Die Meuterei der Wandrey-Wähler

Unberechenbare Wechselwähler, grüne Fehleinschätzung und starker Wechselwille: Was uns das Ergebnis der OB-Stichwahl in Darmstadt verrät.

, die Kameras auf ihn gerichtet haben.
Hanno Benz ist umringt von Journalistinnen und Journalisten. Bild © Imago Images
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Bild © picture-alliance/dpa| zur Audio-Einzelseite
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Es war ein spannender Wahlabend prophezeit worden, am Ende wurde es dann doch recht einseitig: Vom Start weg lag Hanno Benz (SPD) deutlich vorne und brachte den sich schon früh abzeichnenden Vorsprung von rund zehn Prozentpunkten ins Ziel. Ab Juni wird Benz somit neuer Oberbürgermeister von Darmstadt sein. Dass er sich - anders als von vielen Beobachtern erwartet - so deutlich gegen seinen grünen Konkurrenten Michael Kolmer durchsetzen konnte, hat Gründe:

1. Die Meuterei der Wandrey-Wähler

Noch am Abend des ersten Wahlgangs hatte der unterlegene CDU-Kandidat Paul Georg Wandrey seine Wählerschaft aufgerufen, ihr Kreuz in der Stichwahl doch bitte bei Kolmer zu machen. Aber Pustekuchen! Die Wandrey-Wähler haben nicht auf ihren Favoriten gehört. Dort, wo im ersten Wahlgang Wandrey stark war, hat Benz in der Stichwahl ebenso stark zugelegt.

Kranichstein und Darmstadt-Ost etwa, wo Kolmer vor zwei Wochen jeweils vor Wandrey gewann und Benz auf den Plätzen drei und vier einlief, stimmten diesmal mehrheitlich für Benz. Auch Eberstadt, das am 19. März noch schwarz eingefärbt war, ging sehr deutlich an Benz. Nach dem ersten Wahlgang lagen Benz und Kolmer hier nur den Hauch von 27 Stimmen auseinander.

Ob die CDU-Gefolgschaft tatsächlich Kolmer wählen würde, war schon im Vorfeld der Stichwahl bezweifelt worden. Sie aber jetzt offenbar zu großen Teilen im Benz-Lager wiederzufinden, damit hatte kaum jemand gerechnet - besonders, weil die CDU ja fester Bestandteil der stabilen Grün-Schwarz-Violetten Koalition ist und eher einen gepflegten Abstand zur SPD einnimmt.

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2. Lau-Wähler bleiben Zuhause

Im ersten Wahlgang hatten knapp 10.500 Menschen für Kerstin Lau (Uffbasse) gestimmt, die 51-Jährige verpasste den Einzug in die Stichwahl nur knapp. Es war also mit Spannung erwartet worden, wem die Lau-Wähler diesmal ihre Stimme geben würden. Aufgrund der linken Ausrichtung von Uffbasse und einiger inhaltlicher Überscheidungen mit den Grünen sind nicht wenige davon ausgegangen, dass viele Kolmer wählen.

Auch Kolmer dürfte insgeheim mit einem Zustrom aus dem Lau-Lager gerechnet haben, aber der blieb aus. Die deutlich geringere Wahlbeteiligung von lediglich 39 Prozent (1. Wahlgang: 48,6) ist ein Indiz dafür, dass die Uffbasse-Wählerschaft diesmal offenbar zu großen Teilen gar nicht gewählt hat. Das mag auch daran gelegen haben, dass Lau im Vorfeld keine Wahlempfehlung ausgesprochen und ihre Unzufriedenheit mit beiden Kandidaten zum Ausdruck gebracht hat.

3. Darmstadt hat genug von grün

Die Darmstädter Wählerinnen und Wähler haben dem grünen "Weiter so!" in der Stichwahl eine klare Absage erteilt. Sie haben offensichtlich keine Lust mehr auf einen grünen Oberbürgermeister. Ob das nun an der Person Kolmer liegt oder Folge der zwölf Jahre unter Jochen Partsch ist, sei dahingestellt.

Der für viele Beobachter überraschende, aber am Ende klare Erfolg von Hanno Benz zeigt: Die Darmstädter und Darmstädterinnen wollten den Wechsel an der Stadtspitze. Dafür ist Benz angetreten, dafür wurde er gewählt. "Ich stehe für Wechsel", war seine Kernbotschaft im Wahlkampf. Wie genau der Wechsel aussehen soll, ließ er an vielen Stellen offen. Hauptsache anders als die Grünen, "ideologiefrei" und pragmatisch. Benz ist vor allem eines: kein Partsch. Was er ist, wird sich zeigen.

4. Grüne Fehleinschätzung

Ob Kolmer, Partsch oder andere Größen der Darmstädter Grünen: Allen war das Entsetzen am Wahlabend ins Gesicht geschrieben. Mit dieser Niederlage habe er nicht gerechnet, schon gar nicht, dass der Abstand zu Sieger Hanno Benz so groß ist, gestand Kolmer. Das zeigt aber auch, dass die Grünen die Stimmung in der Stadt kolossal falsch eingeschätzt haben.

"Weiter so!" war die zentrale Botschaft in Kolmers Wahlkampf. Es war klar: Wer Kolmer wählt, bekommt Partsch 2.0 - zumindest inhaltlich. Wohlwollend könnte man das als Vertrauen in die eigene Stärke auslegen. Selbstkritik war aber selbst nach der Niederlage kaum zu vernehmen: "Ich bin enttäuscht und kann das Ergebnis auch nicht nachvollziehen", erklärte der freiwillig aus dem Amt scheidende Partsch trotzig.

Verlierer Michael Kolmer (Grüne)
Verlierer Michael Kolmer (Grüne) Bild © Julian Moering/hr

5. Benz punktet mit Stadtteil-Wahlkampf

Mit der Entscheidung, sich im Wahlkampf vor allem auf die Stadtteile zu konzentrieren, hatte Benz den richtigen Riecher. Dort war die Unzufriedenheit mit der grünen Politik am größten, schon im ersten Wahlgang konnte Benz in Wixhausen, Arheilgen und Darmstadt-West gewinnen - 2017 wählten die Menschen dort noch mehrheitlich grün.

In der Stichwahl holte Benz auch noch die Mehrheit in Kranichstein, Eberstadt und Darmstadt-Ost. Die interaktive Karte zeigt, dass Benz in den Außenbezirken  noch einmal massiv zulegen konnte, Kolmer blieb am Ende nur die traditionell grüne Mitte. "Die Stadt ist die Summe aller Stadtteile", lautete ein Wahlkampf-Slogan von Benz. Am Ende machte die Summe der Stadtteile seinen Erfolg aus.

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Sendung: hr-iNFO, 03.04.2023, 8.36 Uhr

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Quelle: hessenschau.de