Zu süß für den Kochtopf?  Warum Nordhessen keine Waschbär-Wurst wollen

Ein Jäger aus Sachsen-Anhalt bringt Waschbärfleisch auf den Teller. In der Waschbär-Hochburg Nordhessen sind Metzger, Wildtierhändler und auch Kunden skeptisch. Raubtier-Bratwurst und -Frikadelle: Igitt oder lecker?

Collage einer gezeichneten Küchenzeile und Fotos von Waschbären die aus Töpfen und Pfannen gucken.
Waschbär-Fleisch kann man essen – in Nordhessen kommt diese Möglichkeit aber nicht gut an Bild © hessenschau.de, Adobe Stock, picture-alliance/dpa
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Waschbär als Delikatesse?

Waschbär
Waschbär auf dem Teller? Keine gute Idee, finden viele Nordhessen Bild © hr
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Waschbär-Bällchen und Waschbär-Bratwurst: Der Jäger und Wildfleischer Michael Reiß aus Sachsen-Anhalt verkauft Produkte, in denen er das Fleisch von Waschbären verarbeitet. Was erstmal skurril klingt, soll durchaus schmecken. Reiß' Kunden jedenfalls schwärmen von dem lockeren und weichen Fleisch.

Ist die Produktpalette eine Lösung für Nordhessen, wo die Tiere immer wieder Schäden anrichten, in Mülltonnen wühlen, die Dämmung im Dach herausreißen und Obstbäume plündern? In der Waschbär-Region sind Metzger und auch Kunden skeptisch.

Fünf Gründe, warum Waschbärfleisch in Nordhessen wohl kaum ein Verkaufsschlager wird:

1. Waschbären sind Allesfresser und leeren Mülltonnen 

Seine Kunden wollen immer mal Neues probieren, weiß Dirk Nutschan. Der Obermeister der Fleischerinnung von Stadt und Landkreis Kassel ist jedoch skeptisch, ob Bratwürste oder Frikadellen aus Waschbärfleisch Abnehmer finden. Vor allem, weil die Raubtiere als Allesfresser bekannt sind und sich durch die nordhessischen Mülltonnen wühlen. 

Fleischexperte Nutschan weist darauf hin, dass sich die Ernährung der Tiere auf die Fleischqualität auswirke. Vor dem Verzehr müsse das Fleisch – ähnlich wie bei Wildschweinen oder dem Dachs – auf Trichinen (Fadenwürmer) untersucht werden.

Innungs-Obermeister Dirk Nutschan auf dem Wehlheider Wochenmarkt in Kassel: er trägt einen schwarzen Kittel mit roten Paspeln und streicht Senf auf eine Bratwurst im Brötchen.
Innungs-Obermeister Dirk Nutschan: Verzehr von Waschbär-Fleisch erstmal unbedenklich. Bild © hr

So schmecke bei Schweinen das Fleisch je nach Futtermittel anders, so Nutschan. Auch die Konsistenz variiere, je nachdem, ob das Tier mit Heu, Gras oder Abfällen gefüttert werde.

2. Wenig Fleisch und hohe Kosten 

Wer glaubt, Wurst und Fleisch der Raubtiere sei günstig zu haben, der irrt sich. Da ist sich Nutschan, der Obermeister der Fleischerinnung, sicher. Denn viel ist nicht dran an so einem Bären. Maximal zweieinhalb Kilo bringe ein ausgewachsenes Tier auf die Waage. Nach der Verarbeitung bleiben nach Nutschans Einschätzung lediglich 1,5 bis 1,8 Kilo Fleisch.

Im Anschluss muss das Tier abgezogen und verarbeitet werden. Die Fleischbeschau durch das Veterinäramt erzeugt weitere Kosten. Laut hessischem Jagdverband belaufen sich die Kosten bei einer Untersuchung durch das Veterinäramt einschließlich Trichinenuntersuchen auf 36,05 Euro je Tier. Und so lande man schnell bei einem Kilopreis von 30 bis 40 Euro, so Nutschan. Ob sich das dann rechnet, hält er für fraglich. 

3. Qualitätskriterien für Wildhändler schwer zu erfüllen 

Viel zu klein und viel zu viel Arbeit beim Zerlegen – das sagt auch Wildhändler Robert Trube, der in seinem Laden in Großalmerode (Werra-Meißner) Wildfleisch aus der Region verkauft. Er hält das Fleisch des Waschbären nicht für massentauglich. Das gelte ebenso für den Dachs, so Trube. Den habe er bereits gemeinsam mit einem Metzger zu Schinken verarbeitet. Auch wenn ihn die Qualität überzeugt hat, habe er nur eine kleine Stückzahl produzieren können – ein waschechtes Beschaffungsproblem also.

Dass Jäger nicht nur das Fell des Waschbären verarbeiten, sondern die erlegten Tiere auch als Nahrungsmittel nutzen, findet Trube prinzipiell gut. Für sein Wildhaus sei das Waschbärfleisch eher ungeeignet. Er habe hohe Qualitätskriterien, die auch das "zur Strecke bringen" der Tiere beträfen.

Wildhändler Robert Trube aus Großalmerode trägt eine Baseball-Cap seines Wildhandels. Er hat einen Drei-Tage-Bart und eine Brille.
Wildhändler Robert Trube: Waschbär-Fleisch nicht massentauglich. Bild © hr

Dazu gehöre neben einem einzigen sofort tödlichen Schuss in den Brustkorbbereich das Aufbrechen und Entfernen der Innereien innerhalb einer halben Stunde. Zudem rümpfe man in Jagdkreisen die Nase über den Waschbären als Fleischlieferanten, weil sie als Raubwild anders riechen als das heimische Wild. 

4. Nischenprodukt für kleinen Personenkreis

"Das Fleisch ist hochwertig und hat Potenzial in der Wildküche" schrieb der deutsche Jagdverband 2020 auf seiner Webseite und verweist auf die USA. Dort sind Fleischspezialitäten vom Racoon, wie der Waschbär dort heißt, weit verbreitet. Hier findet man eine Vielzahl an Rezepten für Waschbär-Gulasch und Braten. Das Potenzial sei so groß, dass Waschbären "künftig die heimische Wildbretpalette erweitert", zumal immer mehr Waschbären deutschlandweit erlegt würden.

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Das zeigt sich auch in Hessen. Hier wurden in den vergangenen 20 Jahren steigende Zahlen erlegter Waschbären erfasst, in den vergangenen beiden Jagdsaisons lagen die Zahlen erstmals bei mehr als 30.000 Tieren. Lohnt es sich wirklich, Waschbärfleisch zu vermarkten? Ein Sprecher des hessischen Jagdverbandes schätzt die Chancen eher gering ein.

Das Fleisch der Tiere werde sich "nicht als Massenprodukt durchsetzen". Es gebe einen eher kleinen Personenkreis, der sich für den Verzehr von Waschbärfleisch interessiere. So werde in Speziallokalen Fleisch von invasiven Arten als Spezialität angeboten.

5. Ein Wappentier isst man nicht 

Igitt oder lecker? Bei dieser Frage sind sich die Menschen aus Kassel weitestgehend einig, die der hr auf einem Wochenmarkt befragt hat. Zwar können sich einige wenige der Befragten vorstellen, ein Waschbär-Sandwich zu probieren. Meist überwiegt aber der Ekel, das Fleisch eines Raubtiers zu essen. Wie sehen Sie das? Machen Sie mit bei unserer Kommentarfunktion.

Der Waschbär in Kassel sei zudem so etwas wie ein inoffizielles Wappentier, finden einige Nordhessen. Das Tier zu essen "grenze an Hochverrat", formuliert ein Wochenmarkt-Besucher. Auch das ist ein Grund, warum die befragten Menschen aus Kassel sich schwer vorstellen können, das Fleisch der Tiere zu essen. Und so überwiegt auf dem Wehlheider Platz in Kassel die Meinung: der Waschbär ist – trotz aller umgeworfenen Mülltonnen, geplünderter Obstbäume und nächtlichem Lärm – viel zu süß für den Teller. 

Jäger Reiß aus Sachsen-Anhalt ist das egal: Sein Waschbär-Wurstwaren-Online-Shop steht in den Startlöchern.

Weitere Informationen

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 11.03.2024, 19:30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de, mit Material von Marit Tesar und Ekkehard Drewes (hr)

Ihre Kommentare Waschbär auf dem Teller – wäre das was für Sie?

23 Kommentare

  • Das Argument des Allesfressers ist ein schwaches, frisst das Haus- und das Wildschwein auch alles, was vor die Schnauz kommt. Die Trichinenprobe erhöht halt nochmal den Preis. Waschbärschinken soll delikat sein. Ich wär dabei.

  • Auf der einen Seite ist das Abschuss-Argument 'Überträger von Krankheiten' auf der anderen Seite wollen wir ihn dann - pardon - (fr)essen. Also zu krank um in unserer Nachbarschaft zu leben, aber gesund genug um gegessen zu werden?!
    Obwohl, bei all den Gammelfleisch-Skandalen würde das wahrscheinlich auch nichts mehr ausmachen. Und wer weiß denn schon, wie oft wir Waschbär in der TK-Lasagne vorgesetzt bekamen? Oder als Brät in der Bratwurst?
    Meine Tiere und ich leben in friedlicher Koexistenz mit wilden Waschbären. Sie sind die perfekten Frühwarner falls Wolf oder Goldschakal mal wieder bei uns langstreifen, sind - im Gebensatz zu uns Menschen - anderen Spezien überaus sozial und fürsorglich eingestellt und gelten als die cleversten Tiere - noch weit vor Schimpansen o Kraken.
    Nach über 10 Jahren in harmonischem Miteinander mit wilden Gruppen dieser Bären habe ich festgestellt: nicht mal 1 % von dem, was über diese Spezies behauptet wird, stimmt tatsächlich!
    Definitiv Team NICHT essen!

  • Wer Waschbären bejagt und den Geruch der Tiere kennt, ist damit zumeist bereits mehr als satt. Darüber hinaus sind in Hessen rein statistisch betrachtet, gute 70 % der Tiere mit dem Waschbärspulwurm infiziert, der schwerste neurologische Erkrankungen auslösen kann, die im Einzelfall auch tödlich verlaufen. Die winzigen Eier des Spulwurms sind multiresistent gegen jede Art von Reinigungsmitteln, Kälte, UV-Strahlung, Nässe, Alkohol, etc. und werden über den Kot des Waschbären ausgeschieden. In Notzeiten kann man sicher mit großer Vorsicht über das Verspeisen der Tiere nachdenken, wenn man bereit ist, das Risiko einzugehen. In diesen Zeiten wird aber auch niemand mehr die vorgeschriebene Trichinenschau durchführen. Da sollte man dann wissen, was und vor allem wie man es tut. Ansonsten würde ich da lieber die Finger von lassen.

    Weiteres dazu hier:

    https://www.laves.niedersachsen.de/startseite/tiere/wildtiere_und_jagd/waschbarspulwurm-203246.html

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