7 Gründe für das Ergebnis der Bundestagswahl

Das Ergebnis der Bundestagswahl ist ziemlich genau so ausgefallen, wie die Umfragen es voraussagten. Doch was hat die Wählerinnen und Wähler wirklich bewegt? Ein Blick auf die Wahlmotive in Zahlen und Grafiken.

Frau in einer Wahlkabine
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Leere Sitzreihen im Bundestag.
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Die Ampelparteien abgestraft, die FDP ganz raus aus dem Bundestag, die SPD historisch schlecht, die Union als Wahlsiegerin mit weniger als 30 Prozent, die AfD über der 20-Prozent-Marke, das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, die Linke auferstanden aus Ruinen. Die Prognosen der Wahlforscher lagen bei dieser Bundestagswahl richtig, der Wahlabend bot kaum Überraschung. Das hessische Landesergebnis unterscheidet sich kaum vom bundesweiten.

Gründe für die Wahlentscheidungen der Bürgerinnen und Bürger lassen sich aus bundesweiten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap vor und nach der Stimmabgabe ablesen.

1. Kein überragendes Thema

Im Wahlkampf wurde stets betont, dass die Sorge um die wirtschaftliche Lage Deutschlands und die Migrations- und Asylpolitik die entscheidenden Themen seien. Die Zahlen spiegeln das jedoch nicht eindeutig wider. Ähnlich hohe Werte erreichten Friedenssicherung sowie soziale und innere Sicherheit – wobei bei den letztgenannten Themen auch die Rezession und die Zuwanderung eine maßgebliche Rolle spielen dürften.

Grafik mit Ergebnissen einer Umfrage zu den Gründen für ihre Wahlentscheidung
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Grafiken mit Angaben zu Gründen für die Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl
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Für Vertreter von Wirtschaftsverbänden stellt sich das jedoch anders dar. Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände und der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer wünschen sich dringend eine neue Konjunkturpolitik mit günstigeren Energiepreisen, niedrigeren Steuern und weniger Bürokratie. Der Hessische Industrie- und Handelskammertag fordert "eine Politik, die verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen schafft". Und der Verband der Chemischen Industrie hält fest: "Die Hütte brennt in der Industrie an allen Ecken und Enden." Sie alle dürften auf eine unionsgeführte Bundesregierung unter einem Kanzler Friedrich Merz bauen.

2. Ampel abwählen!

Dass die Ampel abgewählt gehöre, sagt Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) seit Jahren. Das war natürlich eine politische Forderung. Und doch hat er einen Punkt, wenn er nun feststellt: "Die Menschen im Land haben sich klar für einen Politikwechsel entschieden."

Grafiken mit Angaben zu Gründen für die Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl
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Dass die Menschen die Union für Missstände im Land für ebenso verantwortlich halten wie die Ampel-Parteien SPD und Grüne, erwähnt Rhein öffentlich nicht. Aber wenn er sagt, diesen Wechsel solle es "insbesondere in der Wirtschafts- und Migrationspolitik" geben, dann ist damit auch die eigene Partei gemeint - und die will ja nun, folgt man Merz und Rhein, mit ihrer endgültigen Abkehr von der Merkel-Linie liefern.

Dass die Politik und die vielen Streitereien der Ampel-Regierung nicht ankamen im Land, verdeutlicht auch folgende Grafik. Trafen die Grünen-Wähler ihre Entscheidung noch größtenteils aus Überzeugung, fällt dieser Wert bei den SPD-Wählern schon deutlich geringer aus. Bei den Anhängern der Union und der AfD spielt die Enttäuschung über die bisherige Politik eine große Rolle, beim BSW überwog sie sogar.

Grafiken mit Angaben zu Gründen für die Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl
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3. Das Ende der Zuversicht

Diese weit verbreitete Enttäuschung folgt einem historisch schlechten Wert bei der Zuversicht der Deutschen, was die Lage im Land angeht. Noch nie, teilte das Meinungsforschungsinstitut infratest dimap mit, sei vor einer Bundestagswahl ein niedriger Wert festgestellt worden als dieses Mal.

Grafik mit Ergebnissen einer Umfrage zur Zuversicht oder Beunruhigung wegen der Lage in Deutschland vor der Bundestagswahl
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Da sich auch in der Außenpolitik die Lage für Europa zuspitzt, kommt auf die nächste Bundesregierung und den wahrscheinlichen Kanzler Merz viel Arbeit zu. Nur darauf zu setzen, dass die verlorene Zuversicht in der Bevölkerung zurückkehrt, weil nun die Union die Leitlinien bestimmt, dürfte nicht reichen. Bemerkenswert ist, dass ein Fünftel der bis 34-Jährigen - und in der älteren Bevölkerungsgruppen sogar mehr als ein Viertel – keiner Partei Lösungen zutraut.

Grafiken mit Angaben zu Gründen für die Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl
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4. Das bitter-süße Ergebnis der Union

In der Redaktion haben wir am Wahlabend lange nach Fotos von jubelnden Anhängern der Union gesucht - gefunden haben wir Bilder von lächelnden Parteigranden wie Merz, CSU-Chef Markus Söder, Hessens Ministerpräsident Rhein und CDU-Generalsekretär Linnemann. Das Ergebnis von CDU/CSU liegt deutlich unter 30 Prozent und damit viel niedriger als lange Zeit in den Umfragen. Mit seinem Asylvorstoß hat Merz zumindest der AfD keine Wähler abspenstig gemacht.

Grafik mit der Wählerwanderung in Bezug auf die Unionsparteien bei der Bundestagswahl
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Die CDU-Spitzenkandidatin Patricia Lips sieht die Lage anders – gerade im Hinblick auf die tödlichen Gewalttaten durch Migranten in Magdeburg, Aschaffenburg und München. "Wenn wir nicht den Schritt gegangen wären zu zeigen, dass die Union bereit ist, bei der Migration einen Politikwechsel herbeizuführen, möchte ich nicht wissen, wo die AfD gestern gelandet wäre."

Grafik mit Umfrageergebnissen zur Wahlentscheidung der Union-Wähler bei der Bundestagswahl
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Gerade bei den Neu-Unionswählern überwog als Motivation die Enttäuschung über die Ampel und ihr gescheitertes Projekt einer Fortschrittskoalition. Selbst bei Stammwählern scheint die Überzeugung ausbaufähig. Letztlich fuhren CDU und CSU ihr zweitschlechtestes Ergebnis auf Bundesebene ein.

Und auch aus dem laut Rhein so vorbildlich von einer schwarz-roten Koalition regierten Hessen wehte kein starker Rückenwind für die Union. Mit 28,9 Prozent fuhr die Hessen-CDU fast sechs Prozentpunkte weniger ein als bei der Landtagswahl vor eineinhalb Jahren.

Dass sie fünf Wahlkreissieger nicht mit Direktmandat in den Bundestag schicken kann, liegt ja nicht nur am veränderten Wahlsystem, das Rhein nach der Wahl gleich wieder attackierte. Es liegt vor allem am CDU-Ergebnis im eigenen Land. Die CSU, die in Bayern alle Wahlkreise gewann, muss nur drei Sieger daheim lassen.

Grafik mit den schlechtesten Ergebnissen der Union bei Bundestagswahlen
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Weil die Union dennoch weit vor den übrigen Parteien und vor allem dem wahrscheinlichen Koalitionspartner SPD liegt, leiten Rhein und Lips nicht nur einen "klaren Regierungsauftrag" aus dem Wahlergebnis ab.

Lips setzte die Partner in spe auch gleich unter Druck und machte klar, wer ihrer Meinung nach den Ton angeben soll in einem möglichen Bündnis: "Ich kann der SPD nur im Guten raten, auf die Angebote der Union einzugehen. Gerade bei der Migration hat doch die Mehrheit der SPD-Wähler den Unionskurs unterstützt."

5. Der Absturz der SPD

Die Sozialdemokraten haben ihre eigenen Sorgen. Sie erzielten am 23. Februar ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl.

Grafiken mit den schlechtesten Ergebnissen der SPD bei Bundestagswahlen
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Folgt man den Ergebnissen von infratest dimap, gibt es dafür neben der Bilanz der Ampelregierung offenbar tieferliegende Gründe. Ihre Wähler verbinden mit der Partei zu einem nennenswerten Teil weiterhin die Hoffnung, dass sie für mehr soziale Gerechtigkeit sorge.

Grafiken mit Ergebnissen aus Wählerbefragungen zur SPD zur Bundestagswahl
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Grafik mit Umfrageergebnissen zu Kompetenzen der SPD vor der Bundestagswahl
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Gleichzeitig schreiben aber immer weniger Menschen der SPD Kompetenz bei der sozialen Gerechtigkeit zu – so wie auch in vielen anderen politischen Feldern. Und nicht nur bei der Kompetenzzuschreibung hat die SPD eine Erosion hinzunehmen. Gerade bei den Arbeitern verliert sie dramatisch an Zustimmung.

Grafiken mit Ergebnissen aus Wählerbefragungen zur SPD zur Bundestagswahl
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Grafiken mit Ergebnissen aus Wählerbefragungen zur SPD zur Bundestagswahl
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"Wir werden jetzt ordentlich aufarbeiten, warum wir bei 16,4 Prozent landen - und dann aber trotzdem nicht den Kopf in den Sand stecken", sagt der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende in Hessen, Philipp Rottwilm. Er glaubt nicht, dass seine Partei ihre Wählerschaft komplett verloren habe, "aus dem Blick verloren" aber schon.

Rottwilms Plan für einen Aufschwung der SPD: "eine starke Stimme des Landes sein", Politik für Menschen fernab der Großstädte und Ballungsräume machen, ihre wirtschaftliche Lage verbessern, Straßen und Glasfasernetze ausbauen.

6. Die neue Arbeiterpartei

Wo die SPD Wählerinnen und Wähler verliert, legt die AfD zu. Besonders profitieren konnte sie von Menschen, die ihre wirtschaftliche Lage laut infratest dimap als schlecht einschätzen.

Grafik mit Umfrageergebnissen zur AfD bei der Bundestagswahl
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Grafik mit Umfrageergebnissen zur AfD bei der Bundestagswahl
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Insgesamt profitierte die AfD wie keine andere Partei von der Enttäuschung und Wut über die Ampel-Regierung. Ihre zusätzlichen Wählerstimmen holte sie sich dabei aus allen politischen Lagern.

Grafik mit Zahlen zur Wählerwanderung in Bezug auf die AfD bei der Bundestagswahl
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Der hessische Spitzenkandidat der in Teilen rechtsextremen Partei, Jan Nolte, hat vor allem die konservativen Wähler im Blick. "Die Menschen in Deutschland möchten konservative Politik, keine linke Politik, und das scheitert an der CDU", sagt er. Die CDU weigere sich, mit der AfD konservative Politik zu machen, stattdessen orientiere sie sich auch unter Merz nach links, behauptet Nolte und prophezeit: "Wir werden noch stärker werden!"

Als größtes Problem und wichtigstes Thema in Deutschland nennt Nolte die Migrationspolitik und die innere Sicherheit, auch wenn die infratest-dimap-Zahlen das für die Gesamtbevölkerung nicht hergeben. Für die AfD-Wähler jedoch allemal.

Grafik mit den Sorgen der EWähler, nach Parteipräferenz geordnet, bei der Bundestagswahl
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7. Das Comeback der Linken

Neben der AfD und der Union gab es eine dritte Gewinnerin bei dieser Bundestagswahl – eine Partei, der noch vor wenigen Wochen das parlamentarische Aus prophezeit wurde. Die Linke nahm mit ihrem strikten Anti-Asylverschärfung-Kurs und ihrem Fokus auf hohe Mieten und soziale Gerechtigkeit nicht nur den Grünen und der SPD Stimmen ab.

Grafik zur Wählerwanderung in Bezug auf die Linke bei der Bundestagswahl
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"Ich glaube, dass uns viele Menschen sehr hoch angerechnet haben, dass wir uns nicht an dieser Debatte über weniger Migration, mehr Abschottung und mehr Abschiebungen beteiligt haben", sagt die hessische Spitzenkandidatin Janine Wissler. Sie sieht im Mietendeckel und einer höheren Besteuerung von Superreichen zentrale Instrumente zur Herstellung gerechterer Verhältnisse.

Die Linke profitierte besonders in städtischen Ballungsräumen - und dort vor allem bei jüngeren Frauen.

Grafik mit den Anteilen von jungen Frauen in den Städten und älteren Männern auf dem Land unter den Wählern der Parteien bei der Bundestagswahl
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Die AfD dagegen konnte besonders unter Männern und in ländlichen Regionen Wähler gewinnen.

Beide Parteien eint aber etwas: Sie konnten bei vielen jungen Wählern gewinnen. Gerade bei den Erstwählern in Ostdeutschland ließen sie alle anderen Parteien weit hinter sich.

Eine Grafik zeigt wie die Wähler und Wählerinnen unter 24 Jahren entschieden haben
Junge Frauen wählen eher links, junge Männer rechts Bild © hessenschau.de
Grafik mit Umfrageergebnissen zu Erstwählern in Ostdeutschland bei der Bundestagswahl
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Sendung: hr-fernsehen, hessenschau extra. Frauen und Direktmandate – die Wahl und ihre Verlierer,

Quelle: hessenschau.de