Antisemitismusvorwürfe gegen Ditib Warum der Streit über den Islamunterricht so schnell nicht enden wird
Huldigungen der Hamas, Hassreden gegen Israel: Der Antisemitismus der Regierung in Ankara erhöht den Druck auf Kultusminister Lorz, die Zusammenarbeit mit dem türkischen Moscheeverband Ditib beim Islamunterricht zu stoppen. Aber das ist nicht so einfach.
Es gehört zur Jobbeschreibung von Alexander Lorz, unerbetenen Nachhilfeunterricht zu bekommen. Ungewohnt dürfte für Hessens Kultusminister sein, wie massiv er ihn gerade auch aus den eigenen Reihen erhält.
Unter denen, die Alarm schlagen, tut sich der Nachwuchs der CDU besonders laut hervor. An Hessens Schulen werde "unseren Kindern Judenhass gelehrt", hieß es dieser Tage in einer Pressemitteilung des Landesverbands der Jungen Union (JU). Den Minister und Parteifreund ermahnte die JU sogar, er dürfe "das Thema nicht verpassen".
"Das Thema" ist der islamische Religionsunterricht, den das Land seit einem Jahrzehnt gemeinsam mit dem Moscheeverband Ditib anbietet. An 28 Schulen, darunter 23 Grundschulen, läuft er, für rund 1.500 Kinder der Klassen 1 bis 6. Unumstritten war die Kooperation von Anfang an nicht. Doch die Kritik wuchs - und ist nach dem Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober heftiger als je zuvor.
"Rostiger Nagel im Herzen"
Denn Ditib ist die "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion" und eine Einrichtung des türkischen Staats. Und nicht nur dessen autokratischer Präsident Recep Tayyip Erdogan empörte über Parteigrenzen hinweg deutsche Politiker, weil er die Hamas eine "Gruppe von Befreiern" und Israel einen "Kriegsverbrecher" nennt.
Israel sei "wie ein rostiger Nagel, der im Herzen der islamischen Geographie steckt" - in dieses Bild kleidete Ali Erbas, der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet und damit auch von Ditib in Deutschland, seine Vernichtungsfantasie.
Wende gefordert
Der Wirbel um den Auftritt eines hochrangigen Taliban-Regierungsmitglieds in einer Ditib-Moschee in Köln kam noch hinzu. Auf der Islamkonferenz führte die Zuspitzung der Lage infolge des Nahost-Kriegs gerade zur Aufforderung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), islamische Verbände müssten sich von religiösem Extremismus klarer distanzieren.
Andere betonen, der Staat müsse sich endlich mehr distanzieren - nicht zuletzt von Ditib. Eine "Wende der Bundesländer" im Umgang mit dem Moscheeverband forderte nicht zum ersten Mal Volker Beck. Der Grünen-Politiker ist Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Die "Übernahme der Verantwortung" für den Islamunterricht durch die Länder verlangte der CDU-Bundesparteichef Friedrich Merz in der ARD schon vor zwei Wochen wegen Antisemitismus bei Demonstrationen.
"Ditib raus aus Hessens Schulen", heißt es in der Schlagzeile der JU Hessen. Wenn ein antisemitischer Verband Islamunterricht durchführe, sei es kein Wunder, wenn es jungen Muslimen an Toleranz gegenüber anderen Religionen und besonders dem Judentum fehle.
Blutige Nase in letzter Instanz
Solche Ermahnungen, nichts zu verpassen und endlich durchzugreifen, dürfte Kultusminister Lorz seinen jungen Parteifreunden übelnehmen. Nicht nur, weil das Land Hessen den kritisierten Unterricht verantwortet und nicht Ditib.
Auch wenn der Minister sich zur Zusammenarbeit mit Ditib aktuell nicht äußern will: Daran, dass er die vor seiner Amtszeit begonnene Partnerschaft lieber nicht hätte, gibt es keinen Zweifel. Doch als Lorz vor Jahren zum entscheidenden Schlag ansetzte, holte er sich eine blutige Nase - und das in letzter Instanz.
Weil der Moscheeverband auch ihm in puncto Verfassungstreue nicht vertrauenswürdig erschien, setzte der Kultusminister die Kooperation zum Schuljahr 2020/2021 aus. Damals waren unter anderem Vorwürfe laut geworden, Ditib-Imame spitzelten Regimegegner in Deutschland aus. Es ging auch um Kriegspropaganda und eine Nähe von Akteuren zu den rechten Grauen Wölfen: Der bis heute anhaltende Verdacht lautete, Erdogan könne über den Islamunterricht in Hessens Schulen hineinregieren.
Ditib aber gewann vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel die Widerspruchsklage und ist seit dem vorigen Schuljahr beim Religionsunterricht wieder mit dabei. Was der VGH urteilte, gilt noch immer: So einfach ist es für den Kultusminister nicht, die einmal eingegangene Zusammenarbeit zu kündigen.
Grundgesetz und Misstrauen
Das liegt auch an der Konstruktion der Kooperation. Sie beruht auf einem Verwaltungsakt und nicht auf einem Vertrag mit Laufzeiten oder Kündigungsfristen. Er regelt, ganz ähnlich wie derjenige mit den christlichen Kirchen, den bekenntnisorientierten islamischer Religionsunterricht und die Beteiligung von Ditib.
Über allem schwebt ein Recht, das Artikel 7 des Grundgesetzes verbrieft: "Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt."
Außer in Kooperation mit Ditib bietet das Land den bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht vereinzelt zusammen mit der der viel kleineren muslimischen Ahmadiyya-Gemeinschaft an. Gerade als Ausdruck des Misstrauens gegen den größeren Partner läuft in Hessen außerdem als Schulversuch ein rein staatlich-sachkundlicher Islamunterricht. Er läuft derzeit an 25 Schulen, darunter 20 Grundschulen. Rund 2.200 Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 10 besuchen ihn.
Einflussnahme "überschaubar"
Wie es etwa den katholischen Bistümern beim katholischen Reli-Unterricht zusteht, darf auch Ditib das prüfen, was unterrichtet wird. Die Inhalte sollen mit den islamisch-sunnitischen Glaubensgrundsätzen übereinstimmen. Ernsten Streit darüber, so hört man aus der Schulverwaltung, habe es mit Ditib nie gegeben. Die Mitwirkung beim Erstellen der Lehrinhalte seien überschaubar geblieben.
Das hatte auch strukturelle Gründe: Anders als bei den top-organisierten christlichen Kirchen fehlte es Ditib lange an professionellem Aufbau. Das Mitgliederverzeichnis, vom Land von Beginn an gefordert, wurde erst vor kurzem geliefert. Auch ein eigenes Schulreferat richtete Ditib erst spät ein.
Lob für die Lehrer
Anders als die Ditib-Imame der Moscheen wird das Schulpersonal für Hessen keineswegs aus der Türkei entsandt. Wer bekenntnisorientiert unterrichten will, braucht zwar von dem Moscheeverband die Iǧāza, eine Lehrbefugnis.
Die derzeit 40 Lehrkräfte müssen aber Staatsexamen haben und stehen als Beamte im Dienst des Landes Hessen. Es gibt laut Ministerium regelmäßig amtliche Unterrichtsbesuche - auch unangekündigt.
Unangenehm aufgefallen ist bisher offenbar noch niemand. Kultusminister Lorz ("Es sind unsere Lehrer") hat stets betont: "An dem, was unsere Lehrkräfte konkret im Unterricht machen, gibt es nichts auszusetzen." Das gilt bis heute. Die Behauptung, unter dem Einfluss der Türkei könne an hessischen Schulen im Islamunterricht Judenhass gelehrt werden, weist ein Sprecher des Ministeriums entschieden zurück.
Auch seit dem Hamas-Überfall sind antisemitische Vorfälle im Unterricht demnach nicht bekannt geworden. Und dass Antisemitismus junger Menschen auf pro-palästinensischen Demos ein Beleg für das Versagen der Schule sei, wie die Junge Union glaubt? "Die Problematisierung der radikalen Ausprägungen des politischen Islams" sei ein Schwerpunkt im Lehrplan, versichert das Kultusministerium.
Mit großen Hoffnungen gestartet
Das Bittere an der Debatte: Der islamische Religionsunterricht sollte gerade zu einem Modell werden, das muslimischen Schülerinnen und Schülern eine tolerante, demokratie-kompatible Version des Islam vermittelt und bundesweit vorbildlich Integration voranbringt. Von einer "historischen Entscheidung" sprach Hessens damaliger Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) im Jahr 2013.
Die Liberalen waren zu der Zeit als kleinerer Koalitionspartner der CDU die treibende Kraft bei der Einrichtung des Islamunterrichts mit Ditib. Das Verhältnis des Westens zur türkischen Regierung war noch recht intakt - und das des Landes Hessen zu Ditib auch.
Erdogan galt noch als demokratischer Modernisierer und zuverlässiger Partner. Die Demaskierung als populistischer Autokrat, der Gegner rücksichtslos verfolgt und die Karte des Islamismus spielt, begann gerade erst. Und erst mit neuem Personal, so heißt es in Wiesbaden, sei es auch bei Ditib Hessen problematischer geworden.
Unaufgefordertes Bekenntnis
Allerdings hat das Kultusministerium nach dem Hamas-Angriff von der aktuellen Ditib-Führung längst erhalten, was auch auf der Islamkonferenz vielfach von muslimischen Verbänden gefordert wurde: das klare Bekenntnis gegen Terror und Antisemitismus. Das Bekenntnis kam "unaufgefordert", wie ein Sprecher von Lorz betont.
Angriffe und Entführungen verurteilte der Moscheeverband demnach, bekundete seine "Solidarität mit den jüdischen Gemeinden" und versicherte: In seinen hessischen Moscheen würden keine Predigten der türkischen Religionsbehörde vorgetragen.
"Es ist nachvollziehbar, dass einige Äußerungen von Repräsentanten der Diyanet Irritationen auslösen", heißt es in einem Schreiben der Ditib an den hr. Die eigene Haltung spiegele das nicht. Die "Verbundenheit zum Existenzrecht Israels" gelte auch für die hier lebenden Bürgerinnen und Bürger muslimischen Glaubens.
Nur ein Lippenbekenntnis?
Auch zum Grundgesetz und zur "Würde eines jeden Menschen" bekennt sich der Moscheeverband gegenüber dem hr ausdrücklich. Begründet wird das nicht zuletzt mit "der historischen Verantwortung aus dem Zivilisationsbruch der Shoah". Mit Blick auf den Vorwurf, ein verlängerter Arm Erdogans zu sein, heißt es: "Wir sind eine in Hessen, in Deutschland beheimatete Landesreligionsgemeinschaft."
Kritiker des Moscheeverbands trauen solchen Erklärungen nicht. "Das sind Lippenbekenntnisse", sagt Eren Güvercin. Der Journalist und Gründer der Alhambra Gesellschaft setzt sich dafür ein, den Einfluss des türkischen Staats auf muslimische Angelegenheiten hierzulande zurückzudrängen. "Ditib Hessen muss noch einiges machen, wenn sie eine Rolle als Religionsgemeinschaft wirklich mit Inhalt füllen will", sagt er.
Entscheidung naht
Wie ernst es dem Ditib-Landesverband mit seiner Verfassungstreue und der Distanz zu Ankara tatsächlich ist, sollten im Auftrag des Kultusministeriums mehrere Experten in einem Gutachten herausarbeiten. Die Einschätzungen eines Islamwissenschaftlers und eines Turkologen liegen dem Vernehmen nach bereits vor.
Entscheidend wird sein, welches verfassungs- und verwaltungsrechtliche Fazit das Gutachten zieht: Ist Ditib eine vertrauenswürdige Religionsgemeinschaft? Oder sollte die Kooperation beendet werden? Und ist ein erneuter Anlauf zur Kündigung der Kooperation aussichtsreicher als beim ersten Mal?
Das Gutachten solle "noch in diesem Jahr abgeschlossen werden“, kündigt das Ministerium an. Eigentlich sollte es aber schon Ende des vorigen Jahres fertig sein. Das zeigt, wie kompliziert die Sache ist. Und sie wird es so oder so bleiben.
Streit-Ende nicht in Sicht
Die bis Mitte Januar amtierende schwarz-grüne Landesregierung will zwar auf Basis des Gutachtens noch selbst eine Entscheidung treffen. Fällt sie gegen Ditib aus, dürfte der Verband aber erneut vor Gericht ziehen. Der Rechtsstreit würde wohl Jahre dauern.Das Verfahren könnte zudem mit einem Bestandsschutz für Ditib einhergehen, bis zu einer Klärung weiter beim Islamunterricht mitmischen zu dürfen.
Und hält das Land an Ditib fest, wird die öffentliche Kritik an der Kooperation weitergehen. Die künftige, vermutlich schwarz-rote Regierung erbt das Dauerthema also in jedem Fall.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 22.11.2023, 19.30 Uhr
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