Grünen-Wahlkampf in Frankfurt Habeck offenbart bei aller Zuversicht einen blinden Fleck
Kämpferisch ruft der Kanzlerkandidat der Grünen zu Zuversicht als Treibmittel der Demokratie auf. Fast 3.000 Zuhörer in Frankfurt beklatschen sein Plädoyer für Europa und Klimaschutz. Zu Magdeburg und Aschaffenburg sagt er hingegen nichts.
Auf seinen Wahlplakaten versucht sich Robert Habeck vor allem mit einem Wort zu verbinden: Zuversicht. Während die AfD in diesem Bundestagwahlkampf ein möglichst schwarzes Bild vom Ist-Zustand in Deutschland zeichnet und CDU und CSU ihr darin wenig nachstehen, malt der Grünen-Frontmann ein bunteres Bild. Und dessen Farben strahlten in Zukunft nur noch mehr, sagt Habeck.
Sicher, als amtierender Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz kann er die Politik der vergangenen Jahre schlecht in Bausch und Bogen verdammen wie die Oppositionsparteien. Er greift beim Wahlkampfauftritt am Montagabend in der Frankfurter Jahrhunderthalle daher etwas weiter zurück und berichtet, wie in den vergangenen drei Jahren die Versäumnisse der 16-jährigen Merkel-Ära aufgeholt worden seien.
Als er sein Amt 2021 antrat, habe er im Ministerium keinen Fahrplan für den Bau der Stromtrassen, den massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien, die Digitalisierung und das Heizen von Gebäuden möglichst ohne Öl und Gas vorgefunden, sagt Habeck vor rund 2.700 Zuhörerinnen und Zuhörern.
"Ja, wir haben Fehler gemacht beim Heizungsgesetz, und man kann darüber diskutieren, welche Förderung die beste ist", räumt er ein. Aber um den Beschluss der Vorgängerregierung umzusetzen, nämlich Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen, "muss man damit doch mal anfangen", ruft er.
Grüne als Garant für Deutschlands Wohlstand
Deutschland auf diesen Kurs zu bringen, habe Kraft gekostet. Genau mit einer solchen Kraftanstrengung will Habeck sein Leitmotiv von der Zuversicht verbunden wissen: "Zuversicht bedeutet nicht, dass automatisch alles gut wird und sich die Probleme schnell lösen lassen. Zuversicht bedeutet Arbeit." Sich daran machen zu wollen, "dieses Angebot machen die Grünen", sagt deren Kanzlerkandidat.
Habeck stellt seine Partei als Garant für vier entscheidende Faktoren für Deutschlands Wohlstand dar: Nur sie setze auf ein starkes Europa, das den Aggressoren von China über Russland bis China gemeinsam die Stirn biete; nur sie sehe im Klimaschutz und in der Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften die Voraussetzung für den ersehnten Konjunkturaufschwung (mit über zwei Drittel Strom aus Erneuerbaren und einem Wegfall der Netzentgelte werde Energie wieder deutlich günstiger, verspricht er);
Dies alles verbinde nur sie mit einer Sozialpolitik, von der die Bedürftigen profitierten, so dass nicht nur die Reichen noch reicher würden.
"Dreifacher Tabubruch von Merz"
Am wichtigsten ist Habeck der vierte Unterschied, den er bei seiner Partei im Vergleich zu den anderen ausmacht: der Kampf gegen Populismus, das entschiedene Eintreten gegen rechts, der Kampf für den Fortbestand der Demokratie, wie wir sie kennen. Das führt ihn zu dem Mann im politischen Betrieb, mit dem Habeck ein Wort verbindet: Friedrich Merz - Wortbruch.
Gleich einen dreifachen Tabubruch erkennt Habeck in den Abstimmungen über eine verschärfte Migrationspolitik, die Union-Kanzlerkandidat Merz vorige Woche im Bundestag anstrengte und für die er die Zustimmung der in Teilen rechtsextremen AfD in Kauf nahm. Nach dem Ampel-Aus, führt Habeck aus, hätten sich die Parteien der Mitte geschworen, keine Anträge oder Gesetzentwürfe einzubringen, deren Mehrheit ohne die AfD nicht gewiss sei, um sich nicht vorführen zu lassen. Merz habe zudem mit dem demokratischen Tradition der Bundesrepublik sowie der demokratischen Kultur im Bundestag gebrochen.
Die Machtoption Union hält er sich offen
"So wie sich vorige Woche zwei Blöcke gegenüberstanden und sich gegenseitig mit Vorwürfen überzogen, befürchte ich amerikanische Verhältnisse", sagt Habeck. Dann sei keine Mitte mehr da. Er erwarte von Merz und der Union das Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben.
Falls dies bald passiere, "verspreche ich, dass ich es öffentlich loben werde, ohne Häme", kündigt der Grünen-Spitzenkandidat an, der nur zu gut weiß, dass er ohne Union ziemlich sicher nicht in der Regierung wird bleiben können.
Sollte dieses Eingeständnis nicht kommen, müsse die Union auf die harte Tour lernen, dass sie sich vergaloppiert habe. "Dann müssen die Wähler die Union vor sich selbst schützen und dafür sorgen, dass es für ein Bündnis von CDU/CSU und AfD keine Mehrheit geben kann", sagt Habeck. Dann macht er tatsächlich "den durch die Union verschreckten Konservativen ein Angebot: Wir Grüne bieten uns an als ihre neue Heimat."
Kein Wort zu Magdeburg und Aschaffenburg
Das hat Chuzpe. Freilich lässt Robert Habeck mit seinem Breitbild-Plädoyer für Zuversicht auf der großen Bühne der Jahrhunderthalle und seinem Fokus auf Merz‘ umstrittenes Pochen auf schnelle Beschlüsse im Bundestag nach den Attentaten von Magdeburg und Aschaffenburg durch muslimische Migranten eine Lücke, in die seine Gegner zu gern den Finger legen dürften.
Habeck erwähnt zwar die Angst derer, die aufgrund eigener Einwanderungsgeschichte die Debatte um Migration und Asylrecht zunehmend feindlich erleben. Aber er sagt kein Wort zu den tödlichen Angriffen in aller Öffentlichkeit, die eben auch viele in Angst und Schrecken versetzten. Oder wie sie sich möglichst verhindern ließen. Bei aller Zuversicht und Verweigerung von Schwarzmalerei wirkt das wie ein blinder Fleck und nicht angemessen zugewandt.