"Nichts unsachlich oder unzulässig" AfD kontert im Streit um Corona-Ausschuss mit eigenem Gutachten
Ist es verfassungswidrig, wie die AfD in einem hessischen Untersuchungsausschuss mit der Corona-Politik abrechnen will? In dem Streit legt die Partei ein Gegen-Gutachten vor. Der Verfasser nutzt die Gelegenheit für den unter Corona-Leugnern üblichen "Diktatur"-Vorwurf.
Zu viel Bundespolitik, zu viel vorweggenommene Urteile, zu viel Unklarheiten? Drei vom Landtag eingeholte Gutachten kamen vergangene Woche zu dem Schluss: Die AfD wolle dem von ihr beantragten Corona-Untersuchungsausschuss einen weitgehend verfassungswidrigen Auftrag erteilen.
Sie zerpflückten den von der AfD gewünschten Auftrag regelrecht. In dem Streit hat die Partei nun wie angekündigt ein eigenes Gutachten nachgelegt. Das 26-seitige Papier, das dem hr vorliegt, kommt erwartungsgemäß zu dem Schluss: Nichts am AfD-Antrag sei "unsachlich oder aus einem sonstigen Grund unzulässig".
Diese Bewertung legte die Fraktion am Dienstagmittag dem Hauptausschuss des Parlaments vor, als er die drei anderen Gutachtern anhörte und das weitere Vorgehen diskutierte.
Unzulässig viele Kompetenzen gewünscht?
Verfasser des Gutachtens für die AfD ist der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider. Der 83 Jahre alte frühere Professor der Uni Erlangen wurde 2018 ins Kuratorium der AfD-nahen Erasmus-Stiftung berufen.
Schachtschneider bestreitet vor allem den zentralen Vorwurf, die AfD wolle die Zuständigkeit des Corona-Ausschusses unzulässig weit auch auf Fragen der Bundespolitik fassen. Denn das Gremium, das einzig die Landesregierung kontrollieren dürfte, soll laut Antrag der AfD auch das Agieren der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) oder von Bundesbehörden wie dem Robert-Koch-Institut (RKI) oder dem Paul-Ehrlich-Institut unter die Lupe nehmen.
An dieser Reichweite des Auftrags stoßen sich die anderen Parteien im Landtag - die CDU/SPD-Koalition, Grüne und FDP - besonders. Die drei von ihnen gewünschten Gutachten geben den AfD-Gegnern recht.
Gutachter: allenfalls etwas "unpräzise"
Aus Sicht von Schachtschneider geht es aber gar nicht anders, als den Blick auch nach Berlin zu richten. Denn die staatlichen Coronamaßnahmen seien "vielfältig und verschränkt, wenn man so will, komplex" gewesen. Der grundsätzliche Anfangsteil des AfD-Antrags hätte demnach zwar "präziser formuliert werden können". Aber es sei trotzdem kein Problem, das verfassungskonform umzusetzen.
Grob gesagt ist es laut dem Gutachter so: Der AfD gehe es einzig um die Landespolitik. Für die Coronapolitik hierzulande sei letztlich auch die Landesregierung verantwortlich gewesen. Wesentliche Beschlüsse seien aber in Berlin von der MPK gefasst worden - unter der Beteiligung Hessens und auf Basis von Empfehlungen von Einrichtungen wie dem RKI. Bundesgesetze habe Hessen in Verordnungen gefasst, für die ebenfalls die Landesregierung Verantwortung trage.
Schlagwort der "Montagsspaziergänge"
Der Landtag hat nach dieser Lesart das Recht, zu fragen, inwieweit die hessische Regierung MPK-Beschlüsse oder RKI-Empfehlungen umgesetzt hat, wie sie auf diese Einfluss nahm und ob sie deren Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit überprüft habe. Oder besser: deren Gesetzwidrigkeit.
Denn im Unterschied zu den drei vom Landtag beauftragten Gutachtern beurteilt Schachtschneider neben dem AfD-Antrag auch die staatliche Coronapolitik - und das ausführlich. Dabei erhebt er mit juristischer Argumentation den von Protesten wie den "Montagsspaziergängen" bekannten Vorwurf, während der Pandemie sei Deutschland zur "Corona-Diktatur" geworden.
Gegensatz zu Wissenschaft und Karlsruhe
Unter anderem spricht der Gutachter vom "Unrecht der diktatorischen Notstandsmaßnahmen". Die MPK unter Beteiligung von Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Nachfolger Olaf Scholz (SPD) sei kein im Grundgesetz vorgesehenes Staatsorgan. Die dort getroffenen Beschlüsse über Lockdowns, Maskenpflicht oder die Impfungen seien daher "Diktaturmaßnahmen" gewesen.
Gegenteilige Beurteilungen des Bundesverfassungsgerichts kritisiert Schachtschneider. Was der Corona-Ausschuss fragen soll, ist für ihn im Grundsatz beantwortet. Er geht vom "Versagen der Landesregierung" und der ihrer Verantwortung unterliegenden Ämter aus. Er zieht im Widerspruch zum Stand der Wissenschaft auch in Zweifel, ob im Fall von Corona überhaupt von einer Pandemie gesprochen werden könne.
Nur in einem einzigen Unterpunkt von insgesamt 43 Fragen geht die AfD ihrem Gutachter zu weit: Wenn es um von Bundestagsabgeordneten vermittelte Aufträge des Bundes für Maskenhersteller und dabei auch um ein hessisches Unternehmen geht.
Bei der Debatte im Landtagsausschuss machten Sprecher von CDU und SPD klar: Sie halten das kurzfristig vorgelegte Schachtschneider- Papier für völlig indiskutabel. Als "wissenschaftlich völlig wertlos" bezeichnete es Marius Weiß (SPD), nach dem er die Passagen mit dem "Diktatur"-Vorwurf zitiert hatte.
Er wollte Merkel suspendieren lassen
Schachtschneider hat seiner Position zur Pandemiepolitik schon früher ausführlich dargelegt. Gegner zählen ihn zur Neuen Rechten. Der 83-Jährige hat in der Vergangenheit immer wieder Verfassungsbeschwerden eingelegt.
Dazu zählt 2015 die Forderung, die damalige Kanzlerin Merkel (CDU) und ihren Vize Sigmar Gabriel (SPD) wegen der Flüchtlingspolitik suspendieren zu lassen. Die Verfassungsklage wurde wie fast alle seiner vielen anderen abgewiesen. Unterstützt hatte sie der Verein "Ein Prozent", den der Bundesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft hat. Die AfD selbst gilt als rechtsextremistischer Verdachtsfall.
Für die Partei war Schachtschneider schon früher aktiv. Für die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag um deren Chef Björn Höcke erstellte er 2015 ein Gutachten, wonach ein von der Landesregierung verfügter Winter-Abschiebestopp rechtswidrig sei. Im Spendenskandal der Partei kam der Staatsrechtler zu dem Schluss, der Bundesvorsitzenden Alice Weidel sei nichts vorzuwerfen.
Seinerzeit bestritt er im Deutschlandfunk entschieden, ein AfD-Parteigänger zu sein. "Wenn jemand meinen Rechtsrat haben will, gebe ich ihn immer, wer es auch immer sei", sagte er.
Hürde geschafft
Unklar ist nun, wie es weitergeht. Denn das Untersuchungsausschussgesetz sieht eigentlich vor, dass Anträgen auf Einsetzung des Gremiums unverzüglich stattgegeben werden muss, wenn die dafür vorgeschriebene qualifizierte Minderheit von einem Fünftel aller Abgeordneten das will. Die Hürde hat die AfD geschafft.
Grüne wähnen sich auf dem Basar
Allerdings müssen verfassungswidrige Teile des Antrags abgelehnt werden. Laut den Gutachten müssten dann vieles gestrichen werden. Laut einem Gutachten bliebe im Grunde nichts übrig.
AfD-Fraktionschef Robert Lambrou bot im Hauptausschuss allerdings überraschend an, auf Basis von einem der drei Gutachten einen Kompromiss zu suchen. Es handelt sich um die Stellungnahme der Düsseldorfer Parteienrechtlerin Sophie Schönberger. Sie hält den AfD-Antrag zwar auch für in vielen Teilen verfassungswidrig, hat aber immer noch weniger Einwände als ihr beiden Kollegen Paul Glauben und Max Schwerdtfeger.
Vor allem hat Schönberger eine gekürzte, korrigierte und ihrer Meinung nach verfassungskonforme Version bereits erstellt. Ob man sich auf dieser Basis einigt? Glauben und Schwerdtfeger sehen darin noch immer zu viele Verstöße. Der grüne Abgeordnete Jürgen Frömmrich sagte zu dem Angebot: "Herr Lambrou, wir sind hier nicht auf dem Basar."
Doch noch ein Kompromiss?
Die Union, SPD, Grüne und FDP standen bislang grundsätzlich auf dem Standpunkt: Die AfD müsse ihren Antrag, der eine Zumutung sei, schon selbst ändern oder zurückziehen. Ingo Schon, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU, wollte sich nach Lambrous Vorschlag aber nicht festlegen. René Rock betonte, es sei wichtig, zügig einen "verfassungsmäßigen Antrag" hinzubekommen. Für die "Nachhilfe" durch die Gutachter und das "Nachsitzen" der anderen Fraktionen müsse die AfD eigentlich dankbar sein.
Eine Entscheidung ist für Dienstag kommender Woche zu erwarten, wenn der Hauptausschuss des Landtags ein letztes Mal beraten will. Die AfD hat sich vorbehalten, Verfassungsklage beim Hessischen Staatsgerichtshof zu erheben.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 11.6.2024, 16.45 Uhr
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