"Habe einen Riesenfehler gemacht" Weltmeister der Täuschung: Bensheimer hat WM-Titel frei erfunden
Monatelang hat sich Südhesse Sven B. für zwei Weltmeistertitel im Schanzenlauf feiern lassen, die es gar nicht gibt. Sogar ins Goldene Buch seiner Heimatstadt durfte er sich eintragen. Eine hr-Recherche hat die Täuschung aufgedeckt.
Noch vor gar nicht allzu langer Zeit war Sven B. gänzlich unbekannt, mittlerweile ist er ein begehrter Mann. Radiosender berichteten über ihn, in Zeitungen erschienen Artikel, sogar ins Goldene Buch seiner Heimatstadt Bensheim durfte er sich eintragen.
Denn B. ist Doppel-Weltmeister in der exotischen und vielleicht deswegen so faszinierenden Sportart "Schanzenlauf". Er ist der schnellste Mann der Welt, wenn es darum geht, dort hinaufzurennen, wo andere herunterspringen: auf Skischanzen.
Das zumindest behauptete B. – und alle glaubten ihm. Mittlerweile ist klar: Das ist erstunken und erlogen. Sven B. ist nicht Weltmeister, wie der hr herausgefunden hat. Er war nicht einmal nah dran.
hr-Recherche deckt Täuschung auf
Aufgeflogen ist er bei einem Dreh des Hessischen Rundfunks. Eigentlich wollte das Team einen Fernsehbeitrag über B. und die vermeintlich anstehende Titelverteidigung im September drehen, doch vor Ort wurde eine Reporterin stutzig. In seiner Wohnung hingen nirgendwo Fotos von den Siegerehrungen, auch sonst konnte der 31-Jährige keine Belege für die Zeremonien liefern.
Ein Blick auf die offiziellen Ergebnislisten erhärtete den Verdacht, dass hier etwas nicht zusammenpasst. Etwa beim Schanzenlauf 2022 in Innsbruck, wo er angeblich den Titel gewann, schied B. laut Liste im Vorlauf mit Platz 33 aus, er erreichte das Ziel demnach nach 6 Minuten und 41 Sekunden.
Eine mehr als respektable Leistung, aber weit entfernt von der Weltspitze. Der spätere Sieger brauchte lediglich 3 Minuten und 4 Sekunden.
Eine Nachfrage bei der Firma Red Bull, die die sogenannten Red Bull 400-Wettbewerbe veranstaltet, brachte die Gewissheit: B. war nie Weltmeister, schon gar nicht doppelt.
Mehr noch: In den Jahren 2022 und 2023, in denen der Bensheimer angeblich den Titel gewann, wurden gar keine Weltmeisterschaften im Schanzenlaufen ausgetragen. Der letzte WM-Titel im Rahmen von Red Bull 400 wurde 2019 noch vor der Corona-Pandemie vergeben. Auch wird B. nicht von Red Bull gesponsort, wie er dem hr zuvor glauben machen wollte.
Erst uneinsichtig, dann reumütig
Mit den Fakten konfrontiert, versucht sich B. am Telefon erst einmal herausrauszureden. Er argumentiert mit verschiedenen Altersklassen, undurchsichtigen Ergebnislisten und Siegerehrungen, die Abseits der Kameras stattgefunden hätten. Er fragt mehrfach, ob man den Beitrag über ihn nicht doch senden könnte. Er wirkt zunächst wenig einsichtig.
Etwas später schreibt er dem hr: "Ich habe einen Riesenfehler gemacht, den ich sehr bereue." Er sei "geschockt" über das Ausmaß, das der Trubel um seine Hochstapelei angenommen hat. "Mir ist alles über den Kopf gewachsen", sagt er. Die Konsequenzen seiner Lügen hätten ihn jetzt "böse eingeholt".
Bensheim entfernt Seite im Goldenen Buch
Eine direkte Konsequenz ist die Streichung aus dem Goldenen Buch der Stadt Bensheim. Im März durfte sich B. dort im Rahmen einer feierlichen Zeremonie in Anwesenheit von Bürgermeisterin Christine Klein (SPD) eintragen.
Eine Ehre, die laut Stadt Menschen zuteilwird, "die beispielhafte, außergewöhnliche Leistungen zum Wohle der Stadt erbracht oder die sich durch vorbildliches Verhalten Verdienste erworben haben".
"Als gebürtiger Bensheimer sind Sie fest in Ihrer Heimatstadt verwurzelt und setzen von hier aus zu Ihren sportlichen Höhenflügen an", sagte die Bürgermeisterin damals. Hoch ist B. tatsächlich geflogen, nur der Absturz kam schneller als gedacht. Dass sich ein Mensch den Eintrag in das Buch erschwindelt hat, sei bislang laut einem Sprecher der Stadt noch nicht vorgekommen. "In diesem Fall wird die Seite mit dem Eintrag entfernt", teilte er dem hr mit.
Geflecht an Lügen und Täuschungen
Aber wie konnte B. so leicht so viele Menschen täuschen? In erster Linie natürlich, weil Medien, Stadt und die Menschen in seinem Umfeld nicht genau hingeschaut haben. Schanzenlauf ist eine Nischensportart, da hat niemand die Ergebnisse im Kopf.
"Wir haben die sportlichen Erfolge nicht detailtief überprüft", gibt auch die Stadt Bensheim zu. Die Erfolgsstory des so bodenständig und bescheiden auftretenden Bensheimers war einfach zu schön, man mochte sie wohl gerne glauben.
Hinzu kommt ein erstaunliches Geflecht aus Täuschungen und Lügen, das B. in den vergangenen Jahren aufgebaut hat. Seine Facebook-Seite war voll von Fotos, auf denen er mit den vermeintlichen Siegerpokalen und Medaillen posiert. Einige sind noch zu finden, andere hat er mittlerweile gelöscht.
Wie geht es weiter mit der Schanzenlauf-Karriere?
Bei der Medaille handelt es sich laut Red Bull schlicht um eine Teilnehmermedaille, die jeder Sportler und jede Sportlerin bekommen hat, die bei den Wettbewerben dabei waren.
Die Pokale, auf denen unten die Schriftzüge "Red Bull 400 World Champion" und die jeweiligen Jahreszahlen zu lesen sind, hat er nicht bei Wettbewerben gewonnen. Zumindest Red Bull hat solche Trophäen nie vergeben, wie das Unternehmen dem hr mitteilte. Im Internet können genau diese Pokale jedenfalls frei bestellt werden. Auch ein entsprechendes T-Shirt mit Weltmeister-Schriftzug hat sich B. drucken lassen.
Wie es nun weitergeht mit der nicht ganz so weltmeisterlichen Schanzenlauf-Karriere von B. und welche Konsequenzen seine Hochstapelei noch mit sich bringen wird, ist unklar. Ihm sei nur wichtig, dass alle, die er getäuscht hat, erfahren: "Es tut mir wirklich leid."