Leben auf dem Land verbessern Von wegen Tradwife: Junge Landfrauen wollen ihre Rechte stärken
Die Landfrauenvereine in Hessen gewinnen immer mehr junge Mitglieder. Sie wollen mit Klischees aufräumen, ihre Rechte stärken und das Leben auf dem Land attraktiver machen. Soziale Medien und die Suche nach Anschluss spielen eine Schlüsselrolle.
Kaffee trinken, Kuchen backen, Gartenarbeit – gegenüber Landfrauen gibt es viele Vorurteile. Und die halten sich hartnäckig. Dennoch sprechen die Frauenvereine offenbar auch junge Frauen an. Seit Anfang 2024 verzeichneten die hessischen Landfrauen einen Zuwachs von rund 500 Mitgliedern unter 46 Jahren - denn "jung" bedeutet bei den Landfrauen: bis 45.
Aktuell zählen rund 3.500 Frauen in dieser Altersgruppe zum Landesverband. Sie machen damit ein Zehntel der insgesamt 35.000 Mitglieder aus.
Keine klassischen Hausfrauen
Steckt dahinter ein Social-Media-Trend? In den USA machen sogenannte Tradwives von sich reden – Frauen, die ein traditionelles Rollenmodell wählen, bei dem sie die Rolle der Hausfrau übernehmen, während ihre Männer für das Einkommen sorgen. Von Kritikern wird diese Bewegung als Hindernis für die Gleichstellung der Geschlechter angesehen.
Doch die Landfrauen setzen sich für das Gegenteil ein, betont die hessische Verbandspräsidentin Ursula Pöhlig: "Als größter Frauenverband in Hessen und auch in Deutschland setzen wir uns für die Interessen von Frauen, insbesondere auf dem Land, ein und tragen diese in die Politik." Zu ihren Schwerpunkten gehören Bildung, gesellschaftliche Teilhabe, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und die Förderung von Frauen in der Landwirtschaft.
Was bewegt junge Landfrauen?
Trotz des deutlichen Zuwachses an jungen Mitgliedern bleibt der Großteil der Landfrauen deutlich älter. Und das spiegle sich auch in den Themen wider, die innerhalb des Verbands diskutiert werden, sagt Pöhlig. Während viele ältere Frauen vor allem mit Altersarmut und niedrigen Renten zu kämpfen hätten, gehe es den Jüngeren eher um die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Sorgearbeit.
Doch was bewegt junge Landfrauen wirklich? Warum entscheiden sie sich für eine Mitgliedschaft - trotz aller Klischees? Wie bringen sie ihre Themen ein, und wie erleben sie das Miteinander der Generationen? Wir haben vier junge Landfrauen aus Hessen gefragt:
Lena Koch (25), Junge Landfrauen Odensachsen
"Als ich von Langen nach Odensachsen gezogen bin, wollte ich Teil der Dorfgemeinschaft werden und mich ehrenamtlich engagieren. Ich habe mich regelmäßig mit gleichaltrigen Mädels getroffen, und wir haben typische Aktivitäten auf dem Dorf ausprobiert – zum Beispiel Marmelade eingekocht oder im Garten gearbeitet.
Im Jahr 2023 wollten wir eine eigene Gruppe für junge Landfrauen gründen, uns aber nicht gezielt von dem Ortsverein abgrenzen. Schließlich sind wir den Landfrauen als Untergruppe beigetreten. Das Alter der anderen Mitglieder hat mich anfangs etwas abgeschreckt – die meisten sind über 60, von uns Jüngeren ist keine älter als 35.
Aber das Miteinander funktioniert trotz der Unterschiede erstaunlich gut. Denn wir verfolgen ein gemeinsames Ziel: das Leben auf dem Land attraktiver zu machen. Außerdem sind mir Frauenrechte wichtig – gerade im ländlichen Raum, wo es zum Beispiel deutlich weniger Bäuerinnen als Bauern gibt.
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Inzwischen machen wir Jüngeren etwas mehr als ein Drittel des Vereins aus. Wir bieten gezielt Aktionen für jüngere Frauen an – zum Beispiel Selbstverteidigungskurse oder die jährliche Maibowle-Wanderung - und bewerben sie über Instagram. Natürlich freuen wir uns auch über ältere Teilnehmerinnen.
Beim Bauernmarkt verkaufen die älteren Landfrauen Kuchen, wobei sie regelmäßig von uns Jüngeren unterstützt werden. Wir bieten selbstgemachte Seifen und Badesalze an. Während die ältere Generation am Bargeld festhält, wollen wir mit der Zeit gehen und PayPal einführen.
Mein Umfeld findet es cool, dass ich mich bei den Landfrauen engagiere. Gerade die Mädels aus der Stadt schätzen unsere Gemeinschaft – und würden selbst gerne mitmachen, wenn sie nicht so weit weg wohnen würden."
Verena Damß (38), Landfrauen Dauernheim
"Ich bin seit 2022 bei den örtlichen Landfrauen aktiv. Nach der Corona-Pandemie habe ich eine Frauengruppe gesucht, mit der ich mich regelmäßig treffen und Spaß haben kann, auch als Ausgleich zum Mama-Sein. Meine Eltern haben mir das Engagement in Vereinen vorgelebt, meine gesamte Familie ist in der Feuerwehr. Ich wollte bewusst in einen Verein gehen, in dem sonst niemand aus meiner Familie ist.
Bei uns im Ort gibt es aktuell drei junge Landfrauen. Die anderen sind eher über 50 Jahre, einige sogar über 70 Jahre alt. Unser Ziel ist aber, den Verein für jüngere Frauen attraktiv zu machen. Wir haben einen Stricktreff ins Leben gerufen und einen Dorfflohmarkt organisiert. Ohne den Flyer, den ich auf Social Media für den Flohmarkt gepostet habe, wären bestimmt nicht so viele Leute gekommen.
Wir treffen uns etwa einmal im Monat – zum Beispiel zur Teeverkostung, zu Weiterbildungen über gesunde Ernährung oder Social Media – und tatsächlich auch zum Backen. Ich will nämlich lernen, wie man Sahnetorten backt. Es ist mir wichtig, dass es Angebote für Jung und Alt gibt, denn die Landfrauen sorgen für Zusammenhalt im Dorf. Wir wollen Zugezogene integrieren – egal welcher Herkunft."
Isabel Bohl (29), Junge Landfrauen Bad Hersfeld
"Ich bin in der Landwirtschaft aufgewachsen, die Landfrauen waren bei uns immer ein Thema. Oma, Mama, alle sind Mitglieder. Trotzdem habe ich als junge Frau aufgrund der Altersstruktur und einiger Klischees, die dem Verein vorauseilen, nie mit dem Gedanken gespielt, selbst beizutreten.
Durch eine Bloggerin aus Norddeutschland bin ich dann auf die Bewegung der 'Jungen Landfrauen' aufmerksam geworden – da war ich 24. Ich habe ein bisschen dazu recherchiert und gemerkt: Der Verein verkörpert Werte, die alle Frauen betreffen. Besonders die Themen Gleichberechtigung und Demokratie haben mich abgeholt.
Ich bin 2021 zunächst dem Ortsverein in Asbach beigetreten und habe später die Gruppe 'Junge Landfrauen Bad Hersfeld' gegründet. Ich wollte gezielt junge Frauen ansprechen, musste mir aber gut überlegen, wie ich das Klischeedenken aus den Köpfen junger Frauen herausbekomme. Gemeinsam mit einer Bekannten und dem Bezirksverein haben wir im November 2021 zu einer Auftaktveranstaltung für junge Landfrauen eingeladen – und tatsächlich sind damals direkt 30 Frauen neu in den Verein eingetreten. Heute zählen wir zwischen 110 und 120 Mitglieder. Für den Beitritt gibt es keine Altersgrenze, aber im Schnitt sind unsere Mitglieder etwa 35 Jahre alt.
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Bevor ich selbst beigetreten bin, habe ich den politischen Einfluss der Landfrauen total unterschätzt. Im Mai treffen wir uns zum Beispiel mit den Landtagsabgeordneten aus unserem Wahlkreis zum Austausch. Als Vorstand stellen wir gemeinsam das Jahresprogramm zusammen. Im Vordergrund stehen Gemeinschaft, Spaß und Bildung, aber wir greifen auch gesellschaftliche Themen auf. Dieses Jahr bieten wir zum Beispiel Vorträge über Gewaltprävention oder Cyberkriminalität und ein Finanzseminar speziell für Frauen an.
Als junge Landfrauen versuchen wir, mit den erfahrenen Landfrauen aus den umliegenden Ortsvereinen zusammenzuarbeiten und von ihnen zu lernen. Verschiedene Generationen unter einen Hut zu bringen ist nicht immer einfach, aber am Ende profitiert meiner Meinung nach Jede davon. Es gilt, neue Ideen einzubringen, gegebenenfalls mit verstaubten Ritualen aufzuräumen und jeder Altersstruktur ihren Platz im Verein zu lassen. Sei es das Kaffeetrinken am Nachmittag oder der Kreativ-Workshop am Abend."
Anja Sättler (38), Landfrauen Ulmbach
"Ich bin erst seit 2021 oder 2022 dabei. Ich bin zugezogen – eingeheiratet, wie man hier sagt. Ich habe Anschluss im Dorf gesucht und wollte die Traditionen kennenlernen. Unser Verein in Ulmbach hatte sich damals gerade neu aufgestellt: Fünf Mädels saßen in einer Wirtschaft am Nachbartisch der Landfrauen und bekamen mit, dass die ältere Generation den Verein auflösen wollte. Das wollten die Jüngeren nicht zulassen – und übernahmen kurzerhand.
Heute bin ich Vereinsvorsitzende. Wir haben inzwischen 65 Mitglieder, im Schnitt zwischen 20 und 30 Jahre alt. Die Altersspanne reicht von 22 bis 82. Es ist eine Herausforderung, die unterschiedlichen Interessen und Lebensrealitäten unter einen Hut zu bringen: Früher waren die Landfrauen ein fester Bestandteil des Alltags. Heute sind sie eher ein Hobby zwischen Beruf und Familie.
Wir Landfrauen sind offen, wir nehmen jede auf, egal wie alt sie ist oder woher sie kommt. Man muss auch nicht backen können oder einen Bezug zur Landwirtschaft haben. Dass ich als Stewardess durch die Welt jette und gleichzeitig Landfrau bin, ist für viele ein Widerspruch. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig.
Bei uns geht es um Austausch – und um den Ausbruch aus dem Alltag. Zu unseren monatlichen Aktionen gehören Yoga, Cocktailkurse, gemeinsame Ausflüge und Brunchen. Aber wir lassen auch alte Traditionen wieder aufleben, etwa das Osterbrunnenfest oder das Adventskranzflechten.
Unser Ziel ist es, die Gemeinschaft zu stärken und eine Anlaufstelle für Frauen zu bleiben. Über soziale Medien wie TikTok und Instagram versuchen wir gezielt, auch jüngere Frauen zu erreichen."