Bundestags-Wahlprogramme im Check Wie in Osthessen um mehr ICE-Verkehr gerungen wird

Viele Parteien werben vor der Bundestagswahl für klimafreundliche Mobilität. In Bebra ist man bereit für mehr Fernbahnverkehr. Doch die Eisenbahnstadt kämpfte vergeblich um eine ICE-Anbindung. Die will nun Bad Hersfeld unbedingt ausbauen.

Bahnsteig am Bahnhof Bebra
Gähnende Leere herrscht zuweilen auf den Bahnsteigen am Bahnhof Bebra. Bild © Jörn Perske (hr)
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Bebra genoss früher den stolzen Ruf einer großen Eisenbahner-Stadt. Zu Dampflok-Zeiten entstanden Tausende Arbeitsplätze in der Stadt im Kreis Hersfeld-Rotenburg. Das Schienennetz wuchs stetig. Wer von Göttingen nach Frankfurt oder von Hanau nach Halle wollte, der kam zwangsläufig an Bebra vorbei. Als in den 70ern die ersten Schnellzüge fuhren, wurde Bebra zum Knotenpunkt nach ganz Deutschland – auch in die DDR.

Doch 50 Jahre später ist der Glanz verblasst. Nur ein paar hundert Menschen seien noch im Bahnsektor beschäftigt, sagt Bürgermeister Stefan Knoche (parteilos). Der Blick auf den gelben Fahrplan-Aushang im Bahnhof verrät: Außer Regionalbahnen fahren hier am Tag höchstens vier Intercity-Züge. ICE? Fehlanzeige!

Fahrplan am Bahnhof Bebra
Fahrplan am Bahnhof Bebra: Nur vier Schnellzüge aus dem Fernverkehr halten pro Tag in Bebra. Bild © Jörn Perske (hr)

"Pluspunkt" für Pendler

Dabei würde eine bessere Fernverkehrsanbindung nicht nur der Wirtschaft einen Schub geben. Sie wäre auch für die rund 6.000 Pendlerinnen und Pendler attraktiv, die die Stadt täglich passieren, sagt Bürgermeister Knoche: Eine ICE-Anbindung wäre "ein Pluspunkt" – wohl auch gegen die sinkenden Einwohnerzahlen.

Knoche setzte sich dafür ein, dass seine Stadt bei der geplanten ICE-Trasse zwischen Fulda und Gerstungen (Thüringen) berücksichtigt wird. Die neuen Gleise sollen die Fahrzeit zwischen Berlin und Frankfurt verkürzen. Offen ist bislang, wo genau die Strecke im Kreis Hersfeld-Rotenburg verlaufen wird.

Shuttle-Busse zum Bahnhof

Doch die Bebraer Bemühungen waren vergebens: Vor wenigen Wochen wurde die Stadt bereits herausgekegelt. Die Netz AG der Bahn kam zu dem Schluss, dass sich Bebra als Haltepunkt nicht eigne. Zu viele Raumwiderstände, wie es im Fachjargon heißt. Dabei wollte Bebra den Planern schon entgegenkommen. Die Stadt ging mit einem Konzept für einen Haltepunkt im Süden und einer Shuttle-Verbindung zum Bahnhof ins Rennen.

Doch auch das überzeugte nicht. Der vorgeschlagene Verlauf durchquere mehrere Wasser- und Naturschutzgebiete, erklärte die Bahn. Und der Anschluss an die Bestandsstrecken passe nicht. Ein Halt in Bebra Süd werde daher nicht weiterverfolgt.

"Wir haben die Infrastruktur"

Wenn Bürgermeister Knoche diese Begründungen hört, verliert er seine ruhige Art und höfliche Zurückhaltung. Er sagt: "Raumwiderstände gibt es überall. Wir sind rausgeflogen, weil wir die politische Lobby nicht haben." Dass Bebra nicht berücksichtigt werde, sei längst in Berlin im stillen Kämmerlein entschieden worden, ist er überzeugt.

Andere Stimmen außerhalb des Rathauses sagen: Bebra habe sich zu spät um einen Halt bemüht. Die SPD-Fraktion im Stadtparlament äußerte zudem Bedenken, eine neue Fernverbindung könnte den Güterverkehr beeinträchtigen. Die Arbeitsplätze von 150 Lokführern und Rangierern stünden auf dem Spiel, wenn die Infrastruktur aufwendig für den Fernverkehr umgebaut würde.

Bahnhof Bebra
Frisch saniert und bereit für mehr Verkehr: Der Bahnhof in Bebra. Bild © Jörn Perske (hr)

Bürgermeister Knoche dagegen glaubt, dass Bebra als Eisenbahnstadt für einen ICE-Halt eigentlich wie geschaffen sei. Der für mehr als zehn Millionen Euro sanierte und aus der Historie heraus überdimensioniert wirkende Bahnhof biete alles, was es braucht. "Wir haben acht Gleise, hier ist alles barrierefrei. Wir haben rund 250 Park-and-Ride-Parkplätze. Was an anderer Stelle womöglich erst noch geschaffen werden muss, ist hier vorhanden. Wir haben fertige Infrastruktur."

Zuschlag für Bad Hersfeld?

Ein Profiteur der Entscheidung gegen Bebra könnte Bad Hersfeld sein. Die Kur- und Festspielstadt wird bereits von ICEs angefahren und will ihre Stellung ausbauen. Bürgermeister Thomas Fehling (parteilos), sieht in der Neubaustrecke eine "Generationenchance, für die es sich zu kämpfen lohnt". Durch das Angebot würden mehr Menschen vom Auto auf die klimafreundlichere Bahn umsteigen, außerdem werde Bad Hersfeld als Unternehmensstandort attraktiver, argumentierte Fehling in einem Positionspapier an die Bahn.

Die Fahrtzeit zwischen Bad Hersfeld und Frankfurt würde sich bei einem Zuschlag von anderthalb auf weniger als eine Stunde verkürzen, sagt Paul Niewerth vom Aktivbündnis Waldhessen, das sich ebenfalls für einen Verlauf der neuen Trasse über Bad Hersfeld einsetzt. Das wäre eine deutliche Zeitersparnis für Pendlerinnen und Pendler. "Die Region könnte auch interessant für Familien werden, die sich im Frankfurter Raum keine Wohnung mehr leisten können", glaubt Niewerth.

Was eine ICE-Anbindung einer Kommune zu bringen vermag, ist in Fulda zu beobachten. Seit dort täglich mehr als 130 Fernzüge halten, profitiert die Domstadt enorm: mehr Veranstaltungen, Kongresse, Geschäftsreisende, Touristen und Hotelübernachtungen sind die Folge.

Halt auf der grünen Wiese verhindern

Wenn es Bebra nun nicht wird, dann ist Bürgermeister Knoche ebenfalls für einen Halt in Bad Hersfeld. Unterstützung bekommt die Variante über Bad Hersfeld auch von mehr als einem Dutzend anderer Bürgermeister aus dem Landkreis. Das gemeinsame Ziel: einen künstlichen Halt "auf der grünen Wiese" verhindern.

Gemeint ist damit die Trassenvariante über Ludwigsau, die ebenfalls noch im Rennen ist - und einen "irreparablen Eingriff in die Natur" bedeuten würde, wie es der Bürgermeister von Ludwigsau Wilfried Hagemann (parteilos) formuliert. Aus seiner Sicht wäre die Trasse eine enorme Belastung für die Anwohner, denen der Netzbetreiber Tennet gerade erst ein riesiges Umspannwerk vor die Haustür gebaut hat.

"Ein Bahnhof gehört in die Stadt"

Gegen die grüne Wiese spricht aus seiner Sicht zudem die Verkehrssituation: Um überhaupt zum ICE zu gelangen, müssten Busse oder Autos von Bad Hersfeld oder Bebra über die B27 fahren - ein Nadelöhr, das im Berufsverkehr sowieso schon völlig überlastet sei. "Ein Bahnhof gehört einfach in die Stadt und sollte nicht unsere schöne Region zerpflücken, nur damit die Züge sieben Minuten schneller in Fulda sind", sagt Hagemann.

Sollte sich die Bahn am Ende trotzdem für Ludwigsau entscheiden, könnte Bad Hersfeld dasselbe Schicksal wie Bebra erleiden, befürchtet Paul Niewerth vom Aktionsbündnis Waldhessen. "Wenn im Bahnhof kein ICE mehr hält, werden Stadt und Region abgehängt." Fernverbindungen wären dann nur noch ab Fulda oder Kassel möglich. "Wir glauben, dass das nicht die Zukunft für die Region sein kann."

Wie die Parteien zum Bahnverkehr stehen

Wie es mit der Verkehrsanbindung in Osthessen weitergeht, könnte auch vom Ausgang der Bundestagswahl am 26. September abhängen. Denn das Thema Mobilität spielt in allen Wahlprogrammen der bereits im Bundestag vertretenen Parteien eine Rolle.

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Das steht in den Wahlprogrammen zum Verkehr

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In den Netzausbau investieren wollen alle Parteien außer der FDP. Die Grünen nennen dabei als einzige eine konkrete Summe von 100 Milliarden Euro bis zum Jahr 2035. Grüne, SPD und Linke wollen außerdem gezielt stillgelegte Bahnstrecken reaktivieren. Die FDP schlägt hingegen vor, Infrastruktur und Bahnbetrieb zu trennen. Während die Infrastruktur in Bundeshand bleiben soll, soll der Betrieb zugunsten von mehr Wettbewerb privatisiert werden und so letztlich mehr Personen- und Güterverkehr auf die Schiene bringen.

Die Planung der Strecke zwischen Fulda und Gerstungen geht kurz nach der Bundestagswahl in die nächste Runde. Am 6. Oktober will die Deutsche Bahn darüber informieren, welche Variante aus ihrer Sicht in Betracht kommt – und ob die Bad Hersfelder weiter auf eine bessere Anbindung hoffen dürfen.

Weitere Informationen

Sendung: hriNFO, 16. August, 06.53 Uhr

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Quelle: hessenschau.de/Petra Klostermann, Anja Engelke