Behörden kommen kaum hinterher Über 25.000 Anträge auf Einbürgerung stapeln sich in Hessen
Wer deutscher Staatsbürger werden will, muss einige Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehört offenbar auch, viel Geduld zu haben. In den Regierungspräsidien in Hessen stapeln sich die Einbürgerungsanträge. Die Wartenden bringt das in Notlagen.
Ausländer sollen künftig früher die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Am Mittwoch hat das Kabinett den Gesetzentwurf zur Neuregelung der Einbürgerung beschlossen. So soll sie künftig schon nach fünf - statt wie bisher nach acht - Jahren möglich sein. Bei besonderen Integrationsleistungen und fortgeschrittenen Sprachkenntnissen sind Anträge nun nach drei statt bisher sechs Jahren möglich.
Diese Entscheidung dürfte den Druck auf die größte Einbürgerungsbehörde Deutschlands, das Regierungspräsidium (RP) Darmstadt, nur noch weiter erhöhen. Derzeit stapeln sich rund 14.000 unbearbeitete Anträge im RP - die Wartezeit bis zur Bearbeitung liege mittlerweile bei 14 Monaten.
Dazu kommen weitere 6.500 Anträge in Gießen und 5.100 in Kassel. Das teilten die jeweiligen Regierungspräsidien auf hr-Anfrage mit. Das macht in Summe über 25.000.
Zahl der Anträge steigt
In den vergangenen zwei Jahren ist die Anzahl von Einbürgerungsanträgen bundesweit um 28 Prozent gestiegen. In Hessen waren es in diesem Zeitraum sogar 36 Prozent. Beim RP Darmstadt komme diese deutliche Zunahme besonders zum Tragen, da es zentral für alle Verfahren im gesamten Rhein-Main-Gebiet und in Südhessen zuständig sei, teilte die Behörde mit.
Hintergrund für den massiven Anstieg sei, dass viele Geflüchtete, etwa aus Syrien, mittlerweile lange genug in Deutschland sind, um die Voraussetzungen für eine Einbürgerung zu erfüllen. Vor acht Jahren steckte Deutschland inmitten der sogenannten Flüchtlingskrise. Knapp 900.000 Schutzsuchende kamen ins Land. Nun werden die bislang notwendigen acht Jahre auf fünf gesenkt.
Die lange Bearbeitungsdauer der Anträge führt zu massiven Problemen bei den Betroffenen. Ali, 34 aus dem Irak, sagte dem hr: "Die Einwanderungsbehörde in meiner Stadt machte es wirklich schwierig. Ich habe ungefähr 20 Monate gewartet, bis ich nun vor Gericht ziehen werde. Meine Geschichte aus Leid und Trauma geht mit den deutschen Behörden weiter."
Mohamad aus Syrien ist 37 Jahre alt. Im April 2022 habe er seinen Einbürgerungsantrag gestellt. Monate später sei ihm aus Darmstadt signalisiert worden, dass es bis zu zwölf Monate dauern könne, bis er eine Antwort erhalte. "Jetzt sind mehr als 13 Monate vergangen, und ich habe überhaupt keine Antwort bekommen." Das schränke ihn im Alltag ein.
Probleme bei Reisen und beim Ratenkauf
"Ich möchte meine Mutter im Libanon besuchen, aber ich kann nicht, weil der Libanon das Flüchtlingsreisedokument nicht akzeptiert." Mit einem deutschen Pass wäre das Reisen deutlich einfacher.
Selbst beim Kauf von neuen Möbeln spüre er den fehlenden Pass immer noch: "Ich wollte eine Küche kaufen und in Raten zahlen", erklärte Mohamad dem hr, "aber ich konnte nicht, weil die Bank meinen Aufenthaltstitel nicht akzeptiert hat, obwohl ich eine Niederlassungserlaubnis habe".
Reisen kein Grund für schnellere Bearbeitung der Anträge
Das Auslaufen von Aufenthaltstiteln oder auch der Wunsch, in andere Länder zu verreisen, "kann grundsätzlich keine Eilbedürftigkeit begründen", heißt es aus Darmstadt. Deshalb werden Anträge also nicht bevorzugt behandelt - sondern es wird aus Gründen der Gleichbehandlung nach Datum des Antragseingangs abgearbeitet. Immerhin: Sobald mit der Bearbeitung begonnen wird, werde man informiert.
Die angekündigten zwölf Monate Wartezeit bei Mohamad sind vermutlich aber noch zurückhaltend geschätzt. Derzeit weist das RP Darmstadt auf seiner Website auf eine Dauer von mindestens 14 Monaten hin - ab der Übersendung durch die untere Verwaltungsbehörde.
Eine realistische Schätzung, wie lange die Bearbeitung dauert, könne man ohnehin nicht geben, so das RP - es gebe jeweils abhängig vom Einzelfall enorme Unterschiede in der Dauer.
Wer in Deutschland nämlich einen deutschen Pass beantragen möchte, tut dies als erstes in seiner Stadt oder Kommune bzw. im Landkreis, wenn er oder sie in einer kleinen Stadt wohnt. Erst wenn diese sogenannte untere Verwaltungsbehörde die Einbürgerung geprüft hat, schickt sie den Antrag zum Regierungspräsidium zur gründlichen Prüfung. Ab dann laufen erst die 14 Monate Wartezeit bis zur Bearbeitung.
Corona sei Grund für lange Wartezeiten
Aber warum dauert es so lange? Das RP Darmstadt sieht vor allem die zurückliegende Corona-Pandemie als Ursache für die Verzögerung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten bei der Bearbeitung von Anträgen zu Corona-Entschädigungszahlungen aushelfen müssen. Dadurch wurden offenbar andere Aufgaben - also die Einbürgerungen - hintenangestellt.
In Kassel arbeiteten derzeit acht Vollzeitstellen an den Anträgen, in Gießen seien es vier, in Darmstadt alleine für die Sachbearbeitung von Anträgen von Drittstaatsangehörigen rund 16 Vollzeitstellen. Zehn weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien derzeit in der Einarbeitung in Darmstadt.
Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes wird mehr Anträge bedeuten
Das RP rechnet nun, da die Bundesregierung die Voraussetzungen für eine Einbürgerung verändert hat, mit einer weiteren Zunahme an Anträgen. Diese würden nicht nur einen deutlichen Mehraufwand für die Einbürgerungsbehörden bedeuten, sondern ebenso werden "die Kommunen und kommunalen Ausländerbehörden verstärkt mit der Bearbeitung von Einbürgerungsanträgen befasst sein", prognostizierte ein Sprecher.
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) kritisierte den Beschluss vom Mittwoch: Die Staatsangehörigkeit künftig schneller zu erteilen, sei "das falsche Signal zu einer falschen Zeit", sagte er. Damit schaffe die Ampel-Koalition neue Anreize für Zuwanderung nach Deutschland.
Jürgen Frömmrich, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Landtagsfraktion teilte mit, es sei richtig, die Hürden für eine Einbürgerung zu senken. Dabei gehe es aber gerade nicht darum, die deutsche Staatsbürgerschaft wahllos zu vergeben.
Er sei froh, dass die Zeit emotionaler Migrationsdebatten unter demokratischen Parteien vorbei sei und die misslungene Kampagne zur doppelten Staatsbürgerschaft des damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch der Vergangenheit angehöre.
Nun soll also die Anzahl der Jahre, in denen man in Deutschland gelebt haben muss, um eingebürgert zu werden, gesenkt werden. Für viele Antragsteller dürfte das jedoch bedeuten, dass im Gegenzug die Zeit bis zur Bewilligung des Antrags dennoch länger wird.
Anm. d. Red.: In einer früheren Version hieß es, dass das RP Darmstadt auf eine Bearbeitungsdauer von mindestens 14 Monaten hinweise. Tatsächlich beziehen sich die 14 Monate auf die Zeit, bis überhaupt mit der Bearbeitung begonnen wird. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Sendung: hr-iNFO, 23.8.2023, 14 Uhr
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