Linken-Spitzenkandidatin Janine Wissler Eine "unbelehrbare Linke" kämpft um jede Stimme

Die Linke schien klinisch tot. Nun könnte sie bei der Bundestagswahl dank CDU und AfD wieder aufleben - und ihre hessische Spitzenkandidatin Janine Wissler gleich mit. Wie ihre Partei hat die Frankfurterin knüppelharte Jahre hinter sich.

Eine Frau im grauen Mantel und mit einer schwarzen Mütze steht an einem Wahlkampfstand. Auf einem lilafarbenen Aufsteller steht "Die Linke".
Die hessische Spitzenkandidatin der Linken, Janine Wissler, an einem Wahlkampfstand in Frankfurt-Bockenheim. Bild © hr

"Keine Linke", ruft ein Mann Janine Wissler zu, der am Wahlkampfstand in Frankfurt-Bockenheim vorbeieilt und dem sie einen Flyer in die Hand drücken will. Nicht nur wegen solcher Bemerkungen und der kalten Temperaturen in diesem Februar braucht die Spitzenkandidatin der hessischen Linken für die Bundestagswahl ein dickes Fell.

Hinter Wissler und ihrer Partei liegt ein tiefes Tal der Tränen. Doch diesem scheinen beide so langsam zu entsteigen. Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass sogar die kritische Fünf-Prozent-Hürde überwunden werden könnte.

Damit das auch wirklich klappt, setzt Janine Wissler in ihrem Wahlkreis Frankfurt I auf den persönlichen Kontakt: an Haustüren klopfen, Infostände besetzen, Podiumsdiskussionen bestreiten. In den letzten Wochen vor der Bundestagswahl 2025 ist ihr Terminkalender prall gefüllt.

Hinter Wissler liegt eine knüppelharte Zeit

Seit 2021 sitzt die studierte Diplom-Politologin im Bundestag. Wenn es nach den Genossen geht, soll das weitere vier Jahre so bleiben. Beim Landesparteitag im Dezember wählten sie Wissler mit 91 Prozent erneut zur Spitzenkandidatin. Das ist nicht selbstverständlich, denn auch Wissler hat dreieinhalb knüppelharte Jahre hinter sich.

Weitere Informationen

Hessische Spitzenkandidaten

hessenschau.de stellt die hessischen Spitzenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien für die Bundestagswahl 2025, also die jeweils Erstplatzierten auf den Landeslisten, näher vor. Auch die hessenschau im Fernsehen berichtet in dieser Woche über sie.
Montag, 10. Februar: Bettina Stark-Watzinger (FDP)
Dienstag, 11. Februar: Janine Wissler (Linke)
Mittwoch, 12. Februar: Ali Al-Dailami (BSW)
Freitag, 14. Februar: Anna Lührmann (Grüne)
Samstag, 15. Februar: Patricia Lips (CDU)
Sonntag, 16. Februar: Jan Nolte (AfD)
Montag, 17. Februar: Sören Bartol (SPD)

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"Es war die schwierigste Phase, in der ich hätte Vorsitzende werden können", sagt Wissler rückblickend. Nachdem die Frankfurterin im Februar 2021 den Parteivorsitz im Bund übernommen hatte, musste sie die Linke durch stürmisches Fahrwasser lenken.

Sexismus-Vorwürfe innerhalb der Linken hinterließen tiefe Gräben zwischen Mutterpartei und der Linksjugend solid. Vergangenen Herbst erging ein laut Frankfurter Rundschau "hartes Urteil" gegen eine Studentin, die Anschuldigungen gegen einen Ex-Mitarbeiter der Landtagsfraktion über die sozialen Medien weiterverbreitet hatte. Sie wurde wegen übler Nachrede zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt.

Außerdem musste die Partei bei mehreren Landtagswahlen herbe Klatschen einstecken. Sie flog unter anderem aus dem hessischen Parlament, wo Wissler in den eigenen Reihen als Fraktionschefin vor ihrem Wechsel nach Berlin unumstritten war. Die innerparteilichen Querelen auf der Bundesebene mit der Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) wurden zur Zerreißprobe für die Partei.

Selbstkritischer Blick zurück auf den Bundesvorsitz

"Es war offensichtlich meine Aufgabe, die Partei durch diese Spaltung zu führen", lautet Wisslers Resümee. Rückblickend sagt sie, allerdings hätte sie Dinge besser anders gemacht: die Trennung vom BSW früher forciert oder "bestimmte Personen" bei Listenaufstellungen nicht unterstützt, die später innerhalb der Bundestagsfraktion zum Problem geworden seien.

Kritiker warfen ihr vor, sie habe es als Parteichefin verpasst, der Linken ein klares Profil zu geben. "Es ist schwer, mit Inhalten wahrgenommen zu werden, wenn innerhalb der Partei quergeschossen wird", sagt Wissler dazu.

Im Herbst 2024 musste sie den Chefposten räumen. Seitdem hat die 43-Jährige nicht nur mehr Schlaf bekommen, sondern auch wieder mehr Platz im Kopf für die Themen, die ihr wichtig sind: bezahlbares Wohnen, höherer Mindestlohn, Kampf gegen Rassismus, Schutz des Asylrechts.

Außerdem verbringt sie mehr Zeit in der hessischen Heimat, wo sie auch mal beim Einkaufen angesprochen wird. Mit Berlin wurde Wissler, in Langen (Offenbach) geboren, nie so richtig warm. "Es gab schon viele Momente, in denen ich mich sehr nach Hessen zurückgesehnt habe", sagt Wissler über ihren Wechsel von der Landes- in die Bundespolitik.

Vom politischen Gegner respektiert

Immerhin 13 Jahre lang saß Janine Wissler als Abgeordnete im hessischen Landtag, wurde am Ende auch von politischen Gegnern vor allem für ihre Rhetorik respektiert. Sie macht Erfolge geltend: Mit ihr als Fraktionsvorsitzender habe die Linke erfolgreich für die Abschaffung der Studiengebühren in Hessen gekämpft oder für die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen wie denen zu den Morden des NSU oder am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU).

Wisslers politische Wurzeln liegen in der gewerkschaftlich geprägten WASG, die später mit der PDS zur Partei Die Linke fusionierte. Die Mitgliedschaften im trotzkistischen Netzwerk Marx21 sowie in der Sozialistischen Linken, die auf dem Radar des Verfassungsschutzes sind, brachten ihr vor der Kandidatur zum Parteivorsitz viel Kritik ein. 2020 trat sie aus diesen Netzwerken aus.

"Eine unbelehrbare Linke" zu sein - dieses Urteil über sie ist Wissler nicht unbekannt. Sie ist darauf aber auch stolz. Denn ohne eine Linke im Bundestag ginge viel verloren, glaubt sie. Themen, die viele Menschen interessierten, würden dann nicht mehr angesprochen.

"Wir hätten im Bundestag über das Tariftreuegesetz oder den Mindestlohn, über den Paragraf 218 oder über Armut reden können. Stattdessen reden wir über Grenzkontrollen, das ist einfach absurd", kommentiert Wissler die erregte Diskussion über die gemeinsame Abstimmung der CDU mit der AfD für Asylverschärfungen.

Von Mitgliederrekord zu Mitgliederrekord

Es könnte am Ende ausgerechnet dieser der CDU unterstellte Einsturz der Brandmauer zu der in Teilen rechtsextremen AfD sein, der den Linken zum Wiedereinzug in den Bundestag verhilft. "Die Leute nehmen schon wahr, wo wir gerade in der Migrationsfrage stehen", glaubt Wissler.

Sie höre auch von vielen bisherigen SPD-Wählern, die bei dieser Bundestagswahl der Linken ihre Stimme geben wollten, erzählt sie. "Die sagen: Ob die SPD jetzt 14 oder 15 Prozent hat, ist egal. Entscheidend ist, dass ihr überhaupt drin seid." Insgeheim träumt Wissler sogar von sechs oder sieben Prozent.

Rückenwind gibt neben steigenden Umfragewerten wie im aktuellen ARD-Deutschlandtrend die Entwicklung der Mitgliederzahlen der Linken. In Hessen sind es inzwischen mehr als 5.000 - so viele wie nie zuvor. Im Dezember waren es noch 3.600 - auch das war schon Rekord. 

Auch am Infostand in Frankfurt-Bockenheim bekommt sie mehrere "Toi, toi, toi"-Rufe von Vorbeigehenden zu hören oder ein Versprechen, bald in die Partei einzutreten. "Der Winterwahlkampf um jede Stimme ist anstrengend", sagt Wissler. Aber er könne auch schön sein. 

Hinweis: Wir haben die Passage über den früheren "Metoo"-Streit bei der Linken um einen Hinweis auf ein jüngeres Gerichtsurteil in der Sache ergänzt.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de