Migranten mit deutschem Pass Deshalb ist Eingebürgerten ihre erste Bundestagswahl so wichtig

Zehntausende Menschen wurden seit 2021 in Hessen eingebürgert. Viele stehen vor ihrer ersten Bundestagswahl. Vier von ihnen berichten hier, was das für sie bedeutet und welche Themen ihnen wichtig sind.

In einer Collage wurden vier Menschen, die nach ihrer Einbürgerung zum ersten Mal wählen dürfen, nebeneinander gestellt.
Dürfen zum ersten Mal an der Bundestagswahl teilnehmen (von links): Abdulmounem Alowis, Paula Kons, Biroz Hannan und Parwiz Rahimi. Bild © Ronnie Darwish, Collage hr

In Hessen sind in den vergangenen drei Jahren etwa 55.000 Menschen eingebürgert worden (2022: 14.505, 2023: 15.115, 2024: 24.870 Menschen). Die größten Gruppen kommen aus Syrien, der Türkei und Rumänien. Wer von ihnen volljährig ist, darf am 23. Februar zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl ihre oder seine Stimme abgeben. Wir haben vier von ihnen gefragt, was das für sie bedeutet.

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Dieser Beitrag ist in Kooperation mit Amal, Frankfurt, einer Online-Nachrichtenplattform von Exil-Journalisten, und dem Journalistischen Seminar der Uni Mainz entstanden. Videos der Interviewten finden Sie auf dem Instagram-Account der hessenschau.

Die Protokolle erstellte Riccardo Mastrocola.

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Videobeitrag

Bundestagswahl: Neu eingebürgerte Erstwähler

hs
Bild © hr
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"Super, dass es die Möglichkeit gibt, Dinge zu ändern"

Mit Anfang 20 kam Abdulmounem Alowis aus Syrien nach Deutschland. Das war 2016. Seitdem hat er Deutsch gelernt, sich eingelebt und einen Bachelor in Sozialwissenschaften gemacht. Der 31-Jährige arbeitet als Koordinator für interkulturelle Integration bei der Stadt Eschborn. Dort betreut er unter anderem Geflüchtete - beruflich und ehrenamtlich. Seit Mai 2022 ist er deutscher Staatsbürger.

Ein Mann mit kurzen dunklen Haaren sitzt vor einem grünen Hintergrund in einem Fotostudio. Er trägt einen schwarzen Rollkragenpulli und lächelt in die Kamera.
Abdulmounem Alowis Bild © Ronnie Darwish

"Ich finde das super: Diese Flexibilität, dass es die Möglichkeit gibt, Dinge zu ändern. Ich wünsche mir das auch für mein Heimatland, dass so etwas passiert.

In Syrien hatten wir das Sprichwort: Die Wände haben Ohren. Das heißt, du darfst nicht mal im Kopf frei denken oder irgendwelche politische Aktivitäten ausüben. In Syrien musste ich zur Wahl gehen. Ich hatte gar keine andere Chance. Man musste wählen und man musste Baschar al Assad wählen.

Zitat
Das Wahlrecht hier in Deutschland zu haben, bedeutet für mich Freiheit, Verantwortung und die Möglichkeit, die Zukunft Deutschlands mitgestalten zu können. Zitat von Abdulmounem Alowis
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Deswegen freue ich mich, dass ich in einem demokratischen Land lebe. Das Wahlrecht hier in Deutschland zu haben, bedeutet für mich Freiheit, Verantwortung und die Möglichkeit, die Zukunft Deutschlands mitgestalten zu können.

Ich wünsche mir in Deutschland eine Politik, die sich stärker für Menschenrechte, Offenheit und Chancengleichheit einsetzt. Für mehr Zusammenhalt. Und ich wünsche mir eine bessere Integration: Der Staat gibt viel Geld für Integration aus, doch gleichzeitig gibt es zu viele Integrationshindernisse. Da wünsche ich mir Bürokratieabbau."

"Es ist ein Fehler, die Demokratie als garantiert anzunehmen"

Paula Kons ist gebürtige Rumänin und kam 2016 nach Deutschland. Sie hatte seit ihrer Jugend einen Draht zur deutschen Sprache und Kultur, studierte in Wien und arbeitet jetzt als Architektin in Hanau. Sie ist aktiv in der Rumänischen Gemeinde im Rhein-Main-Gebiet. Die 37-Jährige ist seit 2022 deutsche Staatsbürgerin.

Eine Frau mit langen dunkelblonden Haaren und Brille sitzt vor einer grünen Wand in einem Fotostudio. Sie lächelt in die Kamera und trägt ein zimtrotes Oberteil.
Paula Kons Bild © Ronnie Darwish

"Wählen gehen ist im Moment sehr wichtig, vor allem im aktuellen Kontext. Wir dürfen nicht vergessen, was Demokratie bedeutet und was Europa bedeutet. Es ist sehr einfach, es als garantiert anzunehmen. Den Frieden als garantiert anzunehmen. Die Demokratie als garantiert anzunehmen.

Das ist ein Fehler. Denn ich glaube - das klingt jetzt ein bisschen cheesy -, das Böse arbeitet immer daran, die Demokratie und die Freiheiten wieder abzubauen. Und das Gute nimmt sich gerne ein bisschen Zeit zu genießen, was erlangt wurde. Aber wenn wir das zu lange aus dem Auge verlieren, können wir alles verlieren.

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Wir müssen die aktuelle Situation realistisch betrachten und Deutschland sicherer machen. Zitat von Paula Kons
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Es ist eine einzigartige Zeit. Normalerweise würde ich sagen: Ich wünsche mir mehr Netto vom Brutto. Oder es wäre schön, einen besseren ÖPNV zu haben. Aber wegen der Zeit, in der wir gerade sind, sind für mich die wichtigsten Themen die Unterstützung der Ukraine, unsere Teilnahme und Teilhabe an der Nato, und Klimaschutz und Erneuerbare Energien.

Ich würde mir auch mehr Sicherheit wünschen in Deutschland. Ich habe jetzt keine Statistiken studiert und kann sagen, es gibt jetzt mehr Anschläge, aber ich nehme das an. Und wenn das verhindert werden kann, weil die Täter schon ein Strafregister haben oder schon dreimal aus der Psychiatrie entlassen wurden, wäre das gut. Es besteht Bedarf, die Situation realistisch zu betrachten und Deutschland sicherer zu machen.

"Die vielen Informationsquellen sind neu für mich"

Parwiz Rahimi stammt aus Afghanistan und lebt seit 2015 in Deutschland. Der 39-Jährige ist Journalist und Redakteur und arbeitet für die Redaktion von Amal, Frankfurt. Auf der Internet-Plattform werden lokale Nachrichten auf Arabisch, Ukrainisch und Farsi/Dari veröffentlicht. Fast alle Mitarbeitenden sind Exil-Journalisten. Rahimi arbeitet auch ehrenamtlich für das Deutsche Rote Kreuz und engagiert sich im Kunstverein Artes Forum Frankfurt. Kurz vor seiner Einbürgerung im Oktober 2024 hat hessenschau.de schon einmal mit ihm gesprochen.

Ein Mann mit kurzen schwarzen Haaren und einem Seitenscheitel sitzt vor einer dunkelgrünen Wand in einem Fotostudio. Er trägt über einem Hemd einen grauen Pullover und lächelt in die Kamera.
Parwiz Rahimi Bild © Ronnie Darwish

"Leider bin ich im Krieg geboren, im Krieg aufgewachsen, und im Krieg geflohen. Deswegen habe ich gesehen, wie Politiker lügen und Unrecht tun. Hoffentlich lernen Politiker aus der Geschichte. Und machen nicht noch einmal dieselben Fehler. Deswegen ist es mir wichtig, dass eine Regierung sehr transparent regiert.

2024 bin ich Deutscher geworden. Es ist eine Ehre, dass ich hier in Deutschland für meine Zukunft und für die Leute, die hier leben und sich als Deutsche betrachten, entscheiden und wählen gehen darf. Das ist sehr cool, und ich bin sehr stolz darauf.

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Es ist eine Ehre, dass ich hier in Deutschland für meine Zukunft und für die Leute, die hier leben und sich als Deutsche betrachten, entscheiden und wählen gehen darf. Zitat von Parwiz Rahimi
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Ich kenne viele Leute aus unterschiedlichen Bereichen. Die Themen, die wir besprechen, sind meistens der Arbeitsmarkt für Geflüchtete und die möglichen Erleichterungen, also der Weg zur Arbeit für Migranten. Und mehr Sichtbarkeit für Kunst und Kultur von Migranten, die hier wohnen. Wir sprechen auch über Gleichheit und Transparenz und die Vermeidung von Stereotypen.

Die viele Informationensquellen hier sind neu für mich. In Afghanistan hatte ich die nicht. Ich informiere mich zum Beispiel über den Wahl-O-Mat. Als Journalist versuche ich, auch mit Parteimitgliedern Interviews zu führen. Ich gucke auch diese Duelle zwischen den Kandidaten für den Bundestag, zum Beispiel auf Youtube oder in ARD und ZDF."

"Ich will zur Wahl gehen und die radikalen Parteien damit klein halten"

Biroz Hannan kam 2015 aus Syrien nach Deutschland. Sie ist für den Deutsch-Syrischen Verein in Darmstadt tätig. Die 40-Jährige beschäftigt sich vor allem mit den Themen Migration und Sicherheit. Seit 2023 hat sie den deutschen Pass.

Eine Frau mit braunen Locken sitzt vor einer dunkelgrünen Wand in einem Fotostudio. Sie trägt einen blauen Strickpullover und schaut skeptisch in die Kamera.
Biroz Hannan Bild © Ronnie Darwish

"Auf einmal klingelt mein Handy, und ich bekomme einen Anruf. Und die Frau sagt: 'Frau Hannan, kommen Sie morgen vorbei und holen Ihre Einbürgerungsurkunde.' Ich habe gesagt: 'Was, wie bitte?' – 'Ja, Sie sind eingebürgert.'

Das war ein unglaubliches Gefühl. Ich kann den Moment nicht beschreiben. Das war so schön, dass ich ein Teil von dieser Gesellschaft werden konnte.

In Syrien konnte ich theoretisch zur Wahl gehen. Man konnte nur einen Kandidaten wählen. Eine demokratische Wahl gab es nicht. Und für uns als Kurden war es noch schlimmer als für andere Bürger.

Ich lebe seit fast neun Jahren in Deutschland und in der Demokratie. Jeder hat das Recht, etwas zu sagen. Es ist kein Problem, etwas zu äußern über Politik, über andere Dinge. Aber man darf nicht an die Würde von Personen oder Menschen gehen. Das heißt, es gibt Grenzen, und man hat Rechte und Pflichten.

Zitat
Ich lebe seit fast neun Jahren in Deutschland und in der Demokratie. Jeder hat das Recht, etwas zu sagen, es ist kein Problem, etwas zu äußern über Politik, über andere Dinge. Ich will zeigen, dass nicht alle Migranten diese Gesellschaft negativ beeinflussen. Zitat von Biroz Hannan
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Migration und Sicherheit in Deutschland sind für mich die wichtigsten Themen. Ich will zeigen, dass nicht alle Migranten diese Gesellschaft negativ beeinflussen. Ich will zur Wahl gehen und die radikalen Parteien damit klein halten. Viele Menschen in Deutschland nutzen das Thema Migration aus, damit die an die Macht kommen.

Migranten leisten viele Beiträge in Deutschland. Sie zahlen Steuern, sie arbeiten. Wir sind nicht freiwillig nach Deutschland gekommen. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals Syrien verlassen würde. Aber ich musste.

Ich möchte gerne diese Leute fragen, die radikal sind und sagen, 'Ausländer müssen raus', oder die keine Migranten in Deutschland sehen möchten: Stell dir vor, ein Krieg passiert in Deutschland, und du musst dein Land verlassen. Was wäre dein Gefühl, wenn ich als Syrerin zu dir sagen würde, du bist nicht akzeptiert. Was wäre Dein Gefühl?"

Redaktion: Stephan Loichinger

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de