Schwimmbad in Biedenkopf Warum ein Sprungturm wegen fünf Zentimetern abgerissen wird
Seit rund 30 Jahren springt man in Biedenkopf unbeschwert vom Drei-Meter-Turm. Jetzt kam heraus: Die Anlage ist schon seit Jahrzehnten nicht regelkonform. Der Turm muss nun weg.
Man sollte meinen, in so einer Situation am Beckenrand hilft nur noch trockener Humor. Zum Lachen ist hier allerdings keinem so richtig zumute.
Das könnte auch an der Aussicht liegen. Es gibt wohl eine erquicklichere als diese hier: An einem trüben Märztag im Regen vor einem Freibad-Becken zu stehen, das noch winterlich-moosiges Grünbraun trägt, und auf einen Sprungturm zu blicken, der dem sicheren Untergang geweiht ist.
Aber es ist so: Der Drei-Meter-Turm im Biedenkopfer Lahnauenbad muss weg. Und zwar, weil das Becken fünf Zentimeter zu flach dafür ist. Und obwohl sich hier seit 30 Jahren rein gar nichts geändert hat.
Kein Aprilscherz
"Ich wurde schon gefragt, ob das ein Aprilscherz sei", sagt Biedenkopfs Bürgermeister Jochen Achenbach (CDU). Aber nein, kein Witz: Der Sprungturm wird noch vor Beginn der Freibadsaison im Mai abgerissen.
Hintergrund ist ein Sicherheitsgutachten, das die Stadt selbst im vergangenen Jahr in Auftrag geben hat. Allerdings mit einem ganz anderen Ziel, erklärt Achenbach. Man habe in letzter Zeit zunehmend Personalnot im Schwimmbad gehabt und feststellen wollen, wie viele Mitarbeiter für den sicheren Badebetrieb tatsächlich benötigt werden.
Gutachter: "Das reicht doch gar nicht"
In diesem Rahmen wurde das komplette Bad begutachtet, erklärt der für das Freibad zuständige städtische Fachbereichsleiter Wolfgang Müller. Die Wassertiefe sei beim Rundgang dann schnell aufgefallen. Dafür musste der Gutachter noch nicht mal nachmessen: 3,45 Meter, am Beckenrand ist das ordentlich markiert.
"Der Gutachter hat dann gesagt: Das reicht doch gar nicht", berichtet Müller. Er habe auf die deutschen Vorgaben zum Bäderbau verwiesen, KOK-Richtlinie genannt. Die schreibt bei Sprungtürmen dieser Höhe 3,50 Meter Wassertiefe vor.
Und dann habe der Gutachter sogar noch etwas festgestellt: Die beiden Sprungtürme stehen auch noch zu dicht zusammen. 20 Zentimeter genau genommen.
Seit 30 Jahren keine Vorfälle
"Wir haben die Sprunganlage dann sofort gesperrt", so Müller. Inzwischen sei es auch schwarz auf weiß gesichert: Der Drei-Meter-Turm darf rechtlich nicht betrieben werden. Dass das vorher jahrzehntelang niemandem aufgefallen war, spielt dabei keine Rolle.
Rund 30.000 Menschen kommen in guten Jahren hier ins Freibad, sagt Müller. Passiert sei am Sprungturm seines Wissens nach nie etwas.
"Typisch Deutschland"
Das Becken wurde laut Stadt in den 1990ern saniert, damals erhielt es eine Edelstahlwanne, die auf die Fliesen gesetzt wurde. Dabei seien wohl die fünf Zentimeter Beckentiefe verloren gegangen.
Wie das beim Bau überhaupt passieren konnte und warum es so lange niemandem auffiel, dass es ein Problem sein könnte – laut Bürgermeister Jochen Achenbach ist es müßig, das jetzt 30 Jahre später zu fragen. "Es ist eben heute aufgefallen", sagt er.
Die Stadt habe das Gutachten mehrfach überprüfen lassen und zahlreiche Gespräche geführt – immer mit dem gleichen Ergebnis: Die KOK-Richtlinie sieht keinen Toleranzbereich für Abweichungen von der Norm vor. "Typisch Deutschland", meint Bürgermeister Achenbach.
Stadt und Mitarbeiter würden bei Unfällen haften
Die Stadt könne hier ebenfalls keine Fünfe gerade sein lassen, erklärt er. Würde man den Turm auflassen und es käme zu einem Unfall, bestünde kein Versicherungsschutz und gleichzeitig eine straf- und zivilrechtliche Haftung für die Stadt.
"Das wäre dann klassisches Organisationsverschulden", meint Achenbach. Auch für die Mitarbeiter sei es ein Risiko. Nun soll der Turm ersatzlos abgerissen werden. Alternativen sehe die Stadt keine.
Keine umsetzbaren Alternativen
Eine häufig geäußerte Idee: Warum sägt man den Turm nicht einfach ab und legt die Plattform ein bisschen tiefer? Geht nicht, heißt es. Denn die KOK-Richtlinie besagt: Alles ab einem Meter Sprunghöhe braucht 3,50 Meter Beckentiefe. Und ein Ein-Meter-Brett steht ja schon direkt daneben.
Die einzige Möglichkeit, den Turm zu erhalten, wäre das Becken selbst tieferzulegen oder den Beckenrand zu erhöhen.
Praktisch sei das aber kaum umsetzbar, so die Stadt. Weiter nach unten könne man aufgrund der Edelstahl-Wanne nicht gehen. Eine Erhöhung des Rands wäre zwar theoretisch denkbar, aber enorm aufwendig: Die komplette Beckenumrandung müsste umgebaut werden – und das auch im angrenzenden Nichtschwimmerbecken, weil die Becken ineinanderfließen.
Man gehe für solch einen Umbau von sechsstelligen Summen aus, so Bürgermeister Achenbach. "Illusorisch", meint er. Zudem hätte man ein Folgeproblem: Das Nichtschwimmerbecken wäre dann ein paar Zentimeter zu tief.
Gold und Silber kann man trotzdem machen
Dass es in Biedenkopf in Zukunft keinen Drei-Meter-Turm gibt, sei natürlich schade, meint Katja Kümmel vom Förderverein Lahnauenbad. Jedoch sei der Turm aus ihrer Sicht nicht das wesentliche Merkmal des Bades. Sie glaubt: Die Menschen werden trotzdem weiter herkommen.
Kümmel ist seit Jahren selbst Rettungsschwimmerin im Lahnauenbad und kümmert sich auch um den Nachwuchs. Sie sagt: Sie könne mit gutem Gewissen keine Rettungsschwimmer mehr hier einsetzen, wenn diese aufgrund der Beckentiefe Gefahr laufen würden, bei einem Unfall persönlich in die Haftung zu gehen.
Die gute Nachricht: Für die Vergabe von Schwimmabzeichen hat der fehlende Drei-Meter-Turm keine allzu großen Folgen. Für Gold und Silber kann man laut DLRG nämlich mittlerweile den Drei-Meter Sprung durch zwei Sprünge vom Einer ersetzen.
In diesem Fall nimmt man es mit den Zahlen offenbar nicht ganz so genau.
Redaktion: Rebekka Dieckmann, Jochen Schmidt
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 7.3.2024, 19.30 Uhr