Wie der hessische Weg doch nicht zur Berliner Sackgasse wurde

Die CDU bei der Bundestagswahl weit vorne, die FDP draußen: Ein Teil der Hoffnung von Hessens Regierungschef Boris Rhein ging schon früh am Abend auf. Aber erst das denkbar knappe Scheitern Sahra Wagenknechts rückt die von ihm zur Nachahmung empfohlene Koalition mit der SPD in greifbare Nähe.

Zwei Männer in dunklen Anzügen stehen auf einer blau gestalteten Bühne und lächeln. Der eine Mann klatscht in die Hände.
Boris Rhein (rechts) und Friedrich Merz kurz vor der Bundestagswahl in Darmstadt. Bild © picture alliance/dpa | Boris Roessler

Der Wahlabend war noch jung, da plädierte der nach Berlin gereiste CDU-Ministerpräsident Boris Rhein für die Koalitionsverhandlungen der kommenden Tage schon stolz für seinen "hessischen Weg". Eine Regierung wie in Wiesbaden zu bilden, mit der so viel Unionspolitik wie möglich umgesetzt werde - das könne jetzt "zum Vorbild für den Bund werden".

Diese wegweisende Geschichte erzählt Rhein, seit er nach der Hessen-Wahl 2023 zwischen den angeschlagenen Wahlverlierern SPD und Grünen wählen und den Preis fürs Mitregieren hochtreiben konnte. Er brauchte für eine klare Mehrheit ja nur einen Partner.

Am Sonntagabend beschwor er auch wieder die "Renaissance der Realpolitik" für ganz Deutschland, die er in Hessen mit der SPD verwirklichen will, seitdem er den Grünen den Laufpass gab. Doch erst gegen 2 Uhr in der Nacht wurde klar: Der Weg, den ein Kanzler Friedrich Merz bis zum Amtseid vor sich hat, könnte dem von Rhein ähneln.

Zwei lieferten

Die Union blieb mit 28,5 Prozent unter der 30-Prozent-Marke und hinter den Erwartungen zurück. Als klare Siegerin der Bundestagswahl ist sie trotzdem so stark wie SPD und Grünen zusammen. Am Ende ist sogar das Zweierbündnis á la Rhein möglich.

Wenn die FDP rausfalle, könne das mit der von der CDU eindeutig dominierten christlich-sozialdemokratischen Koalition noch klappen: Das war die Hoffnung des 53-Jährigen. Die Liberalen taten ihm den Gefallen. Rasch war klar: Sie schaffen es nicht.

Und die SPD lieferte auch: Wie bei der Landtagswahl legte sie auch im Bund das schlechteste Ergebnis aller Zeiten hin, schien aber als Juniorpartner noch gut genug.

Am Ende spielte Sahra Wagenknechts BSW auch noch mit. Nach einer Zitterpartie blieb sie an der Fünf-Prozent-Hürde hängen. Die Umfragen von infratest dimap für die ARD sahen sie den ganzen Abend knapp draußen, die der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF knapp drin im Parlament.

Grüne nicht als Druckmittel

Und so wurde der hessische Weg doch nicht zur Berliner Sackgasse. Für Schwarz-Rot mit einem dicken Schwarz und einem viel dünneren Rot würde es nun wie in Wiesbaden reichen. Was anders als in Hessen nicht funktionieren wird: durch parallele Gespräche mit den Grünen noch mehr Zugeständnisse zu erzielen. Mit der Partei, die Rhein für seine Realpolitik für untauglich befand und von der die CSU nichts wissen will, würde es ohnehin nicht zu einer Koalition reichen.

Klare Führung

Die Union mit der Merz-Vertrauten Patricia Lips als Spitzenkandidatin landete bei dem kurz vor Mitternacht von Landeswahlleiter Wilhelm Kanther veröffentlichten vorläufigen hessischen Resultat bei 28,9 Prozent.

Damit ist die CDU landesweit mit großem Abstand vorne. Die Hessen-SPD fährt genauso große Verluste wie die Bundespartei ein, schafft es aber immerhin vor der AfD auf Platz zwei, die schwächer abschneidet als in ganz Deutschland. Und mit dem Ergebnis von 5,0 Prozent in Hessen wäre die Bundes-FDP doch wieder in den Bundestag eingezogen.

Triumphe mit Fragezeichen

Bei den Erststimmen feierten ihre Direktkandidatinnen und -kandidaten geradezu einen Triumph. In 20 von 22 Wahlkreisen hatten ihre Frauen und Männer die Nase vorn. Möglicherweise werden wegen der Verkleinerung des Bundestags aber nicht alle ins Parlament einziehen.

So drehte die CDU in Hessen den katastrophalen Trend mehr als um, zu dem es nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel 2021 gekommen war. Damals standen nur noch sieben schwarzen Wahlkreisen 14 rote und erstmalig ein grüner gegenüber. Nun ging das jahrzehntelang traditionell rote Nordhessen fast komplett an die CDU. Und die Grünen gingen ganz leer aus.

Die klare Führung errang die CDU in Hessen, indem sie 6,1 Prozentpunkte mehr als bei der Bundestagswahl 2021 holte. Das Bundesergebnis der Union übertraf sie nur geringfügig um 0,3 Prozentpunkte. Mit ihrem jüngsten Landtagswahlergebnis von 34,6 Prozent halten die Zahlen nicht mit.

Ein Vorstoß, der nicht zog

Die Koalitionsverhandlungen könnten durch die umstrittene Bundestagsabstimmung von Ende Januar erschwert werden. CDU-Kanzlerkandidat Merz hatte einen Entschließungsantrag zur Verschärfung der Asylpolitik nur mit Hilfe der AfD durchgebracht. CDU-Landeschef Rhein gab Merz dafür volle Rückendeckung.

Die SPD beklagte das Novum als Tabubruch. Ihr Landeschef Sören Bartol zeigte sich "geschockt und entsetzt" und sprach von der "Zerstörung der Brandmauer". Die lange unter fünf Prozent dümpelnde Linke stieg anschließend erst steil in den Umfragen und nun bei der Wahl. In Hessen erzielte die Partei, die im Herbst 2023 den Einzug in den Landtag klar verpasste, mit 8,7 Prozent ein ebenso ordentliches Resultat wie im Bund.

Das Migrationsthema bewegte viele Menschen, eine Mehrheit ist auch für Einschränkungen. Aber Versäumnisse auf diesem Gebiet schrieben viele Bürgerinnen und Bürger der CDU/CSU aus ihren langen Regierungsjahren zu. In Hessen stellt die CDU seit einem Vierteljahrhundert die Ministerpräsidenten und Innenminister.

In Stimmen zahlte sich Merz' Vorstoß nicht aus. Vor und nach der Abstimmung lag die Union in Umfragen bei zwischen 30 und 33 Prozent. Am Ende geriet sie sogar noch unter die 30-Prozent-Marke.

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de