Wie Desinformation auf Social Media Wähler beeinflusst - und wie man sie erkennt
Der Bundestagswahlkampf tritt in die heiße Phase. Außer mit den üblichen Plakaten gehen die Parteien digital in die Vollen. Daneben nehmen weniger seriöse oder ausländische Akteure Einfluss - auf allen Kanälen.
Erst kürzlich machte ein Video über eine angebliche Gruppenvergewaltigung durch Afghanen in Frankfurt bei TikTok und Instagram die Runde. Das Video wurde über 800.000-mal angesehen. Was viele nicht wussten: Die Geschichte war in dieser Form erlogen.
Doch sie bleibt im Gedächtnis derer, die es gesehen haben. Allein auf TikTok hatten es rund 4.000 Menschen kommentiert und war es rund 40.000-mal geliked worden, bevor es gelöscht wurde. Reichweite und politische Stimmungsmache: Unter diesen Gesichtspunkten muss das Fake-Video als voller Erfolg gewertet werden.
Neue Trends zur Bundestagswahl
In den Sozialen Medien können sich Falschnachrichten rasant verbreiten. "Dadurch wird es immer schwieriger, vertrauenswürdige Informationsquellen von Fake News zu differenzieren. Desinformationen untergraben das Vertrauen der Menschen in die gesellschaftlichen Institutionen und gefährdet den offenen Dialog, der für eine funktionierende Demokratie unerlässlich ist", sagt Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU).
Zuletzt machte beispielsweise wieder ein erfundenes Zitat des Grünen-Kanzlerkandidaten Robert Habeck die Runde. Darin ging es um Waffenlieferungen an die Ukraine - um eines der Themen also, an denen etwa Russland ein Interesse an einer möglichst uneinigen Meinung hat.
Schon zur Bundestagswahl 2021 gab es gezielte Desinformation, um einzelne Kanzlerkandidaten zu diskreditieren. Damals vor allem im Fokus: Annalena Baerbock von den Grünen und Armin Laschet von der CDU. Vor der diesjährigen Bundestagswahl beobachten wir im Social-Media-Team der hessenschau mit TikTok und Co. neue Kanäle - und neue Trends in Sachen Desinformation.
TikTok wirkt
Kaum ein Video zu einem angeblichen Vorkommnis in Hessen ging so viral wie jenes zur vermeintlichen Vergewaltigung - wer es erstellte, ist unbekannt. Der Blick auf seine Verbreitung zeigt, wie wirkungsvoll Fakes und Desinformationen potenziell sind - gerade bei TikTok.
Das zeigt auch eine repräsentative Umfrage des Instituts Allensbach im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung. Dort glauben beispielsweise nur 66 Prozent der befragten TikTok-Nutzer, dass Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führe. Bei den unter 29-Jährigen stimmten knapp 70 Prozent dieser Aussage zu. In der Gesamtbevölkerung sind 78 Prozent davon überzeugt.
Ein ähnliches Bild zeigte sich bei der Frage, ob China eine Diktatur sei. Ja, sagten 81 Prozent der Befragten aus der Gesamtbevölkerung. Bei den unter 29-Jährigen stimmten 67 Prozent zu. Rund ein Drittel der befragten TikTok-Nutzer findet, China sei keine Diktatur.
TikTok wird wichtiger
Das chinesische Kurzvideo-Portal gewinnt an Bedeutung. Unter den 14- bis 29-Jährigen nutzen laut ARD/ZDF-Medienstudie 2024 mittlerweile 38 Prozent TikTok täglich. Damit liegt das soziale Netzwerk, das übrigens in China selbst nur in einer zensierten Version läuft, in dieser Zielgruppe auf Platz drei hinter Instagram und Snapchat.
Auch als Suchmaschine wird die Plattform immer wichtiger. Insofern ist es nur logisch, dass der Wahlkampf auch auf TikTok tobt - unter anderem mit Desinformation.
Wer sind die Akteure?
Simone Rafael beschäftigt sich intensiv mit digitalen Technologien und Desinformation. Sie ist die Co-Projektleiterin des Monitorings zur Bundestagswahl bei CeMAS, dem Center für Monitoring, Analyse und Strategie, das als gemeinnützige Organisation Expertise zu Themen wie Verschwörungsideologien und Desinformation sammelt. Sie sagt: "Was ausländische Einflussnahme angeht, sehen wir russische Einflusskampagnen wie 'Doppelgänger' oder 'Storm 1516'."
Russischen Einflusskampagnen geht es nach Erkenntnissen von Rafael darum, Unfrieden zu stiften und die Demokratie als System zu destabilisieren. "Wir sehen aber wenige Posts, die die AfD unterstützen, und mehr Posts, die gegen Friedrich Merz und die CDU agitieren. Offenbar sind das die Druckpunkte, die den Kampagnenmacher:innen derzeit am erfolgsversprechendsten erscheinen", sagt die Kommunikationsmanagerin.
Die Akteure auf der extrem rechten Seite wollten einerseits die Demokratie an sich attackieren, andererseits die Strukturen der Demokratie für rechtsextreme Politik nutzen, beobachtet Rafael. Beides lasse sich aus deren Sicht erreichen, wenn sie die AfD unterstützen.
Desinformation auf Telegram
Ob Facebook, Instagram, TikTok, YouTube, X oder auch Telegram: Desinformation findet sich auf allen Netzwerken. "Überall dort, wo nicht oder wenig moderiert wird, breitet sie sich noch schneller aus", warnt Rafael. Deshalb sehen sie und ihre Kollegen bei CeMAS im deutschsprachigen Raum besonders auf X und Telegram reichweitenstarke Desinformation, außerdem auf YouTube und TikTok.
Gezielte Desinformation auf Social Media zu erkennen, ist nicht immer einfach. Insbesondere dann nicht, wenn die Posts schon massenhaft geteilt wurden und durch viele Likes und Kommentare der Eindruck entsteht, es handele sich hier um eine wahrhaftige Nachricht. Folgendes kann helfen, um auf Fake News nicht hereinzufallen:
- Auf das Bauchgefühl hören: Macht der Post wütend oder traurig? Dann kann Skepsis durchaus angebracht sein. Desinformation lebt davon, massenhaft verbreitet zu werden. Besonders gut geht das mit Posts, die auf Emotionen beim Empfänger abzielen. Das triggert den Algorithmus, der erkennt, wenn jemand lange bei einem Video oder Post verharrt und vielleicht sogar darauf reagiert oder es kommentiert.
- Den Nutzer, der gepostet hat, prüfen: Hilfreich kann immer sein, sich den Ersteller des Posts näher anzuschauen. Was hat er vorher sonst so geteilt? Handelt es sich überhaupt um eine Person? Wirkt das Nutzerbild echt? Wie oben gesehen, wird immer öfter KI eingesetzt, das allein ist schon auffällig.
- Quellen oder Verlinkungen im Post checken: Wenn keine angegeben sind, dann hilft es, nach der Meldung bei Google zu suchen. Findet man dort keine Nachrichten von anderen Medien, ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass womöglich etwas nicht stimmt.
- Videos unter die Lupe nehmen: Zunehmend relevant auf den Plattformen werden Videos. Was dabei auffällt: Oft wird für Videos frei, also kostenlos verfügbares Material genutzt. Nicht selten werden Bilder aus dem Kontext gerissen. Hier lohnt es sich, einen genauen Blick darauf zu werfen: Entsprechen die Bilder dem, was im Video gesagt wird?
Wie kann ich Desinformation erkennen?
Gezielte Desinformation auf Social Media zu erkennen, ist nicht immer einfach. Insbesondere dann nicht, wenn die Posts schon massenhaft geteilt wurden und durch viele Likes und Kommentare der Eindruck entsteht, es handele sich hier um eine wahrhaftige Nachricht. Folgendes kann helfen, um auf Fake News nicht hereinzufallen:
- Auf das Bauchgefühl hören: Macht der Post wütend oder traurig? Dann kann Skepsis durchaus angebracht sein. Desinformation lebt davon, massenhaft verbreitet zu werden. Besonders gut geht das mit Posts, die auf Emotionen beim Empfänger abzielen. Das triggert den Algorithmus, der erkennt, wenn jemand lange bei einem Video oder Post verharrt und vielleicht sogar darauf reagiert oder es kommentiert.
- Den Nutzer, der gepostet hat, prüfen: Hilfreich kann immer sein, sich den Ersteller des Posts näher anzuschauen. Was hat er vorher sonst so geteilt? Handelt es sich überhaupt um eine Person? Wirkt das Nutzerbild echt? Wie oben gesehen, wird immer öfter KI eingesetzt, das allein ist schon auffällig.
- Quellen oder Verlinkungen im Post checken: Wenn keine angegeben sind, dann hilft es, nach der Meldung bei Google zu suchen. Findet man dort keine Nachrichten von anderen Medien, ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass womöglich etwas nicht stimmt.
- Videos unter die Lupe nehmen: Zunehmend relevant auf den Plattformen werden Videos. Was dabei auffällt: Oft wird für Videos frei, also kostenlos verfügbares Material genutzt. Nicht selten werden Bilder aus dem Kontext gerissen. Hier lohnt es sich, einen genauen Blick darauf zu werfen: Entsprechen die Bilder dem, was im Video gesagt wird?
In Hessen wird nach Beobachtung von Simone Rafael insbesondere Telegram oft genutzt: "Es gibt viele bundespolitische Themen, die auch in hessischen Gruppen und Kanälen diskutiert werden, etwa Fernsehauftritte von Alice Weidel. Rufe nach Wahlbeobachtung werden auf das lokale Level heruntergebrochen." Auch würden dort Wahlprognosen ohne Quelle geteilt, in denen die AfD vorne liege.
Zentrales Ziel: die Unentschlossenen
Ein Ziel sämtlicher Kampagnen: die Gruppe der Unentschlossenen. "In den Wahlkampf 2025 geht die AfD gestärkt durch hohe Zustimmungswerte bei vergangenen Wahlen und Umfragen. Deshalb kann sie sich mehr auf Mobilisierung und Überzeugung der Unentschlossenen konzentrieren", sagt Rafael.
Womöglich kommen ihr dabei verdeckte Einflusskampagnen aus Russland zugute. Solche beobachtet das CeMAS vor den Wahlen in Deutschland. Sie versuchten, wirtschaftliche Ängste zu schüren, die AfD und BSW zu stärken und etablierte Parteien zu diskreditieren. Das Hauptangriffsziel seien derzeit Friedrich Merz und die CDU, aber auch die Grünen und die SPD würden weiterhin von russischen Kampagnen diskreditiert.
Mit Sharepics Unfrieden stiften
Das zeigt sich auch auf anderen Plattformen, etwa auf Facebook. Am Beispiel einer völlig durchschnittlichen Seite lässt sich aber sehr gut zeigen, wie versucht wird, Desinformation zu verbreiten und Unfrieden zu stiften: "Geschichte neu entdecken heute" heißt diese Seite auf Facebook, doch mit Geschichte hat sie wenig zu tun.
Aktuell bekommen Follower täglich in ermüdender Folge Sharepics zu "Z*geunerschnitzel", Barzahlung, Schaumküssen oder E-Autos, aber Bashing gegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) oder die Grünen-Parteispitze darf ebenfalls nicht fehlen.
Damit macht die Seite zum Teil viele Likes. Der Post "Habeck ist das Gesicht der Krise" bekam allein knapp 1.000 Likes und 240 Kommentare. Dass sie sich hier auf einer Seite zu Wort melden, die offenbar kein Interesse an Wahrheiten hat, interessiert die Kommentierenden allem Anschein nach nicht.
Hat hier eine Trucker liebende Amerikanerin, die noch vor wenigen Monaten auf dem Profilbild zu sehen war, plötzlich erst ihre Leidenschaft für Aquarelle und später für die deutsche Politik entdeckt? Mit Statements, die sich mit "Früher war alles besser" zusammenfassen lassen? Zweifelhaft.
Vieles deutet darauf hin, dass die Seite einer Amerikanerin entweder gehackt wurde oder - wahrscheinlicher - dass die Seite von vornherein so angelegt wurde, um zunächst möglichst viele Follower zu erlangen. Als sie dann scharf geschaltet wurde für politische Einflussnahme, erreichte diese gleich viele Nutzerinnen und Nutzer.
Rhetorik für eine ältere Zielgruppe
Klar wird hier schnell, dass es sich um einen gezielten Versuch handelt, eine ältere Zielgruppe bei Facebook zu emotionalisieren. Zunächst angefüttert mit Aquarellen, finden sie nun reaktionäre Rhetorik im Sinne von: "Die D-Mark war noch was wert" oder "Mein Zigeunerschnitzel lasse ich mir nicht nehmen".
Die Inhalte sollen Gefühle und Unzufriedenheiten ansprechen und markieren dabei vermeintlich Schuldige, in den meisten Fällen entweder Baerbock oder Habeck. Ganz gleich, ob das überhaupt wahrheitsgemäß ist oder sich das, was dort behauptet wird, überhaupt so zugetragen hat.
Künstliche Intelligenz im Einsatz
Oft werden zudem KI-Stimmen genutzt. Das allein ist ein Grund, skeptisch zu werden, denn vertrauenswürdige Medien nutzen meist Moderatoren oder lassen Videos von Journalisten einsprechen.
Ganz grundsätzlich wird Künstliche Intelligenz für Desinformation zunehmend genutzt. Damit erstellte Bilder können täuschend echt wirken. Selbst bei Videos haben sich KI-Modelle so rasant entwickelt, dass man mehrfach hinschauen muss, um zu erkennen, dass das, was man sieht, nicht echt ist.
Mittlerweile erkennen immer mehr staatliche Stellen das Problem gezielter Desinformation. Hessens Innenminister Poseck stellte klar: "Neben Spionage, Sabotage und Cyberangriffen sind gezielte Desinformationen ein wesentlicher Teil sogenannter hybrider Bedrohungen." Daher wolle er dafür sorgen, dass hessische Sicherheitsbehörden vor der Bundestagswahl ihre Bemühungen intensivieren.
Unter anderem wird dadurch das Internet-Portal "Der Fabulant" gefördert. Es dient als Informationsplattform, um Menschen mehr Kompetenz im Umgang mit Verschwörungserzählungen und Desinformation zu vermitteln.
Und während die Bundeswahlleiterin schon ein FAQ mit den bekanntesten Desinformationen zur Wahl online gestellt hat und auch die Bundesregierung eigene Tipps gibt, gibt es weitere Faktenchecks:
- Faktenfinder der tagesschau,
- Fact checking der Deutschen Presse-Agentur,
- Faktencheck der Deutschen Welle,
- Fact Check Tool von Google oder
- Faktencheck von Correctiv.
Dort kann man auch eigene Fragen stellen oder Hinweise geben.
Diese Anlaufstellen decken Desinformation auf
Mittlerweile erkennen immer mehr staatliche Stellen das Problem gezielter Desinformation. Hessens Innenminister Poseck stellte klar: "Neben Spionage, Sabotage und Cyberangriffen sind gezielte Desinformationen ein wesentlicher Teil sogenannter hybrider Bedrohungen." Daher wolle er dafür sorgen, dass hessische Sicherheitsbehörden vor der Bundestagswahl ihre Bemühungen intensivieren.
Unter anderem wird dadurch das Internet-Portal "Der Fabulant" gefördert. Es dient als Informationsplattform, um Menschen mehr Kompetenz im Umgang mit Verschwörungserzählungen und Desinformation zu vermitteln.
Und während die Bundeswahlleiterin schon ein FAQ mit den bekanntesten Desinformationen zur Wahl online gestellt hat und auch die Bundesregierung eigene Tipps gibt, gibt es weitere Faktenchecks:
- Faktenfinder der tagesschau,
- Fact checking der Deutschen Presse-Agentur,
- Faktencheck der Deutschen Welle,
- Fact Check Tool von Google oder
- Faktencheck von Correctiv.
Dort kann man auch eigene Fragen stellen oder Hinweise geben.
Am einfachsten geht das bei Händen und Gesichtern, die oft noch unrealistisch wirken. Auch unnatürliche oder mechanische Bewegungen können ein Indikator sein, ebenso wie Objekte, die aus dem Nichts kommen. Bei KI-Bildern sind die Lichtverhältnisse oft zu perfekt, einige Bereiche wiederum sind plötzlich verschwommen, die normalerweise scharf sein sollten. Manchmal ergeben Wörter oder Sätze keinen Sinn.
Mangelnde Medienkompetenz
All die Hinweise, wie man selbst Desinformation erkennen kann, deuten auf ein größeres Problem: die Frage nach der Medienkompetenz. Die bewegt sich laut einer Auswertung der jüngsten Pisa-Studie in Deutschland bei Jugendlichen nur im unteren Mittelfeld.
"Vielen Schülerinnen und Schülern gelingt es leider nicht ausreichend, Fake News als solche zu identifizieren. Sie haben einen erheblichen Nachholbedarf beim kritischen und reflektierten Umgang mit Informationen im Internet", mahnt Samuel Greiff vom Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München, der gleichzeitig Leiter der Pisa-Studie in Deutschland ist.