Onlineportal der Landesregierung Bürokratiewahnsinn kann jetzt gemeldet werden
Zu viel Bürokratie frisst Zeit, führt zu unnötigen Kosten und Stress: Entbürokratisierungsminister Manfred Pentz (CDU) will mit einem Meldeformular für Negativbeispiele gegensteuern.
Hessens Minister für Entbürokratisierung, Manfred Pentz (CDU), will wissen, wo es hakt im Land: Seit Dienstag können Bürgerinnen und Bürger online Bürokratiestau melden. "Ich rufe die Hessinnen und Hessen dazu auf, uns zu sagen, wo der Schuh drückt. Je konkreter, desto besser", sagt Pentz.
"Bessereinfach" heißt das Portal. Wer darauf klickt, landet auf der Internetseite der Staatskanzlei bei einem schmucklosen Onlineformular mit drei Fragen: Welches Problem gibt es mit der Bürokratie? Bei welcher Behörde? Was sind Verbesserungsvorschläge? Wer ausufernde Bürokratie meldet, unterstütze die Landesregierung dabei, "bürokratische Lasten abzubauen", heißt es auf der Internetseite.
Skepsis bei der FDP
Von der FDP kam am Dienstag Skepsis gegenüber den Plänen: Das "Bürokratie-Ballett" von Pentz helfe nicht gegen die "Bürokratieberge", wettert der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Stefan Naas, per Pressemitteilung. "Wir haben kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem", sagt Naas dem hr. Er glaube, das Melde-Portal sei vor allem ein PR-Gag der Landesregierung, der am Ende durch die Auswertung der Beiträge sogar zu noch mehr Bürokratie führe.
Das Meldeportal ist allerdings nicht die einzige Maßnahme des Entbürokratisierungsministers Pentz. Auch er sprach Anfang Juni von einem "Berg an Bürokratie" und einer "Mammutaufgabe". Ehrenamt, Finanzamt, Bundesgesetze, es gebe viele Bereiche, in denen er sich in Sachen Bürokratieabbau einbringe, sagte Pentz dem hr. Um den Bürokratie-Berg zu bekämpfen, hatte er Anfang Juni auch das Bündnis gegen Bürokratie ins Leben gerufen. Darin sind Kommunen, Unternehmen, Landwirte, Verbände und Institutionen aktiv.
Viernheimer Bürgermeister: "Haben sie schon die letzten 30 Jahre probiert"
Im neuen Bündnis gegen Bürokratie ist auch Matthias Baaß (SPD). Er ist als Bürgermeister von Viernheim unfreiwillig auch Bürokratieexperte. Komplizierte Abläufe, Formulare und Zuständigkeiten, er kennt die Baustellen mit denen Kommunen täglich zu tun haben. Und jetzt ein neuer Vorstoß zum Bürokratieabbau? "Prima Sache! Aber das haben sie schon die letzten 30 Jahre probiert", sagt Baaß. Mehr als diese Reaktion erwarte er nicht aus den Kommunen oder der Wirtschaft, mehr Achselzucken als Aufbruch.
In den vergangenen Jahrzehnten habe die Politik immer wieder Bürokratieabbau angekündigt. "In der Regel ist es nicht weniger geworden, sondern mehr", sagt Baaß. Versprochen worden sei schon vieles: "Oft werden hohe Erwartungen geweckt, die im Leben nicht erfüllt werden können."
Baaß: "Kein Vertrauen mehr in die, die vor Ort sind"
Baaß nennt ein Beispiel aus der Praxis für Stau durch Bürokratie, das auch für das neue Meldeformular taugen würde: Es herrsche akute Personalnot in Kitas. Gruppen, die dringend gebraucht würden, müssten deswegen schließen. Dann bewirbt sich eine Erzieherin, die in Österreich ausgebildet wurde, Sprachbarrieren gibt es keine.
Normalerweise würde die Kita-Leiterin entscheiden, ob die Person qualifiziert ist, sagt Baaß. So einfach sei es dann aber nicht: "Der Abschluss muss vom Sozialamt als gleichwertig anerkannt sein." Anschließend müsse das Jugendamt auch noch die Zustimmung geben und prüfen, ob die Bewerberin zum Konzept der jeweiligen Kita passt. "Der Staat, das Land, der Bund, die EU haben kein Vertrauen mehr in die, die vor Ort tätig sind", glaubt Baaß.
Fehlendes Vertrauen?
Statt dass die Kita-Leitung entscheidet, wer in die Einrichtung passt, würden andere entscheiden, die gar nicht vor Ort sind. Dieses fehlende Vertrauen widerspreche der Idee der kommunalen Selbstverwaltung, die im Grundgesetz steht. "Für mich heißt das Selbstgestaltung", sagt Baaß. Das von Pentz initiierte Bündnis zur Entbürokratisierung will Baaß allerdings unterstützen: Es seien schon Vorschläge für Bürokratie-Abbau an Ministerien geschickt worden.
Diesen Punkt betont auch Oliver Huhle, Geschäftsführer des Betriebs Huhle Stahl- und Metallbau in Wiesbaden. Es müsse mehr Verantwortung an die Unternehmen zurückgegeben werden. "Als Handwerker haben wir das Gefühl, bald für alles einen Führerschein zu brauchen", bei jedem Gerät und jeder Maschine, obwohl ausgebildete Facharbeiter im Betrieb arbeiten.
Dokumentation, Nachweise, Berichterstattung
Dazu komme die Arbeit durch Dokumentation, Nachweise, Berichterstattung an Behörden, die immer mehr Zeit in Anspruch nehme. "Es gibt Situationen, wo man an die innere Ärgergrenze kommt, weil man denkt, das ist schon unnötig", sagt Huhle. Es gebe bereits konkrete Forderungen der Handwerksverbände und der IHK an die Bundes- und Landespolitik, der Wunsch sei nun, dass jetzt auch was umgesetzt werde.
Gegen ein Melde-Portal für Bürger haben Baaß und Huhle nichts einzuwenden. Huhle gibt der Politik aber noch einen generellen Rat mit auf den Weg: "Dass man vielleicht am Anfang leiser ist und am Ende lauter berichtet, was man alles umgesetzt hat."
Redaktion: Sonja Süß
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 16.7.2024, 19.30 Uhr