Jossgrund beschäftigt verurteilten Ex-Bürgermeister Warum ein Häftling als Freigänger in einem Ordnungsamt arbeitet
Der ehemalige Bürgermeister von Kalbach sitzt wegen Betrugs in Haft. Nun arbeitet der Verurteilte im offenen Vollzug ausgerechnet für das Ordnungsamt in Jossgrund. Die Gemeinde beklagte Personalnot - und will dem Häftling eine zweite Chance geben.
Es ist ein Wechsel zwischen den Welten: Tagsüber arbeitet Florian Hölzer neuerdings im Ordnungsamt der Gemeinde Jossgrund (Main-Kinzig), nachts schläft er im Gefängnis in Hünfeld (Fulda). Der ehemalige Bürgermeister von Kalbach (Fulda), Hölzer, bewegt sich als Freigänger im offenen Vollzug derzeit zwischen Knast und kommunaler Verwaltung.
Hölzer verbüßt eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Er wurde wegen Betrugs verurteilt. Er hat nach Überzeugung des Landgerichts Fulda und einem Urteil von Ende 2022 einen gesundheitlich angeschlagenen, dementen Rentner um 34.000 Euro gebracht. Es handelte sich dabei um gewerbsmäßige Untreue, befand das Gericht.
34 Mal 1.000 Euro abgehoben
Hölzer wurde durch eine private Bekanntschaft als Bevollmächtigter des 90-jährigen Mannes eingesetzt. Dann habe er das Vertrauen des Seniors ausgenutzt, Geld von seinem Konto abgehoben - 34 Mal 1.000 Euro - und als Privatperson veruntreut. Das Geld des Rentners war laut Gericht eine zusätzliche Einnahmequelle für Hölzer, der zwischen 2014 bis 2020 sechs Jahre lang parteiloser Bürgermeister von Kalbach war.
Hölzer versuchte sich juristisch gegen das Urteil zu wehren - erfolglos. Ende 2023 musste er seine Haftstrafe antreten. Hölzer beteuerte bis zuletzt seine Unschuld. Er findet, dass er zu Unrecht im Gefängnis sitzt.
Bewerbung aus der Haft heraus
Hinter Gittern blieb Hölzer aber nicht tatenlos. Er bewarb sich bei der Gemeinde Jossgrund für eine ausgeschriebene Stelle im Ordnungsamt. Die Qualifikation dafür hat er allemal, schließlich war er nach seiner Tätigkeit in Kalbach auch mal Ordnungsamtsleiter der Gemeinde Gründau (Main-Kinzig).
Im Bewerbungsverfahren in Jossgrund überzeugte er Bürgermeister Victor Röder und den Gemeindevorstand. Der SPD-Rathauschef und das Gremium entschieden sich dafür, Hölzer einen Vertrag zu geben - erstmal nur für ein Jahr. Wenn er sich menschlich und fachlich bewähre, könne es auch weitergehen.
"Er hat eine zweite Chance verdient"
Warum stellt eine Gemeinde einen wegen Betrugs verurteilten Straftäter ausgerechnet im Ordnungsamt ein? Rathaus-Chef Röder wollte zunächst nur ungern mit dem hr darüber reden. Dann rang er sich doch zu Statements durch und sagte: "Er hat eine zweite Chance verdient." Der Job könne auch einen Beitrag zur Resozialisierung leisten.
Andererseits herrschte auch akuter Personalmangel. Und da das Bewerberfeld für den Job "viele Wünsche offen ließ", habe man sich für Hölzer entschieden, erklärte Röder und betonte, man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Die Personalie wurde im neunköpfigen Gemeindevorstand kontrovers diskutiert.
Doppelte Kontrolle und kein Zugriff auf Geld
Hölzer arbeitet nun seit dem 2. September im Ordnungsamt. Und Röder sagt: Er mache seine Sache gut. Der Bürgermeister habe, seitdem die Personalie bekannt wurde, mehr positives als negatives Feedback bekommen. Ihn irritierten Medienberichte, wonach sich Bürger Sorgen machen würden, dass ein Inhaftierter für die kommunale Verwaltung tätig sei.
Das klinge "erstmal ungewöhnlich und widersinnig", räumt der Bürgermeister ein. Aber Hölzer arbeite schließlich nicht als Dorfpolizist in der 3.500 Einwohner zählenden Gemeinde. Er habe keinen Zugriff auf Gelder. Seine Arbeit werde nicht nur nach dem Vier-, sondern nach dem Sechs-Augen-Prinzip betrachtet.
Hölzer übernimmt den Angaben zufolge auch nur eher unproblematische Tätigkeiten. Er weise zum Beispiel Bürger daraufhin, wenn ihre Hecke auf ein anderes Grundstück wachse und geschnitten werden müsse. Zudem kümmere er sich um Akten zu Geburten und Todesfällen.
Röder relativiert und Hölzer schweigt
Dass Hölzer laut Gericht nicht nur Betrug begangen habe, sondern sich auch eine moralisch schwerwiegende Verfehlung geleistet habe, indem er einen Demenzkranken abzockte - das alles versucht Röder nicht allzu hoch zu hängen. "Meine Aufgabe ist es, eine Verwaltung am Laufen zu halten. Da muss man einen privaten Fehltritt auch mal akzeptieren."
Hölzer selbst möchte sich gegenüber den Medien nicht äußern. Über Bürgermeister Röder ließ er ausrichten, dass er an einem Gespräch oder Austausch mit dem Hessischen Rundfunk nicht interessiert sei.
Arbeit beugt Rückfällen von Häftlingen vor
Laut dem Hessischen Justizministerium dienen Arbeit sowie eine berufliche oder schulische Aus- und Weiterbildung dem Zweck, dass Häftlinge sich wieder besser in die Gesellschaft eingliedern. Ministeriumssprecher Benjamin Weiß sagte auf Anfrage: "Die Aufnahme einer festen Arbeit trägt zur Resozialisierung bei und wirkt sich rückfallmindernd aus."
Laut Weiß ermöglicht es geeigneten Gefangenen beispielsweise im offenen Vollzug schon während der Haft Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten. Es helfe, diese zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.
53 Häftlinge arbeiten außerhalb der Gefängnismauern
Viele sind es nicht, die in Hessen, wie Hölzer, außerhalb der Justizvollzugsanstalt (JVA) arbeiten. Zum Stichtag am 31. Juli waren es 53 Menschen, die im offenen Vollzug einer Beschäftigung außerhalb der Haftanstalt nachgehen. Auch die Zahl derer, die überhaupt einen offenen Vollzug genießen, ist gering. Von 10.059 Häftlingen im Jahr 2023 waren es nur 143 Gefangene - das sind 1,4 Prozent.
Offener Vollzug wird auch nur gewährt, wenn nicht zu befürchten ist, dass Häftlinge fliehen. Und wenn nicht zu befürchten ist, dass sie Straftaten begehen. Für den Freigang wird immer ein zeitlich begrenzter Rahmen gesetzt.
Generell gilt: Häftlinge müssen arbeiten
Arbeitsfähige Gefangene sind generell bis zum Erreichen der gesetzlichen Arbeitsgrenze verpflichtet, einer Beschäftigung nachzugehen. Menschen in U-Haft und Sicherungsverwahrung sind hingegen nicht zur Arbeit verpflichtet. Ihnen wird Beschäftigung auf freiwilliger Basis angeboten.
2023 gingen durchschnittlich 54,5 Prozent aller Inhaftierter in Hessen einer Arbeit oder sonstigen Beschäftigung nach, wie das Ministerium erklärte. Doch wohl die wenigsten werden solch einen privilegierten Job haben wie der Ex-Bürgermeister von Kalbach - in einem Ordnungsamt.