Ausnahmezustand in Gießen Verstöße gegen Waffenverbotszone vor Beginn des Eritrea-Festivals

Es ist politisch hochumstritten und gerichtlich umkämpft: In Gießen soll am Wochenende das Eritrea-Festival stattfinden. Eine erste Gegendemonstration gab es schon. Nach einem "Gewaltexzess" im vorigen Jahr ist die Polizei mit einem Großaufgebot vor Ort.

Polizeiauto vor Messehalle
Die Gießener Polizei ist am Wochenende rund um das Messegelände mit hunderten Einsatzkräften vor Ort Bild © Alexander Gottschalk
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Ausnahmezustand in Gießen: Rund um die Messehallen ist die Anspannung deutlich zu spüren. Innen wird aufgebaut, vor den Hallen stehen mehrere Mannschaftswagen der Polizei, an vielen Orten in der Innenstadt hängen Schilder, die auf eine temporäre Waffenverbotszone hinweisen, die für dieses Wochenende verhängt wurde.

Nachdem es laut Polizei rund um das Eritrea-Fest im vergangenen August zu einem "Gewaltexzess" mit rund 30 Verletzten gekommen ist, will die Polizei auch in diesem Jahr auf unterschiedlichste Szenarien vorbereitet sein. Hunderte Polizisten sind vor Ort.

Bereits in der Nacht auf Freitag kam es in Gießen zu einer Vielzahl an Kontrollen und auch zu Festnahmen. Die Polizei identifizierte einen 47 Jahre alten Mann, der offen zu Straftaten aufgerufen hat. Er und fünf seiner Begleiter wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen. Außerdem erteilte die Polizei in der Nacht zwölf Platzverweise und stellte zahlreiche Verstöße gegen die vom Landkreis Gießen eingerichtete Waffenverbotszone fest.

Bis zu 2.500 Besucher pro Tag erwartet

Im Konflikt um das Festival stehen sich in Deutschland lebende Kritiker und Unterstützer des eritreischen Regimes unversöhnlich gegenüber. Seit dem späten Freitagnachmittag steht fest: Die Veranstaltung darf stattfinden, ein Eilantrag der Stadt bezüglich eines möglichen Verbots wurde vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel abgelehnt.

Es wird erwartet, dass zum Eritrea-Festival am Samstag und Sonntag jeweils bis zu 2.500 Besucherinnen und Besucher kommen werden. Zudem sind zwei Gegendemonstrationen mit jeweils 300 Teilnehmenden für Freitag- und Samstagnachmittag angemeldet. Eine erste Demo fand am Freitagnachmittag statt.

Kritiker werfen Veranstaltern Propaganda vor

Offiziell handelt es sich um eine Kulturveranstaltung, angemeldet vom Zentralrat der Eritreer in Deutschland, der als regierungsnah gilt. Gegner werfen der Veranstaltung vor, es gehe dabei darum, Propaganda für das Regime und Machthaber Isaias Afewerki zu machen und auch Spenden dafür zu sammeln.

Regenschirm, Eritrea
Zum Eritrea-Festival in Gießen werden rund 2.500 Besucher am Tag erwartet Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)

Einer der Kritiker ist David Tekle aus Darmstadt. Er will in den kommenden Tagen in Gießen gegen das Festival demonstrieren. Der 41-Jährige sagt: Seine Familie sei in Eritrea direkt von Armut und Unsicherheit betroffen, einer seiner Brüder sei gegen seinen Willen vom Regime zum Militärdienst eingezogen worden. Er selbst habe deshalb das Land verlassen.

Tekle meint: "Dieses Festival wird von den Anhängern finanziert und das Leid meiner Familie wird dadurch verlängert." Wie viele Eritreer sei auch er wütend auf das Regime und dessen Unterstützer. "Manche können mit der Wut umgehen, manche nicht", meint er. "Man sollte aber nicht zu Gewalt aufrufen."

Aktivistin spricht von "Massenmobilisierung"

Auch die Frankfurter Ärztin und Aktivistin Ruth Bahta, die eritreische Wurzeln hat und den Verein United4Eritrea mitgegründet hat, ist vor Ort und will gegen das Festival protestieren. Auch sie wirft den Veranstaltern vor, Propaganda für eine Regierung zu machen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist.

Die Aktivistin beschreibt die Gemeinschaft der in Deutschland lebenden Eritreer als eine "zweigeteilte Parallelgesellschaft": Viele ältere Eritreer, die schon vor Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind, seien tendenziell regierungsnäher, meint Bahta. Sie hätten ein ganz anderes, positiveres Bild von ihrem Heimatland als jüngere, zum Teil erst vor kurzem geflohene Eritreer.

Bahta sagt: Weil die Veranstaltung in Gießen derzeit deutschlandweit die größte dieser Art sei, sei es in den sozialen Medien zu einer "Massenmobilisierung" von Regierungsgegnern gekommen. Oppositionelle hätten sich massiven Drohungen ausgesetzt gesehen, meint sie. Derartige Drohungen soll es aber auch auf deren Seite gegeben haben.

Veranstalter: "Friedliche und familiäre Veranstaltung"

Was genau auf der Veranstaltung passiert und welche Rolle die Politik dort spielt - all das hat der Zentralrat der Eritreer in Deutschland auf hr-Anfrage bisher nicht beantwortet.

In einer Pressemitteilung teilt der Verein schriftlich mit: Das Festival sei eine kulturelle Veranstaltung, die die eritreische Kultur und Traditionen feiere. Es biete auch Menschen anderer Nationalitäten eine Gelegenheit, mehr über Eritrea und seine Menschen zu erfahren.

"Es handelt sich um eine friedliche und familiäre Veranstaltung für jedermann", so die Veranstalter. Das Ziel sei, ein gemeinschaftliches und integratives Miteinander zu fördern.

Stadt Gießen wollte Festival verhindern

Die Stadt Gießen verbot das Festival nach den Gewaltausbrüchen im vorigen Jahr aufgrund von Sichheitsbedenken zunächst und stützte sich sowohl auf das Gaststätten- als auch auf das Polizeirecht. Der Veranstalter reichte jedoch einen Eilantrag gegen das Verbot ein und bekam schließlich vor dem Gießener Verwaltungsgericht Recht – der Hessischen Verwaltungsgerichtshof kippte das Verbot jedoch.

Bürgermeister Alexander Wright (Grüne) sagte vor dem finalen Urteil zum hr: Man tue alles, um die Sicherheit in Gießen zu gewährleisten und sei sowohl mit der Polizei, den Veranstaltern und Gegendemonstranten im Gespräch. Eine Sorge sei, dass es nicht vor, sondern in den Messehallen zu Ausschreitungen kommen könnte.

Alexander Wright
Gießens Bürgermeister und Ordnungsdezernent Alexander Wright (Grüne) Bild © Katrina Friese

"Wir wissen aus der Erfahrung vom letzten Jahr, dass es ein gewisses Gewaltpotenzial gibt und es dort auch Störungen von innen gab, weil Gegner des Regimes in die Halle eingedrungen sind", so Wright. Die Polizei könne eine Veranstaltung von außen schützen - innen sei aber der Veranstalter zuständig.

Auf die Anfrage, warum die Messe Gießen der umstrittenen Veranstaltung trotz der bekannten Kritik und den Ausschreitungen im vergangenen Jahr auch dieses Mal Räume zur Verfügung stelle, teilt die Messe mit: "Wir vermieten frei von Diskriminierung." Über genaue Sicherheitsmaßnahmen erteile man keine Auskünfte.

Polizei mit Wasserwerfer und hunderten Einsatzkräften vor Ort

Die Gießener Polizei ist nach eigenen Angaben auf verschiedene Szenarien vorbereitet und spricht von einer "Großlage". Polizeisprecher Christopher Pfaff will zwar nicht genau sagen, mit wie vielen Gegendemonstranten und potenziell gewaltbereiten Festival-Gegnern man dieses Jahr rechne, aber: "Wir gehen davon aus, dass möglicherweise auch Personen aus weiterer Entfernung, möglicherweise sogar aus dem Ausland, anreisen könnten."

Pfaff sagt: Nach den Ausschreitungen im vergangenen Jahr sei gegen 109 Personen ermittelt worden, etwa aufgrund von Körperverletzung oder Landfriedensbruch. Man habe deswegen dieses Jahr bei einigen Personen im Vorfeld sogenannte Gefährderansprachen durchgeführt.

Am Wochenende sollen mehrere hundert Einsatzkräfte in Gießen sein, darunter Beamte aus anderen Polizeipräsidien, die für derartige Einsätze bei Veranstaltungen besonders ausgerüstet seien. Auch ein Wasserwerfer ist laut Polizei vor Ort.

Rund um die Messehalle kann es laut Polizei an verschiedenen Stellen Straßensperrungen geben. Zudem sollen in den kommenden Tagen viele Streifen im ganzen Stadtgebiet unterwegs sein, auch um die Einhaltung der temporären Waffenverbotszone zu gewährleisten, die aufgrund des Festivals in der Innenstadt gilt.

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Sendung: hr-iNFO, 07.07.2023, 7.20 Uhr

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Quelle: hessenschau.de/Rebekka Dieckmann, Alexander Gottschalk