Bundestagswahl 2025 Studie der Uni Gießen: So wählt die LGBTIQ*-Community

Union und AfD fallen durch, zwei andere Parteien können sich dagegen über sehr hohe Zustimmungswerte freuen: Die Parteipräferenz der LGBTIQ*-Community unterscheidet sich laut einer Studie der Uni Gießen deutlich vom Bundesdurchschnitt.

"Es ist ok, verschieden zu sein" steht auf dem selbst gebastelten Herzen eines in pink gekleideten Teilnehmers beim Christopher Street Day (CSD) Frankfurt unter dem Motto "Wir sind extrem Liebevoll".
Bild © picture-alliance/dpa | Helmut Fricke

Würden bei der Bundestagswahl am 23. Februar ausschließlich Mitglieder der LGBTIQ*-Community wählen - dann könnten die Grünen mit 43,5 Prozent der Stimmen rechnen. Das zeigt eine Studie der Universität Gießen zum Wahlverhalten von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen. In der Gesamtbevölkerung erreicht die Ökopartei laut aktuellem ARD-Deutschlandtrend derzeit nur 14 Prozent.

Auch die Ergebnisse der anderen Parteien unterscheiden sich stark von denen in konventionellen Umfragen. Die Linke wäre mit knapp 25 Prozent zweitstärkste Kraft, während sie in der Gesamtbevölkerung nur bei 5 Prozent liegt. Unter den LGBTIQ*-Erstwählern würde sich sogar fast die Hälfte (47 Prozent) für die Partei entscheiden.

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Die anderen Parteien erreichen in der Umfrage weniger als zehn Prozent: Die SPD liegt bei 7,2 Prozent, CDU/CSU bei 3,3. Die AfD würde 2,8 Prozent der Stimmen holen, die FDP 2,0 und das BSW 1,6 Prozent.

Betrachtet man die Umfrageergebnisse für Hessen, zeigt sich ein ähnliches Bild: 42 Prozent der Befragten wollen den Grünen ihre Stimme geben. Die Linke käme auf Platz 2, allerdings nur mit 18,5 Prozent. Die CDU schneidet in Hessen dagegen deutlich besser ab als bundesweit (6,2 Prozent).

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Studie der Uni Gießen – wie wählt die queere Community?

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Ein Vergleich mit der entsprechenden Wahlstudie der Uni Gießen zur Bundestagswahl 2021 zeigt: Die Grünen haben trotz der hohen Zustimmung bei LGBTIQ* eingebüßt. Vor vier Jahren konnten sie noch gut 9 Prozent mehr verbuchen. Die Linke dagegen verzeichnet ein Plus von 7,5 Prozent.

Andere Schwerpunktthemen

Auch bei den Schwerpunktthemen zeigen sich Unterschiede zur Gesamtbevölkerung. Für die Befragten sind die wichtigsten Themen im Vorfeld der Wahl Bildungspolitik, Gesundheitspolitik und Rechtsstaatlichkeit. Laut ARD-Deutschlandtrend beschäftigt die meisten Menschen bundesweit dagegen das Thema Migration, noch vor der Wirtschaft.

Die wichtigsten Aspekte mit explizitem LGBTIQ*-Bezug sind laut der Umfrage aus Gießen Homofeindlichkeit, Diskriminierung sowie LGBTIQ*-Rechte. Ein großer Wunsch der Befragten sei eine Gleichstellung im Adoptionsrecht.

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Umfrage mit über 6.000 Teilnehmern

Ziel der Studie, die am Freitag vorgestellt wurde, ist es den Machern zufolge, die Sichtbarkeit von LGBTIQ* und deren politischen Interessen zu erhöhen. Man schätze die Zahl der Wahlberechtigten in dieser Gruppe auf 1,8 bis 3 Millionen bundesweit. Vor dem Hintergrund zunehmender Queerfeindlichkeit und zunehmender Gewalt solle das Projekt dazu beitragen, ihre grundlegenden gesellschaftspolitischen Interessen im Wahlkampf zu repräsentieren. Es ist die dritte Studie dieser Art der Uni Gießen.

Repräsentativ ist die Umfrage nicht - das stellten die Verantwortlichen, Dorothée de Nève und Niklas Ferch, selbst gleich zu Beginn der Präsentation klar - trotz der hohen Beteiligung. Eingeflossen in die Ergebnisse sind die Antworten von 6.320 Menschen, knapp 540 davon stammten aus Hessen. Sie alle haben zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar eine umfassende Online-Umfrage mit 25 Fragenblöcken zu verschiedensten Themen ausgefüllt.

Nicht repräsentativ ...

Aber selbst eine so aufwendige Studie könne in diesem Fall nicht repräsentativ sein, erklärten die Politikwissenschaftler. Dafür wäre es notwendig, "eine Zufallsstichprobe aus allen wahlberechtigten LGBTIQ* zu ziehen, bei der jede einzelne Person dieser Population die gleiche Chance hätte, Teil der Stichprobe zu werden".

Das sei gar nicht möglich, da gar nicht bekannt sei, welche und wie viele Personen in Deutschland LGBTIQ* sind, wo sie leben und wie sie sich eventuell in Bezug auf die gängigen soziodemografischen Parameter - also Alter, Einkommen, Familienstand - von der Gesamtbevölkerung unterscheiden.

Um so viele Menschen aus der LGBTIQ*-Community wie möglich zu erreichen, habe man auf vielfältige Multiplikatoren gesetzt, so de Nève und Ferch. Verbreitet wurde der Aufruf, an der Umfrage teilzunehmen, über Newsletter, Webseiten und Social Media. Allen voran wurde der LSVD+ als bundesweit größter Verband für LGBTIQ* ins Boot geholt. Aber auch einschlägige Community-Magazine wie queer.de, die zum Befragungsstart über die Studie berichtet haben.

"Zudem haben wir bezahlte Werbung in Social Media geschaltet und alle relevanten Parteien (inklusive der AfD) angeschrieben mit der Bitte, den Link zur Studie auch innerhalb ihrer Strukturen zu verbreiten", erklärten die Wissenschaftler.

... aber die größte weltweit

Insgesamt haben über 10.000 Menschen an der Umfrage teilgenommen. Die Antworten von Teilnehmern und Teilnehmerinnen, die auf viele Fragen nicht geantwortet haben oder nicht als LGBTIQ* identifiziert werden konnten, wurden laut den Studienmachern ausgeschlossen. Mehrmaliges Teilnehmen sei technisch möglich gewesen, aber wegen des großen Umfangs des Fragebogens unwahrscheinlich.

"Wir arbeiten mit diesem methodischen Ansatz seit nunmehr zehn Jahren. Unsere Publikationen wurden in anerkannten Fachzeitschriften veröffentlicht - was wiederum als Qualitätsgarantie gelten kann", sagen die beiden Verantwortlichen der Studie. Im internationalen Vergleich sei es die wissenschaftliche LGBTIQ*-Wahlstudie mit dem bislang größten Umfang weltweit.

Deutlicher Kontrast zur "Romeo"-Umfrage

Erst einige Tage zuvor war das Ergebnis einer Umfrage des Online-Kontaktportals "Romeo" erschienen, das ein deutlich anderes Bild zeichnete. Hier stimmten über 60.000 vornehmlich schwule und bisexuelle Männer ab.

Das Ergebnis war deutlich: Danach würden bei der Bundestagwahl 2025 fast 28 Prozent ihr Häkchen bei der AfD setzen. Die Grünen erreichten bei den "Romeo"-Nutzern mit knapp 20 Prozent den zweiten Platz. Auf den weiteren Plätzen folgten die Union mit 17,6 Prozent, die SPD mit 12,5 Prozent und die Linkspartei mit 6,5 Prozent. Ist diese Diskrepanz allein damit zu begründen, dass bei "Romeo" vornehmlich schwule und bisexuelle Männer abstimmten?

Ein Blick auf die Methodik der Umfrage zeigt: Auch hier handelt es sich um eine "selbstselektive Stichprobe" - teilnehmen konnte, wer wollte. Wie Romeo auf der firmeneigenen Website erläuterte, könne hier nicht ausgeschlossen werden, dass der Link zur Umfrage außerhalb der App geteilt und auch von Menschen genutzt wurde, die nicht der anvisierten Zielgruppe zuzurechnen sind und ein Interesse daran hätten, die Umfrage zu ihren Gunsten zu verändern. Zudem wurden bei Romeo lediglich in aller Kürze Parteipräferenz und Alter abgefragt.

Phänomen "Homonationalismus"

Ein Trend bestätigt sich laut den Verantwortlichen der LGBTIQ*-Studie der Uni Gießen allerdings in beiden Umfragen: "Auch in unseren Daten zeigt sich eine etwas bürgerlichere bzw. konservative (und in geringem Umfang auch rechtspopulistische) Parteipräferenz für die Teilgruppe der Schwulen im Vergleich zur Gesamtstichprobe." Der Männeranteil bei den AfD-Wählerinnen und -Wählern war laut Studiendaten mit über 70 Prozent sehr hoch.

Wie lässt sich das erklären? "In den Begründungen für eine Wahl der AfD argumentieren etliche Teilnehmer*innen der Studie damit, dass Migranten, Geflüchtete und der Islam eine Bedrohung für LGBTIQ* darstellen würden", so de Nève und Ferch. Dieses Phänomen des "Homonationalismus" sei in der Politikwissenschaft bekannt und habe sich auch in früheren LGBTIQ*-Wahlstudien gezeigt. 

Redaktion: Tanja Stehning

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de