Gottesdienst im Friseursalon Waschen, schneiden, beten
Wenn immer weniger Menschen in die Kirche gehen, dann geht die Kirche eben zu den Menschen. Nach dieser Devise gibt es ungewöhnliche Formate für Begegnungen außerhalb der Gotteshäuser. Ob in der Kneipe, im Schwimmbad - oder beim Friseur wie in Bad Hersfeld.
Imke Leipold hat als Pfarrerin ihre spirituelle Arbeit schon an einigen ungewöhnlichen Orten verrichtet. Die evangelische Geistliche aus Bad Hersfeld hat in Kneipen, Schwimmbädern oder auf privaten Balkonen gepredigt. Bald kommt eine kurios anmutende Örtlichkeit hinzu.
Am 28. Dezember (17 Uhr) veranstaltet sie zusammen mit den Pfarrern Michael Zehender und Frank-Nico Jaeger als segensreiches Trio in ihrer Heimatstadt einen Gottesdienst in einem Friseur-Salon (Haarmoden Most, Simon-Haune-Str. 11).
Bei der Auswahl der Location ging Leipold ganz pragmatisch vor: "Der Salon ist schön groß, bestimmt hundert Quadratmeter. Da finden gut und gerne 70 Leute Platz. Und wenn der Platz nicht reicht, können die Menschen von der Straße zuschauen", sagt Leipold.
Heilmittel gegen geringe Gottesdienst-Besucherzahlen
Die Pfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) ist spezialisiert darauf, Gottesdienste bei großen Festen wie Landesgartenschauen oder Hessentagen abzuhalten. Sie geht aber auch gern an kleinere, ungewöhnliche und privat anmutende Orte. Auch dorthin, wo weniger Menschen zu erwarten sind.
Gewöhnliche Gottesdienste sind ohnehin meist keine Massenveranstaltungen (mehr). Die Kirchen haben seit Jahrzehnten mit einem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust zu kämpfen. Sie blicken auf immer geringere Zahlen an Gottesdienst-Besuchern - egal bei welcher Konfession.
Neue Angebote gegen Schwellenangst
Angefangen hat Leipold mit ungewöhnlichen Gottesdiensten während der Corona-Pandemie. Da galt es kreativ zu werden und neue Wege zu gehen. Diese Haltung hat sie sich bewahrt. Seither versucht die 56-Jährige, Gottesdienste in einen besonderen Rahmen zu setzen.
Außerhalb der Gotteshäuser, sagt Leipold, sei die Schwellenangst für viele Menschen geringer. Sie seien zutraulicher, sich mit der Kirche zu beschäftigen und sie in ihr Leben zu lassen.
Pfarrerin will keine Show-Veranstaltung
Der Gottesdienst beim Friseur soll keine Effekthascherei oder Show-Veranstaltung werden, wie Leipold versichert. Es werde alles geben, was man bei einem regulären Gottesdienst erwartet: Predigt, Gesang, Fürbitten, Gebete und den Segen. Zwischendurch soll Unterhaltsames präsentiert werden. Es soll auch Talks geben mit Friseurinnen.
Ohnehin findet Leipold: Zwischen Pfarrpersonal und Menschen aus dem Friseur-Handwerk gibt es durchaus Parallelen: "Sie sind nicht nur Haar-Künstlerinnen, sondern oft auch Zuhörerinnen, Beraterinnen und Seelsorgerinnen."
Die Besucherinnen und Besucher werden bei dem rund einstündigen Gottesdienst im Haarmoden-Geschäft aber nicht in Friseurstühlen Platz nehmen sondern auf Bierbänken. Auf etwas Altar-ähnliches und ein Kreuz als Symbolik wird verzichtet. Dennoch ist das Ziel klar: "Wir wollen Menschen für den Glauben begeistern und ihnen Kraftquellen bieten."
Volle Kirchen zu ABBA- und Harry-Potter-Gottesdienst
Die EKKW hat bereits viele gute Erfahrungen gemacht mit ungewöhnlichen Gottesdiensten. Es gab bereits welche in Biergärten, zum Valentinstag, Theater und Schlagermusik.
Zu einem Gottesdienst mit Klängen der schwedischen Popgruppe ABBA kamen laut EKKW im Sommer rund 700 Menschen in die Stadtkirche von Melsungen (Schwalm-Eder) - 200 mehr als eigentlich vorgesehen. Auch mit einem Harry-Potter-Gottesdienst im Oktober 2023 traf Pfarrer Dave Kulik in Vellmar (Kassel) offenbar einen Nerv - alle Kirchenbänke waren gefüllt.
EKKW-Bischöfin Beate Hofmann sagte dem hr: "Solche Gottesdienste zeigen, dass wir Menschen mit unserer Botschaft erreichen, wenn wir dahin gehen, wo sie sich gern aufhalten, wenn wir das Potenzial ungewöhnlicher Orte oder populärer Themen nutzen und den Glauben mit Alltagserfahrungen und Alltagsorten ins Gespräch bringen."
Gottes Wort in Fitness-Studios und Autowerkstätten
Diesen Effekt machen sich auch andere Kirchen in Hessen zunutze, um mit Menschen in Kontakt zu kommen, die sie sonst nur schwer oder gar nicht erreichen. Auch die Katholiken im Bistum Limburg gehen neue Wege. Es gab schon Gottesdienste in Kinos und Fitness-Studios, auf Bauernhöfen, in Fabrikhallen oder Autowerkstätten. Die Resonanz? Sehr positiv, wie das Bistum bilanzierte.
Bistumssprecher Stephan Schnelle sagte: "Diese Gottesdienste verdeutlichen, dass Kirche offen für innovative Wege ist. Sie sprechen besonders Menschen an, die sich von traditionellen Strukturen nicht abgeholt fühlen."
Schnelle mahnt aber auch: Gottesdienste dürften sich nicht zu sehr an Unterhaltung orientieren. "Sonst besteht die Gefahr, dass der geistliche Kern verloren geht" und der Gottesdienst seinen Sinn verfehle. Es brauche stets eine gute Balance. Wie das in Bad Hersfeld gelingt, können Besucher am 28. Dezember erleben. Jeder sei willkommen und könne spontan vorbeikommen, verspricht Pfarrerin Leipold.