Check zur Bundestagswahl Darmstadts "Zeichen der Solidarität": Weg aus der Kita-Krise?

Massiver Personalmangel bringt das System Kinderbetreuung vielerorts ins Wanken. Die Stadt Darmstadt räumt ein, den Rechtsanspruch auf einen Platz nicht erfüllen zu können - und geht nun einen eigenen Weg.

Erwachsene und Kinder in einer Straße beim Demonstrieren für bessere Kinderbetreuung. Jemand hält ein Schild hoch mit der Aufschrift "Qualität statt Aufbewahrung".
Demonstration für bessere Kinderbetreuung (Archivbild). Bild © Imago Images

Den Kitas geht es nicht gut. An allen Ecken und Enden fehlt Personal, Erzieherinnen und Erzieher sind stark belastet, die Qualität leidet. Notbetreuungen sind mehr Regel denn Ausnahme, trotz Rechtsanspruch finden viele Eltern keinen Betreuungsplatz. Über allem schwebt der Fachkräftemangel, der den zuständigen Kommunen stark zusetzt. Darmstadt geht nun einen eigenen Weg - der nicht unumstritten ist.

"Wir haben die Betreuungszeiten gekürzt", erklärt Bürgermeisterin und Sozialdezernentin Barbara Akdeniz (Grüne) im Gespräch mit dem hr. Beim Ganztagsmodell wurde eine Stunde gestrichen, statt 50 Stunden in der Woche enthält das Paket nur noch 45 Stunden. Der Preis blieb gleich. "Damit wollen wir den Flickenteppich an Notbetreuungen abschaffen und ein zwar reduziertes, dafür aber verlässliches Betreuungsangebot schaffen", so Akdeniz.

Die Regelung gilt seit November 2024 einheitlich für alle Kitas in der Stadt, auch für jene in privater Trägerschaft, zum Beispiel von Arbeiterwohlfahrt (AWO), Arbeiter-Samariterbund (ASB) und Kirchen. "Wir haben es hier in Darmstadt geschafft, alle Träger an einen Tisch zu bringen und gemeinsam eine Entscheidung zu treffen", sagt Akdeniz. Auf dieses "Zeichen der Solidarität" sei sie stolz.

Weniger Betreuung, mehr Qualität

Es handele sich dabei um eine wohlüberlegte Entscheidung, die mit Blick auf die aktuelle Situation getroffen worden sei. "Durch die Reduzierung der Betreuungszeit wollen wir das Personal entlasten und die Qualität erhalten", betont die Sozialdezernentin. Qualitätsverluste seien nicht nur für die Kinder und Eltern von Nachteil, bei zu schlechten Arbeitsbedingungen drohe auch das Personal abzuwandern. Ein Teufelskreis, den Darmstadt zu durchbrechen versucht.

Die Kommunen sind dafür verantwortlich, ausreichend Plätze in der Kinderbetreuung zur Verfügung stellen, das Personal dafür zu finden und die Einrichtungen in Schuss zu halten. Eine Mammutaufgabe, findet Akdeniz.

"Können Rechtsanspruch der Eltern derzeit nicht erfüllen"

Rund 120 Millionen Euro gab die Stadt vergangenes Jahr für Kinderbetreuung aus. Bei ihrem Amtsantritt im Jahr 2011 seien es 30 Millionen Euro gewesen. "Unser größtes Problem ist und bleibt aber, ausreichend Fachkräfte zu finden", sagt Akdeniz.

Rund 50 Stellen seien in Darmstadt derzeit unbesetzt, sagt Imke Jung-Kroh, Leiterin des Jugendamts. Dadurch könnten etwa 260 theoretisch vorhandene Betreuungsplätze nicht vergeben werden. "Wir können den Rechtsanspruch der Eltern auf einen Betreuungsplatz derzeit nicht erfüllen", räumt die Amtsleiterin ein.

Eine Situation, wie man sie in ähnlicher Form in vielen Kommunen vorfindet. In ganz Hessen sind nur noch 36 Prozent aller Teams in den rund 4.000 Kitas mit ausreichend Fachkräften ausgestattet. Mehr als 10.000 Stellen für Erzieherinnen und Erzieher sind unbesetzt.

Eltern kritisieren Modell

Die ersten Rückmeldungen aus den Kitas in Darmstadt seien überwiegend positiv, erzählt Akdeniz. Derzeit laufe eine Auswertung des Projekts, das vorerst bis Ende April laufen soll. Aus den Reihen der Eltern kommen dagegen weniger positive Reaktionen.

"Viele stellt die Reduzierung der Öffnungszeiten vor große Probleme", sagt Tara Rensch-Hewitt, stellvertretende Vorsitzende des Darmstädter Hauptelternbeirats, in dem alle städtischen Kitas organisiert sind. So könnten etwa Lehrkräfte ihre Kinder nicht einfach eine halbe Stunde oder Stunde später in die Kita bringen. Auch bei Menschen mit anderen Berufen gebe es Probleme. "Nicht jeder hat eine Oma oder einen Opa, die in der Not einspringen."

Viele Eltern hätten zwar Verständnis für die angespannte Situation, in der sich die Stadt befindet. Eine Lösung auf Dauer könne das Modell aber nicht sein, sagt Rensch-Hewitt: "Es wird den Bedürfnissen der Eltern nicht gerecht."

Neues Kita-Gesetz zielt auf Personalgewinnung

Um den Bedürfnissen in Kitas und anderen Einrichtungen der Kinderbetreuung in Zukunft gerecht werden zu können, hat der Bund eine Weiterentwicklung des sogenannten Kita-Qualitätsgesetzes beschlossen, die seit Anfang des Jahres gilt. Das bedeutet unter anderem, dass der Bund den Ländern in den Jahren 2025 und 2026 insgesamt vier Milliarden Euro zur Verfügung stellt, um die Qualität in Kindertagesstätten zu verbessern.

Das fordern die Parteien zur Kinderbetreuung

Die Union verspricht in ihrem Wahlprogramm eine bessere Betreuungssituation für Kita- und Schulkinder. Verpflichtende Sprachkurse vor der Einschulung sollen sicherstellen, dass alle Kinder Deutsch können, wenn sie in die Schule kommen. In der Bildungspolitik sollen Bund und Länder besser zusammenarbeiten, ohne die föderale Struktur aufzugeben. Zudem will die Union das Kindergeld anheben und sicherstellen, dass Leistungen einfacher beantragt werden können. CDU und CSU wollen zudem "ein bundesweites Bildungsverlaufsregister über alle Stufen formaler Bildung" einführen. Die Daten sollen der Forschung zur Verfügung gestellt werden.

Die SPD plant eine "Fachkräfteoffensive für Kitas und Schulen", um dem Personalmangel entgegenzuwirken. Das Startchancenprogramm an Schulen solle ausgebaut und auch auf Kitas übertragen werden, heißt es im Wahlprogramm der Partei. Zudem soll sich die Vielfalt der Gesellschaft viel mehr als bisher in Schulbüchern, Lehrplänen, Lehr- und Betreuungskräften widerspiegeln. Um die bildungspolitischen Maßnahmen zu finanzieren, will die SPD die Erbschafts- und Schenkungssteuer reformieren.

Die AfD steht dem Betreuungsmodell Kita ablehnend gegenüber. So sollen Eltern oder Großeltern bis zum dritten Geburtstag des Kindes ein "Betreuungsgehalt" in Höhe des durchschnittlichen Nettolohns vor der Geburt ihres Kindes oder Enkelkindes erhalten, wenn sie es selbst betreuen, statt es in eine Kita zu geben. In ihrem Wahlprogramm schlägt die AfD zudem ein Familiensplitting vor, das kinderreiche Familien steuerlich entlasten soll. Die Mehrwertsteuer auf Kinderartikel soll auf sieben Prozent sinken. Die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz lehnt die AfD entschieden ab.

Die Grünen wollen in gute Kitas investieren sowie bundesweite Qualitätsstandards einführen und eine verlässliche Betreuung sicherstellen. Unternehmen sollen steuerlich begünstigt werden, wenn sie Betriebskitas einrichten. Auch Bildungs- und Betreuungsangebote an Schulen sollen ausgebaut werden. Bund und Länder müssten in der Bildungspolitik enger zusammenarbeiten, fordern die Grünen in ihrem Wahlprogramm. Kinderarmut soll durch einfach zu beantragende Sozialleistungen wie Kindergeld und Kinderzuschlag abgefedert werden. Darüber hinaus wollen die Grünen die Kinderrechte ins Grundgesetz aufnehmen.

Die FDP bezeichnet Bildung in ihrem Wahlprogramm als "eine der wertvollsten Ressourcen unseres Landes". Bildung soll unabhängig von der Herkunft einen Aufstieg ermöglichen und beginnt für die Liberalen schon in der Kita. Deshalb will sie neue Zuständigkeiten schaffen. Ginge es nach der FDP, wäre künftig nicht das Familienministerium, sondern das Bildungsministerium für Kitas verantwortlich. Sprachtests vor Beginn der Schulzeit will die FDP verpflichtend einführen, bundesweit sollen an Schulen und Kitas einheitliche Qualitätsstandards gelten. Betreuungskosten sollen steuerlich besser absetzbar sein. 

Die Linke fordert den weiteren Ausbau der Ganztagsbetreuung, um Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Die Betreuung sowie die Verpflegung in Schulen und Kitas sollen kostenlos sein. Auch Schulbücher sollen nichts kosten. Laut ihrem Wahlprogramm will die Partei Kinderrechte im Grundgesetz festschreiben und Kindern und Jugendlichen einen Rechtsanspruch auf gute Entfaltung und soziale Teilhabe einräumen. Das Elterngeld will die Linke anheben.

Ziel des Bündnisses Sahra Wagenknacht ist es, "Deutschland zu einem kinder- und familienfreundlichen Land zu machen". So steht es im Wahlprogramm. Dafür will die Partei ein Infrastrukturprogramm aufsetzen, das Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zugute kommen soll. Kitabeiträge will das BSW senken und mittelfristig streichen. Das Mittagessen in Schulen und Kitas soll ebenfalls kostenlos sein. Das BSW plant verpflichtende Deutschtests für Dreijährige. Wenn sie Defizite haben, sollen sie in einer Kita gefördert werden.

Geld gab es auch in den Jahren zuvor schon. Neu ist allerdings, dass es nun hauptsächlich in das vorhandene Personal und in die Gewinnung neuer Fachkräfte investiert werden soll. Es darf beispielsweise nicht mehr dazu verwendet werden, Kitagebühren zu senken.

Land will Kitas und Kommunen unterstützen

Ein Auftrag, den das Land Hessen ernst nimmt, wie Sozialministerin Heike Hofmann (SPD) im Gespräch mit dem hr sagt. Stärkung der vorhandenen Teams in den Kitas und Gewinnung neuen Personals seien Hauptanliegen. Das Land will 2025 und 2026 insgesamt 88 Millionen Euro in die Hand nehmen.

Mit dem Geld sollen die Einrichtungen gezielt bei der Bewältigung ihrer Aufgaben unterstützt werden. "Wir setzen zum Beispiel das Förderprogramm 'Starke Teams, starke Kitas' fort", sagt Hofmann. Auch das Förderprogramm "Sprach-Kitas" läuft nach Auskunft der Ministerin zumindest bis Ende 2026. Zudem sollen Kommunen nach dem Willen der Ministerin in Zukunft die Möglichkeit erhalten, zinsgünstige Kredite beim Land für Bauprojekte aufzunehmen.

Land stellt 800 Assistenzkräfte

Ein weiteres Förderprogramm zielt auf die Gewinnung neuen Personals ab, so Hofmann. Seit 2020 seien dort 200 Millionen Euro investiert worden. In diesem Zuge appellierte der Hessische Städte- und Gemeindebund erst vor wenigen Tagen an die Landesregierung, die bürokratischen Hürden abzubauen und den Zugang zu Kita-Berufen zu erleichtern. Die Vorgaben für notwendige Aus- und Fortbildungen müssten flexibler werden, heißt es in einer Mitteilung.

Hofmann hat jüngst eine weitere Maßnahme zur personellen Stärkung der Kitas vorgestellt: 800 sogenannte Assistenzkräfte für nicht-pädagogische Tätigkeiten will das Land anstellen und bezahlen. "Diese Menschen sollen das pädagogische Personal in den Kitas entlasten, indem sie etwa helfen, das Mittagessen vorzubereiten, den Tisch zu decken oder Spielzeuge aufzuräumen", erklärt die Ministerin. Im Sommer soll es losgehen.

"Wir brauchen niemanden, der den Tisch abwischt"

Für Barbara Akdeniz ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. "Wir brauchen niemanden, der mal schnell den Tisch abwischt", sagt die Darmstädter Sozialdezernentin. Vielmehr brauche es ausgebildetes Personal, das seinen Job gelernt hat.

Nur so könnten die Kommunen ihrem Bildungsaftrag in der Kinderbetreuung gerecht werden, betont Akdeniz: "Wir wollen Kinder nicht einfach nur betreuen, wir wollen ihnen helfen, sich zu selbstbewussten, selbstständigen jungen Menschen zu entwickeln." Das gehe nur mit Fachpersonal. Das sieht auch Elternbeirätin Rensch-Hewitt so. Mit Blick auf die Assistenzkräfte sagt sie: "Ich glaube nicht, dass das den Kitas wirklich hilft."

In einem sind sich sowohl Akdeniz als Vertreterin der Stadt als auch Rensch-Hewitt als Stimme der Eltern und Landesministerin Hofmann einig: Die Probleme werden nicht einfach so verschwinden, Kinderbetreuung wird sich weiter verändern. Oder um es in den Worten von Ministerin Hofmann zu sagen. "Wir müssen neue Wege gehen." Darmstadt hat sich aufgemacht. Ob es ein erfolgreicher Weg ist, wird die Zeit zeigen.

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Quelle: hessenschau.de