseck (CDU), dafür aus, die Äußerung grundsätzlich unter Strafe zu stellen.
Kritik vom Antisemitismusbeauftragten
Der hessische Antisemitismusbeauftragte reagierte entsetzt auf die Entscheidung. "Wenn Israelhasser grünes Licht für ihre Vernichtungswerbung gegen Israel auf deutschen Straßen bekommen, dann ist dies ein schlimmer Tag für Deutschland", sagte Uwe Becker (CDU) am Freitagnachmittag. Für ihn sei die Parole eindeutig eine Forderung nach "keinem freiheitlichen, sondern einem judenfreien Land".
Jede andere Auslegung verkenne die gesellschaftliche Realität, sagte Becker: "Ich bin entsetzt darüber, dass genau dies in den nächsten Stunden in Frankfurt möglich sein soll."
Redaktion: Stephan Loichinger
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 23.03.2024, 19.30 Uhr