23 Prozent bei den Erstwählern Warum haben so viele junge Menschen die FDP gewählt?
Fast jede vierte Stimme der Erstwählerinnen und Erstwähler ging an die FDP. Damit liegt sie - auch zur eigenen Überraschung - gleichauf mit Grünen. Beide Parteien punkten mit demselben Thema, aber dennoch ganz unterschiedlich.
Fridays for Future oder die Proteste gegen den Autobahnausbau mitten durch den Dannenröder Forst: Dass die Grünen bei der Bundestagswahl besonders viele Stimmen der jungen Wählerinnen und Wähler geholt haben, überrascht angesichts der aktuellen Umwelt- und Klimadebatten kaum.
Mit 23 Prozent gleichauf lag bei den Erstwählern bundesweit allerdings eine weitere Partei: die FDP. Die Liberalen haben in den Sozialen Netzwerken zwar besonders um junge Menschen geworben - vom Wahlerfolg sei er aber dennoch überrascht gewesen, sagt der hessische FDP-Generalsekretär Moritz Promny. Er vermute, dass seine Partei bei den "drei großen Ds" - Demografie, Dekarbonisierung und Digitalisierung - punkten konnte. "Ich glaube, dass die Jungen das Overheadprojektor-Faxgeräte-Deutschland satthaben. Die wollen einfach eine Veränderung, und dafür stehen wir."
2017 noch hatte die FDP bei der Bundestagswahl 12 Prozent bei den 18- bis 24-Jährigen geholt - und damit kaum mehr Stimmen als bei der restlichen Bevölkerung. Vier Jahre später sind es laut Nachwahlumfragen von Infratest Dimap 21 Prozent. Und auch die Stadt Wiesbaden hat Daten erhoben, die einen ähnlichen Trend erkennen lassen. 19,4 Prozent der Unter-25-Jährigen haben demnach FDP gewählt, gut vier Prozentpunkte mehr als bei der vergangenen Bundestagswahl.
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Klimaschutz ja, Verbote nein
Doch woran liegt der Erfolg der FDP in dieser Altersgruppe? Spalten sich die jungen Wählerinnen und Wähler etwa auf in diejenigen, die sich besonders stark für den Klimaschutz engagieren, und andere, denen das Klima - zumindest dem Anschein nach - egal ist?
Nein, sagt Ferdinand Sutterlüty, Professor für Familien- und Jugendsoziologie an der Universität Frankfurt. "Für beide Wählergruppen stehen die Themen Ökologie und Klima im Zentrum." Auf der einen Seite gebe es junge Menschen, die mit den Forderungen von Fridays for Future sympathisierten - und auf der anderen Seite diejenigen, die gerne den Versprechen der FDP glaubten, dass es auch für den Klimawandel eine technische Lösung gebe: "Wir müssen unser Leben nicht ändern, sondern nur wirtschaftliche Anreize setzen und Innovationen ermöglichen - diese gut gelaunte Lindner-Botschaft fällt bei der jungen Generation auf fruchtbaren Boden."
Jungwähler: FDP steht für Klimapolitik
Klimaschutz sei für ihn ein großes Thema, sagt Noa Mollin. Der 20-Jährige aus Bad Vilbel (Wetterau) durfte zum ersten Mal an einer Bundestagswahl teilnehmen - und setzte sein Kreuz bei der FDP. Es sei wichtig für die Zukunft, gegen den Klimawandel "ganz schnell und unbedingt was zu machen".
Innovationen bringen mehr als Verbote. Zitat von BWL-Student Noa MollinZitat Ende
Deswegen habe er auch überlegt, ob er die Grünen wählen soll. Doch von den Verboten, die die Partei anstrebe - im Wahlkampf warben die Grüne etwa gegen Kurzstreckenflüge und für Tempolimits -, hält der BWL-Student nichts. "Wir müssen auch ein Vorbild für andere Staaten sein. Länder wie China und die USA würden sich niemals darauf einlassen. Innovationen bringen mehr als Verbote", sagt Mollin.
Überzeugendste Bildungspolitik
Bei Charlotte Stein war es am Ende eine Bauchentscheidung, die erst in der Wahlkabine zugunsten der FDP ausfiel. An den Grünen gefielen ihr die Pläne für einen 12-Euro-Mindestlohn, gleichzeitig sei sie von der CO2-Steuer, die die Partei anheben will, nicht überzeugt. "Wenn der Preis steigt, fahre ich nicht seltener mit dem Auto zur Arbeit, sondern beiße in den sauren Apfel und zahle mehr. Ich denke, wir kommen nicht um eine Regulierung herum, aber die CO2-Steuer war nicht durchdacht", sagt die 27-Jährige. "Ich muss sagen, ich bin ein Fan vom Emissionshandel." Die FDP wirbt für einen weltweiten Zertifikatehandel, spricht sich bis dahin aber für einen möglichst einheitlichen CO2-Preis aus, um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu sichern.
Stein ist Lehrerin. Auch in der Bildungspolitik sieht sie die FDP klar vorne. Sie befürworte zum Beispiel eine Vereinheitlichung der Abiturprüfungen. Modellprojekte hätten zudem gezeigt, dass es gut funktioniere, wenn Schulen mehr pädagogische und finanzielle Freiheiten bekämen. "Das erfordert auch viel Eigeninitiative der Schulen, aber das finde ich richtig und wichtig."
Bei der Digitalisierung weiß die FDP, wovon sie spricht. Zitat von Lehrerin Madeleine JansenZitat Ende
An ihrer damaligen Schule in der Wetterau habe zu Beginn der Corona-Pandemie gar nichts geklappt, sagt Madeleine Jansen (Nachname geändert), die ebenfalls als Lehrerin arbeitet. Erst kurz vor den Sommerferien, Monate nach dem ersten Lockdown, seien Videokonferenzen mit der Klasse möglich gewesen. "Aber das Land Hessen hat uns immer wieder Steine in den Weg gelegt." Rechtlich habe sie sich bei der Auswahl des Videokonferenz-Systems immer wieder in der Grauzone bewegt.
An der FDP gefalle ihr, "dass die Partei beim Thema Digitalisierung weiß, wovon sie spricht", sagt die 25-Jährige. Die Liberalen seien in den Sozialen Medien ja auch präsenter als andere Parteien. Das sei authentisch.
"Angestaubter" Wahlkampf bei Union und SPD
Neben der Klimapolitik biete die FDP vielen jungen Menschen das attraktivste Angebot im Bereich Digitalisierung, sagt Evelyn Bytzek, die an der Universität Koblenz-Landau zur Wirkung von Wahlversprechen forscht: "Die Corona-Pandemie hat uns ins Bewusstsein gerufen, welche Probleme es mit der Digitalisierung in Deutschland gibt. Rentnern ist es nicht so wichtig, ob Zoom funktioniert, aber junge Leute betrifft es privat und beruflich sehr, wenn es an der Infrastruktur fehlt."
Ein nicht zu vernachlässigender Grund sei zudem, dass der Wahlkampf von Union und SPD im Vergleich angestaubt und altmodisch gewirkt habe. "Diese Parteien haben junge Wählerinnen und Wähler eher abgestoßen. Wer einen Wechsel wollte, entschied sich häufig für die FDP oder die Grünen", sagt Bytzek.
Auch Lehrerin Charlotte Stein und BWL-Student Noa Mollin nennen die Digitalisierung als einen der ausschlaggebenden Gründe für ihre Wahlentscheidung. "Ich finde es ganz schlimm, dass wir im internationalen Vergleich so schlecht dastehen", sagt etwa Mollin. "Wenn man sich in Estland ummelden will, kann man das mit einem Klick im Internet machen." Er selbst muss dagegen für seinen anstehenden Umzug nach Wiesbaden einen Termin beim Bürgeramt ergattern.
... und die Wirtschaft?
Klimawandel, Digitalisierung, Bildung: War das wichtigste Thema der FDP nicht mal die Wirtschaft? Natürlich kenne sie die wirtschaftsliberale Position der FDP, sagt Madeleine Jansen. Die habe für sie aber eine untergeordnete Rolle gespielt.
Bei Frederik Kosanke würde man dagegen vermuten, dass er bei der Frage nach seiner Motivation zuerst Argumente aus der Wirtschaft anführt. Der 23-Jährige studiert Business Administration an der Frankfurt School of Finance and Management und sagt, er habe seit seiner Volljährigkeit FDP gewählt. Doch auch Kosanke fällt als Erstes die Bildungspolitik ein - "da hat die FDP mit die besten Ansätze". Ein elternunabhängiges BAföG fände er "cool und sinnvoll", bei der Digitalisierung gebe es dagegen "extrem viel nachzuholen". Auch die Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler sei kaum nachvollziehbar, wenn gleichzeitig die SPD-Fraktion bei ihrer konstituierenden Sitzung ohne Maske eng zusammenstehe - das gebe zumindest ein "komisches Bild" ab.
Die FDP hat bei der Bildungspolitik mit die besten Ansätze. Zitat von BA-Student Frederik KosankeZitat Ende
Auf die Wirtschaft geht Kosanke dann doch noch ein. Er habe Angst davor, dass die Unternehmen unter den CO2-Einsparungen leiden könnten, sagt er auf Nachfrage. "Ich finde es wichtig, dass es dem Land weiter gut geht, der Arbeitsmarkt funktioniert und Absolventen einen guten Job finden." Die Wirtschaft verursache zwar viele CO2-Emissionen, sei aber auch Lebensader. "Regularien sind da grundsätzlich hinderlich."
"Wo bleibt die Generationengerechtigkeit?"
Die Große Koalition habe sich in teurem und bürokratischem Mikromanagement verloren, findet auch Paul Wetzel. Er ist 21, studiert Wirtschaftsinformatik und arbeitet nebenbei für ein Start-up in Eschborn (Main-Taunus). An der FDP gefalle ihm am meisten, dass sie das Individuum vor die Gruppe stelle und auf finanzielle Nachhaltigkeit setze - etwa mit der Aktienrente. "Die anderen Parteien sind leider schwach und unkonkret bei der Frage, wie wir die Finanzierung der Sozialsysteme weiterhin gewährleisten, ohne uns Jüngeren immer größere finanzielle Belastungen aufzubürden." Wer als Privatanleger für das Alter spare, dürfe steuerlich nicht benachteiligt werden. "Ich frage mich: Wo ist da eigentlich die Generationengerechtigkeit?"
Wetzel ist selbst FDP-Mitglied und engagiert sich bei den Jungen Liberalen. Eingetreten sei er schon vor der Corona-Pandemie, auch wenn die ihn in seiner Entscheidung bestärkt haben dürfte: "Der Staat war während Corona mehr Verhinderer als Unterstützer", meint Wetzel. Ob die teure und langsame Beschaffung der Masken oder das "Impfdesaster" - die Regierungsparteien hätten viele Fehler begangen. Von der FDP, die in der Pandemie eine kritische Linie gefahren sei, erwarte er nun, dass sie sich für einen weiteren Abbau der Maßnahmen und das Ende der nationalen Notlage einsetze.
"Lindner begeistert mich"
Frederik Kosanke nennt noch einen weiteren Grund: Während die Kanzlerkandidaten von CDU und SPD bei den jungen Wählerinnen und Wählern auf wenig Sympathie stießen, wird FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner schon eher als Identifikationsfigur wahrgenommen - wenngleich das laut Infratest Dimap bei der Wahlentscheidung über alle Altersgruppen hinweg eher eine untergeordnete Rolle spielte. "Lindner als Person begeistert mich", sagt Kosanke. Und auch die hessische Spitzenkandidatin Bettina Stark-Watzinger habe ihn bei einer Podiumsdiskussion in der Uni überzeugt.
Alle fünf jungen Wählerinnen und Wähler finden, dass die FDP an der Regierung beteiligt sein sollte, und alle fünf wären einer Ampel-Koalition mit SPD und Grünen zumindest nicht abgeneigt. "Eine Ampel würde das kombinieren, was ich mag: die Freiheit bei der FDP, das Soziale bei Grünen und SPD", sagt Erstwähler Noa Mollin. "Die CDU hat deutlich verloren und damit auch keinen Regierungsauftrag", meint Wirtschaftsstudent Frederik Kosanke. "So viel Inkompetenz muss einfach bestraft werden", sagt Lehrerin Charlotte Stein.
Sendung: hr1, 4.09.2021, 6.38 Uhr
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