Kampf gegen Steuerkriminalität Auswertung der Pandora Papers: Kasseler Finanzamt setzt auf KI

Das Kasseler Finanzamt wertet derzeit die vermutlich weltweit größte Sammlung geheimer Dokumente über Steuersünder aus. Die Pandora Papers bestehen aus Millionen von Dokumenten. Bei der Auswertung setzen die Ermittler auch Künstliche Intelligenz (KI) ein.

Auf dem Logo von Pandora Papers liegt eine Lupe.
Mögliche Steuerkriminalität: Die Daten aus den "Pandora Papers" werden federführend in Hessen ausgewertet. Bild © picture-alliance/dpa
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Vier Kilometer hoch - und damit höher als die Zugspitze: Diesen imposanten Berg bekäme man, wenn man jedes Dokument der sogenannten Pandora Papers auf einer DIN-A4 Seite ausdrucken und aufeinanderstapeln würde. Diese Menge an Unterlagen per Hand zu sortieren, scheint nahezu unmöglich.

Die Forschungsstelle Künstliche Intelligenz (FSKI) im Finanzamt Kassel soll das einfacher hinbekommen. Die Daten werden in Kooperation mit dem Bundeskriminalamt mithilfe von Algorithmen untersucht. Seit einem Jahr werten die Mitarbeiter hier mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) die Pandora Papers aus.

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Hessische Steuerverwaltung setzt auf KI

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Größte Sammlung von Steuersünder-Daten

Die Pandora Papers gelten als die weltweit größte Sammlung geheimer Dokumente über Steuersünder - und als eine der größten journalistischen Enthüllungen der letzten Jahre.

Mit 14 sogenannten Offshore-Firmen, also Firmen, die Geld waschen sollten, sollen mindestens 300 Politiker, Staatschefs, aber auch andere Prominente Geschäfte getätigt und so verheimlicht haben, wie viel Geld sie haben. Darunter offenbar Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj und Großbritanniens Ex-Premier Tony Blair, aber auch Promis wie Claudia Schiffer.

Auswertung von zehn Millionen geheimer Dokumente

Das Land Hessen hatte die Unterlagen 2023 für einen sechsstelligen Betrag angekauft. Das Ziel sei, mit den Ergebnissen für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen, wie Hessens Finanzminister Alexander Lorz (CDU) betont.

Bereits 2016 hatte das Land Hessen mit den Panama Papers einen geheimen Datensatz analysiert. Dadurch konnten damals mehr als vier Millionen Euro Steuereinnahmen zurückgefordert werden.

Nach den Erfolgen bei den Auswertungen der Panama Papers werde man diese Strategie weiter verfolgen, so Lorz und "Künstliche Intelligenz nutzbringend einsetzen". Die Erfahrungen aus den Leaks wolle man dann auf andere Bereiche ausweiten.

Bisher wird KI bereits bei der Rechtsbehelfsbearbeitung der Grundsteuer, der Verarbeitung von Massendaten im Bereich der Bundeszollverwaltung und der Grundsteuer-Hebesatzermittlung eingesetzt.

Das Finanzamt in Kassel hat jetzt die Aufgabe, die insgesamt über zehn Millionen Dokumente auszuwerten, darunter Unterlagen zu Briefkastenfirmen etwa in Belize in Zentralamerika oder von den britischen Jungferninseln.

Vor Ort sitzen Mitarbeiter der FSKI an ihren Rechnern, auf den Bildschirmen grüne Zahlenkolonnen auf schwarzem Grund. Ein großer Monitor an der Wand zeigt, dass die Server nicht überhitzen und alle Systeme laufen.

Systemadministrator Jörg Linge ist zufrieden, auch wenn noch viel Arbeit vor seinen Servern liegt: Bei der Auswertung der Daten gebe es kein Ende, so Linge. Das Ganze sei ein laufender Prozess. "Mit jedem Step lernen wir mehr über die Daten".

Die Forschungsstelle Künstliche Intelligenz (FSKI) wurde 2019 im Finanzamt Kassel gegründet. Hier arbeiten Informatiker und Steuerexpertinnen zusammen. In der Forschungsstelle werden KI-Projekte umgesetzt und gleichzeitig die digitale Transformation vorangebracht. Das heißt, die Mitarbeiter forschen zu Einsatzmöglichkeiten von KI beispielsweise in der Steuerfahnung, aber auch in anderen Bereichen.

Von Beginn an besteht eine Kooperation mit der Universität Kassel. 2019 wurde das Bachelor-Studium "Informatik im Praxisverbund" eingeführt. Seit 2022 ist auch ein Masterstudium möglich. So will man akademisches Wissen und praktische Erfahrungen miteinander verknüpfen und das Finanzamt als Arbeitgeber interessant machen,

Aktuell arbeiten in der FSKI 19 Menschen. Bis Ende 2024 soll der Mitarbeiterstab auf 29 erhöht werden.

Was genau die Unmengen an Daten enthüllen, will sein Chef Christian Voß nicht sagen. Denn hier greife bereits das Steuergeheimnis. Doch man habe schon einiges Interessantes gefunden, so der Sachgebietsleiter der FSKI.

Die KI arbeite dabei wie ein Filter, finde relevante Daten und macht Prüfungsvorschläge, so Voß. Das bedeutet Entlastung für die Mitarbeiter. Doch die Entscheidung, was mit den Ergebnissen der KI passiert, übernimmt dann doch wieder ein Mensch.

Strafrechtler zweifelt an politischem Aufklärungswillen

Doch kann KI die Arbeit der Finanzämter wirklich effektiver machen? Der Richter und Frankfurter Strafrechtsprofessor Matthias Jahn ist da skeptisch. Er hält den Mehrwert des Einsatzes von KI für begrenzt. Die Daten müssten letztlich doch von einem Menschen ausgewertet werden. Und am Ende müsse ein Staatsanwalt entscheiden, ob es sich um strafbare Steuerhinterziehung handele, so Jahn, oder "nur um ein moralisch vielleicht anstößiges, aber rechtlich erlaubtes aggressives Steuermodell".

Auch zweifelt Jahn am politischen Willen, die Täter zu verfolgen. Zuletzt hätten in der Europäischen Union 24 Mitgliedsländer eine Richtlinie zur Aufklärung solcher Sachverhalte erst verspätet umgesetzt, so Jahn - und damit immerhin die Mehrheit der Mitgliedstaaten. Allein das zeige, "dass selbst hier in Europa der Aufklärungswille sehr eingeschränkt ist".

Tatsächlich gab es bisher kaum Verurteilungen im Zusammenhang mit den Pandora Papers. Doch vielleicht ändert sich das ja, wenn in Kassel noch mehr Daten ausgewertet werden.