"Antidemokratischer Geist" Auch Ex-Spitzenkandidat Rahn verlässt die AfD
Der frühere AfD-Spitzenkandidat Rainer Rahn tritt aus seiner Partei aus. Die Arbeit in der Landtagsfraktion sei von "antidemokratischem Geist" geprägt, erklärte er. Erst kurz zuvor hatte sein Fraktionskollege Wissenbach die Partei ebenfalls verlassen.
Der hessische Landtagsabgeordnete Rainer Rahn ist aus der AfD ausgetreten. Das teilte er in einer Erklärung am Donnerstagabend mit. Rahn war Gründungsmitglied des Landesverbandes Hessen und des Kreisverbandes Frankfurt und führte die Partei bei der vergangenen Landtagswahl 2018 als Spitzenkandidat in den Wahlkampf.
Nach fast zehn Jahren in der Partei habe er sich den Schritt gut überlegt, der Austritt sei aber unvermeidbar gewesen. Der 70 Jahre alte Politiker warf seiner Partei eine Abkehr von faktenbasierter und sachorientierter Politik vor. Die Arbeit der AfD-Fraktion "ist über weite Strecken geprägt von fachlicher Inkompetenz", erklärte Rahn.
Kurz zuvor hatte der Landtagsabgeordnete Walter Wissenbach seinen Austritt aus der AfD erklärt. Wissenbach, noch Vorsitzender des Rechtsausschusses im Landtag, war Mitbegründer der "Alternativen Mitte". Sie wurde als Gegenpol gegen den inzwischen offiziell aufgelösten Völkischen "Flügel um den thüringischen AfD-Landeschef Björn Höcke aufgestellt.
Rahn: "Stasi-Methoden" und Intrigen
Fraktionsintern sei der Umgang geprägt von Misstrauen, Intrigen und Demokratiefeindlichkeit, erklärte Rahn. Mitgliedern des Fraktionsvorstands warf er "Stasi-Methoden" vor - sie fertigten ihm zufolge Verfehlungslisten von einzelnen Fraktionsmitgliedern an, in denen selbst völlig harmlose und nebensächliche Vorfälle minutiös dokumentiert seien, um sie bei passender Gelegenheit für Sanktionen verwenden zu können. Der gegen ihn gerichtete und gescheiterte Antrag auf Fraktionsausschluss basiere auf frei erfundenen Vorfällen und Lügen des Fraktionsvorstandes, betonte Rahn.
Um Inhalte gehe es im Landesverband der Partei kaum noch, "sondern um bezahlte Mandate und Positionen", heißt es in Rahns Erklärung. Die Akteure in seiner Partei seien auf diese angewiesen, weil sie auf dem normalen Arbeitsmarkt chancenlos seien.
Wissenbach: "Versorgungsanstalt für untaugliche Personen"
Rahns Wortwahl ähnelt der seines nunmehr ehemaligen Fraktionskollegen Walter Wissenbach, der am Donnerstagabend seinen Austritt aus der Partei erklärt hatte. Auch Wissenbach warf seiner Fraktion vor, eine "Versorgungsanstalt für untaugliche Personen" zu sein. Er kritisierte zudem die russlandfreundliche Politik seiner Partei im Krieg gegen die Ukraine und die Haltung der Partei zu Corona-Fragen. Schwer zu ertragen gewesen seien auch Ton und Umgangsformen in der Landtagsfraktion.
Wissenbach hatte im Oktober auf dem AfD-Listenparteitag in Melsungen (Schwalm-Eder) bereits schwere Vorwürfe gegen seine Fraktion erhoben. Nach dieser Abrechnung unterlag er mit seiner Kampfkandidatur um Platz eins der AfD-Liste für die Landtagswahl 2023 dem Co-Landesvorsitzenden Robert Lambrou.
"Manche Kollegen treten unter wüsten Anschuldigungen aus der Partei aus, nachdem sie Machtkämpfe verloren haben oder sich auf wichtigen Aufstellungsversammlungen nicht mehr durchsetzen konnten", kommentierte AfD-Fraktionschef Lambrou die beiden Austritte. Ihm zufolge bilden die Vorwürfe von Rahn und Wissenbach nicht die Realität ab. Sie seien vielmehr "Ausdruck ihrer persönlichen Enttäuschung". "Es wäre schön gewesen, wenn beide Kollegen wesentlich öfter zu Fraktionssitzungen gekommen wären", teilte Lambrou mit.
Drei prominente Parteiaustritte in Folge
Als der AfD bei der Hessenwahl 2018 erstmals der Einzug in den Landtag gelang, holte sie 19 Mandate. Von Beginn an gehörten der Fraktion aber nur 18 Mitglieder an, weil eine Abgeordnete unter dem begründeten Verdacht nicht aufgenommen wurde, einen Nazi-Kriegsverbrecher verherrlicht zu haben. Nach den Austritten von Wissenbach und Rahn bleiben nun nur noch 15.
Rahns Schritt ist für den hessischen AfD-Landesverband der dritte prominente Austritt innerhalb weniger Wochen: Erst im November hatte die Bundestagsabgeordnete und ehemalige Co-Landesvorsitzende Joana Cotar aus Langgöns (Gießen) die AfD nach längerem Streit mit der Partei verlassen. Die zum gemäßigteren Teil der AfD gerechnete Politikerin warf der Partei vor, den einstigen Kurs "einer von ideologischen Einflüssen befreiten Realpolitik zum Wohle Deutschlands" aufgegeben zu haben.
In einer Erklärung schrieb sie: "Anstand spielt in den korrupten Netzwerken innerhalb der Partei keine Rolle mehr." Das größte Problem seien Opportunisten, die für Mandate ihre Überzeugungen wechselten und "sich kaufen lassen". Ähnlich argumentierten nun auch Rahn und Wissenbach. Beide wollen als partei- und fraktionslose Abgeordnete ihre Arbeit im Landtag fortsetzen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 9.12.2022, 19.30 Uhr
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