CDU-Spitzenkandidatin Patricia Lips Eine Teamplayerin an der Seite von Kanzlerkandidat Merz
Vieles ist nicht publikumswirksam, aber manches wirkt mächtig: Die hessische CDU-Spitzenkandidatin Patricia Lips liebt die Arbeit im Hintergrund. In ihrem Aufstieg spiegelt sich der Wechsel von der Merkel- zur Merz-CDU.
Es ist eine politische Bildungslücke, Patricia Lips nicht zu kennen, auch wenn man damit nicht allein sein mag. Wer sie kennenlernen will, dem geben zwei unscheinbare Szenen der vergangenen Wochen Hinweise.
Einmal in Alsfeld (Vogelsberg), wo die hessische CDU ihre Kandidatenliste für die Bundestagswahl aufstellte. Regierungs- und Parteichef Boris Rhein ließ sich von den Delegierten feiern. Direkt neben ihm stand eine Frau: Es war Landtagspräsidentin Astrid Wallmann.
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Lips, später am Abend immerhin als Spitzenkandidatin nominiert, hielt sich mit etwas Abstand dahinter. Zwei Wochen danach, bei der turbulenten Asylabstimmung im Bundestag, nahm die Kamera CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz auf. Direkt hinter ihm hob Lips die Hand. Die Frau tut weniger wichtig, als sie ist.
Im engen Umfeld des Favoriten
Die 61 Jahre alte Abgeordnete aus Urberach, einem Stadtteil von Rödermark (Offenbach), ist Stellvertreterin von Merz an der Fraktionsspitze. Sie gehört zum engen Umfeld des Mannes, dem die Kanzlerschaft kaum mehr zu nehmen scheint.
"Unser Verhältnis ist extrem vertrauensvoll", sagt sie über sich und ihren Chef. Und: "Er weiß, dass er mir absolut vertrauen kann." Als der 69-Jährige erst im wiederholten Anlauf Parteivorsitzender wurde, war sie eine der führenden Kräfte in seinem Team.
Es passt nicht nur, weil Lips konservativ und wirtschaftsnah ist. Aus ihrem Mund klingt das so: "Es braucht in der Politik Menschen, deren Stärke es ist, nach draußen zu gehen. Und es braucht mindestens ebenso diejenigen, die im Hintergrund die Fäden zusammenziehen und vielleicht ein bisschen mehr Geduld haben."
Als uneitle Teamarbeiterin wird sie in der Union wahrgenommen, so sieht sie sich auch selbst. Und "hartnäckig" sei sie. Beim Gespräch in einem Café in ihrer Heimatstadt klopft sie öfter sachte bekräftigend auf den Tisch. Gut möglich, dass sie das auch lauter kann.
Dienen und steuern
Seit 22 Jahren gehört Lips dem Parlament in der Hauptstadt an. Als Fachpolitikerin rackert sie in den Maschinenräumen von Partei, Fraktion und Bundestag. Finanzen, Haushalt, Europa, Menschenrechte, Gesundheit – das breite Themenfeld einer Allrounderin. Was nicht publikumswirksam ist, kann trotzdem wirkungsmächtig sein.
Mit Geld und Zahlen umzugehen, die Dinge dienend und doch in der Chefetage zu lenken, das scheint ihr zu liegen. Lips hat Seltenheitswert. Sie kam spät in die Politik. 1993 trat sie in die CDU ein. Da war sie 30. Helmut Kohl übte noch den Beruf des Kanzlers der Einheit aus, sie den einer Groß- und Außenhandelskauffrau im Zentraleinkauf einer Großmarktkette.
In ihrer Heimatstadt wird sie Stadtverordnete, Partei- und Fraktionsvorsitzende. Doch nach der typischen Ochsentour durch die CDU-Gremien riecht die Vita nicht, eher nach einer durch den Bundestag.
Sie kam rasch im Finanzausschuss an, ein Platz im Haushaltsausschuss folgte. Nicht nur in der Fraktion besetzt sie Schalt- und Scharnierstellen. Auch wenn die Einsatzorte so unsexy und kompliziert klingen wie "Bundesfinanzgremium". Dort hatte Lips eine Zeit lang den Vorsitz, wenn Abgeordnete der Regierung beim Schuldenmachen auf die Finger schauten. Eines ihrer Wahlkampfthemen: das Festhalten an der Schuldenbremse. "Wir dürfen diesen Damm nicht öffnen", sagt sie.
Merkel und Merz
Der Blick der Kauffrau auf die Welt wird geholfen haben, sich in das nahe Umfeld von Männern zu befördern, die heute den Ton in der Partei angeben. Neben Merz zählt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann dazu. Viele Jahre war sie seine Stellvertreterin in der einflussreichen Mittelstandsvereinigung der Partei.
Dabei war Macht in der CDU gerade Frauensache geworden, als ihre Abgeordnetenlaufbahn begann. Der Kanzler hieß damals Gerhard Schröder (SPD). Chefin der Unionsfraktion und Oppositionsführerin war Angela Merkel, die dafür Merz ins Abseits schob.
Dass sie nicht laut auftrumpft und von den Männerriegen in CDU und CSU vermutlich gerne mal unterschätzt wurde – das mag Lips mit der Ex-Kanzlerin gemeinsam haben. Ein bisschen vielleicht auch den Blazer-Geschmack. Das war es dann aber wohl.
Kurswechsel: Von Merkel zu Merz, von Bouffier zu Rhein
Es ist zwar das erste Mal, dass die hessische CDU mit einer Frau an der Spitze in eine Bundestagswahl geht. Symbolträchtig ist die Personalie aber nicht zuletzt in anderer Hinsicht: Sie vollzieht mit Verzögerung den konservativen Wechsel von der Merkel- zur Merz-Union nach, von der Hessen-CDU des Ex-Ministerpräsidenten Volker Bouffier und seiner schwarz-grünen Koalition zu der seines Nachfolgers Rhein.
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Auf dem Wahlzettel 2021 stand bei der Hessen-CDU mit dem Gießener Ex-Kanzleramtschef Helge Braun noch ein enger Merkel-Vertrauter ganz oben. Er zog dann bei der Mitgliederbefragung zum Parteivorsitzenden gegen Merz klar den Kürzeren und steigt nun aus der Politik aus.
Anders als Braun, der wie wenige andere Unionspolitiker der Abstimmung fernblieb, war Lips auch beim umstrittenen Vorstoß für Asylverschärfungen vor zwei Wochen treu auf Merz-Kurs. "Ich unterstütze das nahtlos", sagte sie schon vor der Entscheidung.
Lips: Die Brandmauer gegen die AfD ist intakt
Für sie ist die Brandmauer intakt geblieben, auch wenn die AfD bei einem Entschließungsantrag erstmals zur Mehrheitsbeschafferin der CDU wurde. Angesichts von Anschlägen wie in Aschaffenburg und in München wirft sie SPD und Grünen vor, die "Asylwende" verhindert zu haben. "Die Menschen haben in der Breite der Gesellschaft das Vertrauen verloren, dass die Instanzen die Probleme lösen. Das spüren wir doch", sagt Lips.
Vor der SPD-geführten Ampel war es lange, lange Zeit die Union, die regierungsführend war. Lips war dabei, kritische Töne gegen den Kurs waren damals nicht zu hören. "Es hätte schneller vorangehen können und auf manchen Gebieten wie der Migrationspolitik auch müssen", sagt sie nun. Aber wenn Parteien Fehler erkennen und abstellen, werde es von den Bürgern honoriert.
Historische Zeiten
Ihr Wahlkreis Odenwald zieht sich, reicht vom Süden des Ballungsraums Rhein-Main bis an den äußeren Zipfel einer bevölkerungsarmen Region des Bundeslandes. Hier stößt Lips nach eigenen Angaben neben der Migrationspolitik auf weitere Argumente für einen Regierungswechsel - und für ihre Forderung nach einer Wirtschaftswende mit Entlastungen von Kosten und Bürokratie. "Die Nöte der mittelständischen Unternehmen sind nicht so medienwirksam. Die wandern still aus", sagt sie.
Sechsmal ist Lips in den Bundestag gewählt worden, viermal in Folge per Odenwald-Direktmandat. Zweimal schaffte sie es über die CDU-Landesliste. Nun, da sie diese Liste anführt, wird sie kaum darauf angewiesen sein. Angesichts der Stimmung scheint ihre nächste Direktfahrkarte nach Berlin zum Greifen nahe.
Lips glaubt, dass die neue Legislaturperiode wegweisend wird. Machtverschiebungen in der Weltpolitik, Flüchtlingsbewegungen, Wirtschaftstransformation und der Aufstieg der Rechtspopulisten: So geballt habe Politik selten Umbrüche bewältigen müssen. "In ein, zwei Jahrzehnten wird man die Zeit vermutlich historisch nennen."