Bundestagswahl: Die Wohnraumfrage Wie ein Haus-Kollektiv dem Frankfurter Wohnungsmarkt trotzt
Ob kaufen oder mieten - besonders in Großstädten und Ballungsräumen wird Wohnraum zum Luxusgut. Vor der Bundestagswahl versprechen alle Parteien Abhilfe - auf ganz unterschiedliche Weise. In Frankfurt hilft sich ein Kollektiv selbst.
Vier Etagen hoch, mit vielen Dachterrassen und von außen komplett begrünt: So wird das Haus im Frankfurter Stadtteil Griesheim einmal aussehen. Draußen wird es einen Spielplatz auch für die Nachbarschaft geben, im Erdgeschoss Räume mit Angeboten und Veranstaltungen fürs ganze Stadtviertel. Familien, WGs, Paare und Alleinlebende sollen in dem Haus später einmal zusammenwohnen. Das Besondere: Die Miete wird sich nicht nach der Größe der Wohnung richten, sondern nach dem Einkommen der Bewohner und Bewohnerinnen. Möglichst divers und inklusiv soll die Hausgemeinschaft des alternativen Wohnprojekts "Kolle" - kurz für Kollektiv Leben - sein.
Aktuell gehören zu Kolle 20 Erwachsene. Darunter sind zum Beispiel eine Erzieherin, eine freie Regisseurin, ein Gewerkschaftssekretär, eine Psychologin, ein Theater-Mitarbeiter oder einer aus der politischen Bildungsarbeit. Auch fünf Kinder, ein Hund und bald auch ein Neugeborenes gehören zu der Gruppe, die vor allem eines verbindet: Sie wollen gemeinsam, selbstbestimmt und vor allem langfristig zu fairen Bedingungen in Frankfurt wohnen - der Stadt, in der Neubaumieten nach München inzwischen deutschlandweit am höchsten ausfallen.
Haus darf nicht wertsteigernd verkauft werden
Dazu bauen sie ein Haus, das den scheinbar unaufhaltsam steigenden Preisen für Wohnraum in Frankfurt etwas entgegensetzen soll, wie der 41 Jahre alte Alex Wagner erklärt. "Wir schaffen Wohnraum, der langfristig dem Immobilienmarkt entzogen wird. Das ist auch das Innovative an dem Projekt", sagt das Kolle-Mitglied.
Als Teil des bundesweiten Verbunds Mietshäuser Syndikat verpflichtet sich Kolle dazu, das Haus nicht wertsteigernd zu verkaufen. Die Regel lautet: Sollte sich ein Syndikatsprojekt doch zu einem solchen Schritt entscheiden, greift der Verbund in seiner Kontrollfunktion ein. Denn das Kolle-Haus gehört den Bewohnern später nicht anteilig, sondern ist im Besitz einer eigens gegründeten Haus-GmbH. Gesellschafter, die einem Verkauf zustimmen müssen, sind zum einen der Verbund, zum anderen die Bewohner. Sie organisieren sich in einem Verein.
Die Kolle-Mitglieder sind somit Mieter und Vermieter zugleich: Als Bewohner mieten sie bei der GmbH Wohnraum und als Mitglied im eingetragenen Kolle-Verein bestimmen sie über die Zukunft der Haus-GmbH - gemeinsam mit dem Mietshäuser Syndikat.
Miete in Frankfurt: 13,50 Euro pro Quadratmeter
Rund 15 solcher Wohnprojekte des Mietshäuser Syndikats gibt es in Hessen, drei davon im Frankfurter Stadtgebiet. Im Hausprojekt "NiKA" im Frankfurter Bahnhofsviertel wohnen auf rund 1.500 Quadratmetern 42 Personen zusammen. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis liegt dort nach eigenen Angaben bei 8,20 Euro. Wer auf dem freien Wohnungsmarkt in dem Viertel eine Mietwohnung sucht, zahlt deutlich mehr: Im zweiten Halbjahr 2017 lag die durchschnittliche Angebotsmiete dort bereits bei 14,75 Euro pro Quadratmeter.
Wohnungssuchende müssen im Frankfurter Stadtgebiet inzwischen im Durchschnitt mit einem Mietpreis von rund 13,50 Euro pro Quadratmeter rechnen, wie das private Forschungsinstitut Empirica für die erste Jahreshälfte 2021 ermittelt hat. Von 2016 bis 2021 stiegen die Frankfurter Mietpreise aller Baujahre den Angaben zufolge im Schnitt um 16 Prozent. Die durchschnittlichen Kaufpreise für Eigentumswohnungen in Frankfurt stiegen sogar innerhalb der fünf Jahre um rund 85,9 Prozent.
So wollen die Parteien das Wohnproblem angehen
Dass es so nicht weitergehen kann, hat auch die Politik erkannt. Vor der Wahl am 26. September versprechen alle sechs derzeit im Bundestag vertretenen Parteien, den angespannten Wohnungsmarkt zu entlasten – allerdings mit unterschiedlichen Strategien.
Während Union und FDP darauf setzen, generell mehr Wohnungen zu bauen, wollen SPD, Linke und Grüne gezielt mehr Sozialwohnungen schaffen. Über Mietpreisbremse (Grüne), Mietendeckel (Linke) oder ein zeitlich begrenztes Mietenmoratorium (SPD) in Ballungsräumen soll zudem verhindert werden, dass die Mietpreise weiter explodieren. Die AfD will sich statt für sozialen Wohnungsbau dafür einsetzen, dass mehr Menschen Wohngeld erhalten können.
Stadt besorgte Grundstück
Während der Corona-Pandemie stiegen die Preise für Neubauwohnungen und Baugrund in Frankfurt nach Angaben der Stadt langsamer - doch sie zogen auch 2020 weiter an. Auf der Suche nach einem geeigneten Haus hatte sich Kolle zunächst auch auf dem Immobilienmarkt umgesehen. Erfolglos, wie Alex Wagner erklärt: "Ohne ein großes Vermögen oder Rücklagen ist man da aufgeschmissen."
Ein besonderes Förderprogramm der Stadt verhalf dem Projekt dann zu einem Grundstück - das sogenannte Konzeptverfahren. "Städtische Liegenschaften werden da nicht an die Meistbietenden vergeben, sondern an diejenigen, die mit einem nachhaltigen und innovativem Konzept für gemeinschaftliches Wohnen ein Projekt gründen wollen."
2019 erhielt Kolle von der Stadt den Zuschlag für ein rund 1.800 Quadratmeter großes Grundstück, unmittelbar an der A5 bei Griesheim. Nächstes Jahr soll dort der Bau beginnen. Grundstückeigentümer ist Kolle nicht. Der Verein hat ein sogenanntes Erbbaurecht. Dafür muss er einen jährlichen Zins zahlen, der sich prozentual an dem Preis für Grundstücksverkäufe in der Gegend orientiert.
Aus eigener Tasche kann der Verein das rund sechs Millionen Euro teure Haus nicht finanzieren, wie die zukünftige Bewohnerin Ina Hammel sagt. Dafür brauche es Freunde, Bekannte und Förderer, die ihre Idee und das politische Argument auch finanziell unterstützen, wie die 30-Jährige sagt. Rund eine Million Euro hat Kolle schon über Direktkredite gesammelt - sie bilden das Eigenkapital für einen Bankkredit.
Keine Gesamtlösung für Wohnungsproblematik
Im Kleinen mag das Modell funktionieren. Die Wohnungsfrage in Großstädten wie Frankfurt kann es aber nicht lösen, wie Sebastian Schipper, Humangeologe an der Goethe-Universität Frankfurt, sagt. Zum einen verhinderten das die aktuellen Preise für Baugrund oder bestehende Immobilien: "Solche Projekte kommen dann automatisch auf ein so hohes Mietniveau, sodass man in vielen Fällen den Anspruch, bezahlbaren Wohnraum für alle Einkommensschichten zu schaffen, nicht mehr einhalten kann." Kommunen könnten hier entgegenwirken - beispielsweise über Konzeptvergabeverfahren wie bei Kolle in Frankfurt.
Der zweite limitierende Faktor: Trotz aller Offenheit für Vielfalt müssen die Interessenten auch bei solchen Wohnprojekten bestimmte Voraussetzungen erfüllen. "Über die Miete wird man dort nicht ausgeschlossen, aber man braucht Beziehungen, ein gewisses Knowhow, viel Zeit und Energie. Und das ist gewissen Mileus, eher der akademischen Mittelschicht, möglich. Anderen eben nicht." Für jeden sei diese besondere Wohnform auch gar nicht attraktiv. Grundsätzlich schafften die Syndikats-Projekte es aber, durch ihre spezielle Rechtsform als Haus-GmbH Privatisierungen ihres Wohnraumes auf Dauer zu verhindern.
Kolle sucht noch weitere Hausmitglieder
Im kommenden Jahr, wenn die Planungen für das Haus weitgehend abgeschlossen sind, sucht Kolle die letzten Hausbewohner. Denn nicht alle Menschen hätten das Privileg, sich jahrelang im Voraus damit beschäftigen zu können, erklärt Ina Hammel. "Wir wollen in der weiteren Aufnahmerunde vermehrt darauf achten, dass wir uns in unsereren sozialen Strukturen nicht immer wieder bestätigen." Vor knapp drei Jahren hat sich Kolle gegründet. Geht alles nach Plan, wird das Haus fünf Jahre später, im Jahr 2023 stehen. Dann sollen dort 40 Erwachsene ein bezahlbares Zuhause finden.
Sendung: hr-iNFO, 27.7.2021, 9.15 Uhr
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