Grünen-Spitzenkandidatin Anna Lührmann Zuversichtlich in die Zukunft

Eine muss ja übers Klima reden: Anna Lührmann will für die Grünen mit grünen Themen wieder in den Bundestag. Sie warnt davor, mit Angst Wahlkampf zu machen - die Union als Partner schließt sie dennoch nicht aus.

Eine Frau mit Brille und Mütze und Winterjacke lächelt in die Kamera. Sie steht zwischen Leuten in Winterkleidung auf einem Platz vor einer grünen Fahne und einem Biertisch mit Wahlkampfmaterial der Grünen, im Hintergrund ein weißes Haus.
Anna Lührmann in Eppstein. Bild © hessenschau.de

Ohne den Glauben an ein gutes Ergebnis der eigenen Partei sollte niemand Wahlkampf machen. Aber der Optimismus, den Anna Lührmann bei ihrer Tour durch den Main-Taunus-Kreis ausstrahlt, fällt dann doch auf.

An einem kalten Freitagabend im Januar kommt die hessische Spitzenkandidatin der Grünen zu einem Infostand in Eppstein. Es ist dunkel, an den wenigen Marktständen unterhalb der Burg ist nichts los, doch rund um Lührmann schwirren angeregte Gespräche. Zwar wird sie von den vielen Wahlkampfpostkarten mit ihrem Gesicht und der Aufforderung "Am 23. Februar die Grünen wählen!" darauf kaum welche verteilen. Aber dass ihretwegen um die 15 Leute gekommen sind, wertet sie als Erfolg.

"Als ich zum ersten Mal für den Bundestag kandidierte, waren das nie so viele", sagt Lührmann. Damals, 2002, zogen die Grünen mit nicht ganz neun Prozent in ein Vier-Fraktionen-Parlament ein und sicherten Gerhard Schröder (SPD) eine weitere Legislatur als Kanzler in einer rot-grünen Regierung. Lange her.

Videobeitrag

Bundestagswahl – die Grünen Spitzenkandidatin Anna Lührmann

hs 1.02.2025
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In den Umfragen nach oben geklettert

Aktuell läuft es auf einen Bundestag mit fünf bis sieben Fraktionen hinaus. Wer als Dritter ins Ziel kommt, könnte entscheidend sein für die Frage, wer in der kommenden Bundesregierung den Juniorpartner der Union gibt: SPD oder Grüne. Lührmanns Partei liegt in den Umfragen zwar knapp hinter den Sozialdemokraten. Mit um die 14 Prozent steht sie aber deutlich besser da als beim Ampel-Aus im Herbst und gar nicht mehr so weit entfernt vom Ergebnis bei der Wahl 2021.

Ein Besucher am Infostand in Eppstein sagt: "Alle sind gegen die Grünen, die CDU, die SPD, die Springer-Presse, alle wollen die Grünen klein halten und den Status quo beibehalten." So gesehen, wären 14 Prozent ein Erfolg. Anna Lührmann berichtet, dass sie im Wahlkampf bemerkenswert viel Zuspruch erfahre. Und sie weist darauf hin, wie viele neue Mitglieder die Grünen seit dem Bruch der Koalition mit SPD und FDP hinzugewonnen hätten.

Konjunkturaufschwung mit Klimaschutz

Die Europa-Staatssekretärin im Bundesaußenministerium hält nicht viel von "Menschen, die unser Land schlecht reden". Deutschland müsse vielmehr modernisiert werden und benötige "Leute mit Zuversicht", Leute wie Robert Habeck, den grünen Kanzlerkandidaten, ruft Lührmann später am Abend beim Neujahrsempfang der Grünen in Eschborn.

Sie redet viel über Klimaschutz. Darüber, dass das Ziel jedweder der Zukunft zugewandten Politik sein müsse, den Klimawandel zu stoppen: "Die Probleme sind von Menschen gemacht, daher können sie auch von Menschen gelöst werden. Davon bin ich fest überzeugt!" In dem Saal in Eschborn muss die 41-Jährige kaum jemanden davon überzeugen, dass Klimaschutz und technologischer Fortschritt und wirtschaftlicher Aufschwung Hand in Hand gehen können.

China, Norwegen, Schweden mit den ersten Werken für grünen Stahl zeigten es doch, sagt sie. Friedrich Merz und die Union dagegen wollten "Deutschland in ein Industriemuseum verwandeln", weil sie der Atomkraft und dem Verbrennermotor das Wort redeten, ätzt Lührmann.

Aus ihrer Sicht wurde vieles besser

Nur: Die Klimabotschaft wirkt ähnlich wie die Idee einer rot-grünen Bundesregierung aus der Zeit gefallen - und der Auftritt in Eschborn war noch vor dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg. Bevor CDU-Chef Merz seinen Fünf-Punkte-Plan für eine schärfere Asylpolitik vorlegte und gemeinsam mit der in Teilen rechtsextremen AfD im Bundestag beschloss. Bevor die Migrationspolitik zum beherrschenden Thema im Wahlkampf wurde. So gesehen spiegeln die 14 Prozent Zustimmung für eine Partei, die diese Menschheitsaufgabe noch halbwegs ins Zentrum ihrer Politik stellt, das gering gewordene Interesse ziemlich wider.

Weitere Informationen

Hessische Spitzenkandidaten

hessenschau.de stellt die hessischen Spitzenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien für die Bundestagswahl 2025, also die jeweils Erstplatzierten auf den Landeslisten, näher vor. Auch die hessenschau im Fernsehen berichtet in dieser Woche über sie.
Montag, 10. Februar: Bettina Stark-Watzinger (FDP)
Dienstag, 11. Februar: Janine Wissler (Linke)
Mittwoch, 12. Februar: Ali Al-Dailami (BSW)
Freitag, 14. Februar: Anna Lührmann (Grüne)
Samstag, 15. Februar: Patricia Lips (CDU)
Sonntag, 16. Februar: Jan Nolte (AfD)
Montag, 17. Februar: Sören Bartol (SPD)

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Bevor es also um die Migrationspolitik und ihre Sicht auf Friedrich Merz geht, noch eine Frage an Anna Lührmann: Woher nimmt sie die Zuversicht, dass die Grünen auch in der kommenden Bundesregierung vertreten sein könnten und dass vor allem ihre Vorstellung vom Kampf gegen die Erderwärmung eine Rolle spielen könnte?

"Daher, dass sich doch auch wahnsinnig viel zum Positiven entwickelt hat", antwortet sie lächelnd. Innerhalb weniger Monate habe die Ampel, habe Wirtschaftsminister Habeck es hinbekommen, dass Deutschland unabhängig wurde von russischem Gas. Strom werde zu 60 Prozent aus Erneuerbaren erzeugt, eine Versechsfachung binnen 20 Jahren.

Sie glaubt an die Kraft der eigenen Argumente

"Wir haben es geschafft, die Stromversorgung in Deutschland sauberer zu machen. Jetzt muss sie eben günstiger werden", sagt Lührmann und verweist darauf, dass die Preise für Strom und Wärme wieder unter dem Niveau vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine lägen. Als nächstes müssten die Stromsteuer und die Netzentgelte gesenkt oder gestrichen werden.

Letztlich bezieht Anna Lührmann ihre Zuversicht daraus, dass sie ihre Argumente schlicht für die richtigen hält. Womöglich schimmert bei der Grünenpolitikerin aus Hofheim hier die Wissenschaftlerin durch, als die sie nach ihrem zwischenzeitlichen Abschied aus dem Bundestag 2009 im Sudan und in Schweden arbeitete.

"Selbstverständlich müssen wir daran arbeiten, wie wir klimaneutral werden. Anders geht es ja gar nicht", betont Lührmann: "Die Wirtschaft hat auch echt keinen Bock mehr auf dieses Hü und Hott. Sie braucht Planungssicherheit. Zukunftsfähig ist sie dann, wenn sie grün ist." Im Grunde sagt Anna Lührmann, dass die künftige Bundesregierung die grüne Wirtschafts- und Klimapolitik fortführen müsse - egal, wer ihr angehört. Und das ist für eine Politologin dann wohl doch zu optimistisch.

"Dürfen Angst nicht mit Angst bekämpfen"

Und damit zu Friedrich Merz, der allerbeste Chancen hat, diese künftige Regierung anzuführen. Wie andere erstarkte konservative und rechte Kräfte in Deutschland und Europa sieht er den einzigen Weg in die Zukunft nicht unbedingt in einem grünen Pfad. Vom Erreichen der festgelegten Klimaziele redet er selten, da kann Anna Lührmann noch so sehr auf die zunehmenden katastrophalen Überschwemmungen im Ahrtal oder in Spanien und die verheerenden Brände in Griechenland und Kalifornien hinweisen. Darauf, dass es günstiger - und lebenswerter - sei, in Klimaschutz zu investieren statt in die Beseitigung von Klimaschäden.

Merz sprach zuletzt fast ausschließlich über eine fehlgeleitete Migrationspolitik. Mit dem gemeinsamen Votum mit der AfD im Bundestag habe er "den Rechtsextremen die Tür zur Macht einen Spalt breit aufgemacht", sagt Lührmann: "Das ist unverantwortlich." Außerdem mache der CDU-Chef vielen Menschen Angst. "Deswegen waren ja Hunderttausende auf der Straße. Wir dürfen Angst nicht mit Angst bekämpfen, sondern mit Zuversicht und mit Lösungen, die wirklich funktionieren."

Für eine Koalition nach der Bundestagswahl stünden die Grünen dennoch bereit, betont sie - sofern Merz seine "Erpressungstaktik" aufgebe, wonach nur sein Weg der einzig gangbare sei. "Um demokratische Mehrheiten zu finden, müssen wir miteinander reden und Kompromisse finden", findet sie.

Rückkehr in die Politik

Der Bundestag, für den sie jetzt wieder kandidiert, hat sich aus Sicht von Anna Lührmann ziemlich verändert, seit sie 2002 zum ersten Mal dort einzog, mit 19 Jahren als jüngste Abgeordnete. Soziale Medien gab es damals nicht, man habe auch ruhiger diskutieren können mit Menschen, die anderer Ansicht waren. Es gab noch keine AfD. "Heute ist der Ton rauer und aggressiver geworden, insgesamt, aber eben auch im Bundestag", sagt sie.

Sie beschäftigte sich als Politologin mit den Normen in einer Gesellschaft und der Rolle, die Desinformation dabei spielen kann. "Da ist was ins Rutschen gekommen", sagt Anna Lührmann: "Und das ist einer der Gründe, warum ich in die Politik zurück wollte: um mit einem guten Angebot und einem anderen Politikstil wieder gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stiften."

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de