SPD-Wahlkampf in Wiesbaden "Bin empört" - Scholz warnt Merz in der Brandmauer-Debatte

Der Streit um die Asylpolitik nach dem Messerangriff von Aschaffenburg hat auch den Wahlkampfauftritt von Olaf Scholz in Wiesbaden geprägt. Der SPD-Kanzler warf seinem CDU-Herausforderer vor, die Brandmauer zur AfD brechen zu wollen - und das Grundgesetz.

Scholz steht mit Mikro auf Bühne und spricht vor einer SPD-Werbewand.
Bundeskanzler Olaf Scholz spricht während einer Wahlkampfveranstaltung der SPD Hessen im RheinMain CongressCenter in Wiesbaden. Bild © picture alliance/dpa | Arne Dedert

"Mehr für Dich. Besser für Deutschland" - so verspricht es ein solide lächelnder Kanzler. Allerdings erst einmal nicht im Wiesbadener Kongresszentrum, wo rund 1.200 Zuhörer wegen seines Wahlkampfauftritts an diesem Samstagabend, vier Wochen vor der Bundestagswahl, den Saal füllen - sondern rund ums Gebäude auf SPD-Plakaten.

Ob Wirtschaftswachstum, stabile Renten oder Energiesicherheit: Live auf der Bühne wird Olaf Scholz am Ende zwar all das angesprochen haben, aus dem Wahlkampfmanager das Leitmotiv der Kampagne für den 23. Februar gegossen haben. Doch die tödliche Messerattacke von Aschaffenburg und die Reaktion seines CDU-Herausforderer Friedrich Merz haben dem 66-Jährigen ein anderes Thema gesetzt.

Und so warnt Scholz gleich im ersten Teil seiner Rede: "Es darf keine Zusammenarbeit mit extremen rechten Parteien in Deutschland geben, zu keinem Zeitpunkt und nirgendwo."

Videobeitrag

Scholz bei SPD-Wahlkampf in Wiesbaden

Kanzler Olaf Scholz auf Bühne
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Zweifel an Merz' Glaubwürdigkeit

Dauerhafte Kontrollen und Abweisungen an den Grenzen: Merz hat angekündigt, kommende Woche im Bundestag Verschärfungen des Asylrechts zu beantragen - egal, wer ihnen zustimmt. Damit hatte er eine Debatte ausgelöst, ob die CDU ihr Versprechen bricht, die AfD gewiss stets rechts liegen zu lassen.

Ihm wird vorgeworfen, nun doch die Hilfe der AfD in Kauf zu nehmen. Scholz in Wiesbaden zu der Entwicklung: Er könne nicht verhehlen, "dass ich sehr empört bin".

Statusunterschied betont

Den Begriff "Brandmauer" nimmt der Kanzler an diesem Abend nicht in den Mund. Er wiederholt, was er nach Bekanntwerden des Merz-Vorstoßes schon anderweitig vorgebracht hat. Er habe dem CDU-Chef bisher stets geglaubt, wenn der eine Zusammenarbeit der Union mit der AfD ausgeschlossen habe. "Wenn der Oppositionsführer jetzt sagt, er könne sich vorstellen hier Gesetze einzubringen mit Unterstützung der AfD – dann weiß ich nicht, was ich noch glauben kann."

"Oppositionsführer" – so benennt der Kanzler die Status-Differenz zu Merz immer wieder. Was der CDU-Chef vorhabe, verstoße gegen EU-Verträge und das Grundgesetz. "Was sollen die Polizistinnen und Polizisten machen, wenn sie solche gesetzeswidrigen Anordnungen bekommen?", fragt er.

Entgegenkommen nicht in Sicht

Merz bestreitet, sein Brandmauer-Versprechen brechen zu wollen. Er drängt SPD, Grüne und FDP zu einer Einigung. Das tut der CDU-Politiker am Samstag auch bei einem Wahlkampf-Auftritt im osthessischen Neuhof. Zur gleichen Zeit kritisiert Scholz ihn in Wiesbaden.

Wie Scholz hat auch Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck das CDU-Vorhaben als verfassungswidrig abgelehnt. Mit keiner einzigen Äußerung deutet der Kanzler in Wiesbaden ein Entgegenkommen auch nur an.

Der SPD-Politiker verweist vielmehr mahnend auf die Entwicklung in Österreich. Dort könnte die rechte FPÖ in einer Koalition mit der konservativen ÖVP erstmals den Kanzler stellen. "Das darf in Deutschland nicht passieren." Darin sei man sich bisher auch parteiübergreifend einig gewesen.

Asylrecht verteidigt

Scholz greift Merz beim Auftritt in Wiesbaden nicht sofort an. Anschläge wie der von Aschaffenburg seien "nicht mehr zu ertragen", bekundet er vielmehr zu Beginn.

"Warum ist dieser Mann noch da?" - das müssten alle zuständigen Behörden über den Tatverdächtigen nun aufklären. Der Kanzler legt aber auch ein Bekenntnis zum Grundrecht auf Asyl ab. "Auch das muss geschützt werden", sagt er.

Weil das Plädoyer für Offenheit auch Verantwortung mit sich bringe, irreguläre Einwanderung zu begrenzen, besteht Scholz darauf: Dafür sei in seiner Amtszeit viel unternommen worden sei. Die Zahlen seien auf diesem Gebiet gesunken, die der Abschiebungen gestiegen.

Auch die Notwendigkeit von Zuwanderung unterstreicht Scholz. Mit Blick auf Wirtschaft und Rentensystem betont er: "Wir werden auch in Zukunft auf alle Fleißigen angewiesen sein, die zu uns kommen." Diese Menschen hätten auch das von der Ampel-Koalition beschlossene Staatsangehörigkeitsrecht mit der früheren Möglichkeit zur Einbürgerung verdient.

Hohe Promimentendichte

Die Wahlkampf-Auftritte von Scholz bewirbt die SPD als Deutschland-Tournee. Der Termin in Wiesbaden gehört dabei zu einer vierteiligen Reihe sogenannter "Highlight-Veranstaltungen". In Wolfsburg gab es schon eine, nach Wiesbaden stehen noch weitere in Leipzig und in Dortmund an.

Highlight bedeutet nicht zuletzt: Die Dichte der Parteiprominenz ist in Wiesbaden besonders groß. Saskia Esken und Lars Klingbeil, die Bundesvorsitzenden aus Berlin, sind dabei. Aber es wird vor allem auch Regierungsverantwortung in der Region demonstriert, in die der Event ausstrahlen soll.

Die Ministerpräsidenten Alexander Schweitzer aus Mainz und Anke Rehlinger aus Saarbrücken sind angereist. In der ersten Reihe selbstverständlich auch das Minister-Trio, das seit einem Jahr der CDU-geführten schwarz-roten hessischen Landesregierung angehört: Vize-Regierungschef Kaweh Mansoori, Wissenschaftsminister Timon Gremmels, Sozialministerin Heike Hofmann.

Allerdings ist die SPD in Wiesbaden nach herben Verlusten bei der Landtagswahl lediglich Juniorpartnerin der Union. Ein Modell, das beim Blick auf die Umfragen auch für Berlin nahe liegt.

Hoffen auf die Aufholjagd 2.0

Der Kanzler gibt vor seinem Abgang von der Wiesbadener Bühne für die heiße Wahlkampfphase ein anderes Ziel vor. Die SPD soll am 23. Februar dem monatelangen Stimmungstief zum Trotz wieder stärkste Kraft werden. Auch dafür gibt es lauten Applaus. Allerdings ist die Sozialdemokratie im Saal weitgehend unter sich.

Scholz hat schon seine erste Wahl zum Kanzler einer überraschend erfolgreichen Aufholjagd zu verdanken. Auch Sören Bartol, Mitglied der SPD-Fraktion im Bundestag und Vorsitzender der Hessen-SPD, gibt sich in Wiesbaden zweckoptimistisch. Das könne noch einmal glücken.

Bartol will beobachtet haben: "Wir erleben eine Aufholjagd wie letztes Mal." Gerade die vergangenen Tage mit dem Asyl-Vorstoß von Merz hätten gezeigt, "dass der Kollege Scholz der richtige Kanzler ist".   

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de