CDU/SPD-Regierung in Hessen Ein Jahr Schwarz-Rot - und zwei Bilanzen
Vor einem Jahr ging die erste CDU/SPD-Landesregierung Hessens an den Start. Ministerpräsident Rhein und sein Vize-Regierungschef Mansoori sprechen von einem vollen Erfolg. Die Wertung von Opposition und Umweltschützern fällt nicht so schmeichelhaft aus.
Am Samstag wird es ein Jahr her sein, dass CDU-Ministerpräsident Boris Rhein nach gewonnener Landtagswahl den Koalitionspartner tauschte. Seit 25 Jahren ist die CDU in Wiesbaden regierungsführend an der Macht, seit dem 18. Januar 2024 mit der SPD. Mit Sachsen und Berlin gibt es derzeit zwei weitere solcher schwarz-roter Koalitionen in Bundesländern. Es ist die erste dieser Art in Hessen.
Einen Tag vor dem Jubiläum zog Rhein am Freitag mit Vize-Regierungschef und Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) in der Staatskanzlei eine ungetrübte Leistungsbilanz in eigener Sache. "Es war eine gute Entscheidung für unser Land", sagte Rhein zu Wahl des neuen Partners. Den Ex-Partner, dem er nach zehn Jahren Schwarz-Grün den Laufpass gab, erwähnte er nicht.
Tenor der beiden Regierungsspitzen: Die versprochene christlich-soziale "Renaissance der Realpolitik", die sich den Alltagsproblemen der Menschen widme, sei geliefert worden. So hatten sie es schon bei ihrer 100-Tage-Bilanz gesagt.
Aus bitteren Gegnern wurden Freunde
Die Arbeit in der Koalition sei nicht nur konstruktiv, ja sogar freundschaftlich, sagte Rhein unter zustimmender Miene Mansooris. Als Belege dafür, dass die jahrzehntelang erbitterten Gegner CDU und SPD nun einen "Aufbruch für Hessen" gestalteten, verwies Rhein auf eine 60-Punkte-Liste mit abgearbeiteten Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag.
Unter anderem nannte der Regierungschef Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik. Dazu zählte er, dass Flüchtlinge nach einer Einigung von Bund und Ländern finanzielle Leistungen bargeldlos per Bezahlkarte erhalten. In Hessen begann die Ausgabe kurz vor Weihnachten. Asylbewerber mit geringer Aussicht auf ein Bleiberecht müssen dauerhaft in der Erstaufnahme bleiben, statt einer Stadt oder Gemeinde zugewiesen zu werden.
Rhein sieht Vertrauen zurückgewonnen
Vertrauen in die Politik hat die Koalition nach Ansicht Rheins auch durch stärkere Polizeipräsenz, die Aufnahme des Wolfs ins hessische Jagdrecht, Landeshilfen für Bauern, das Hessengeld für Erwerber einer ersten selbstgenutzten Wohnimmobilie und nicht zuletzt die Konsolidierung der Finanzen in schwierigen Zeiten wiederhergestellt.
Der teils scharf geführte Bundestagswahlkampf habe auf die Zusammenarbeit im Regierungsbündnis in Hessen keine Auswirkungen, sagte Rhein. Auch hier stimmte Mansoori zu.
Der SPD-Minister hob hervor, Hessen habe trotz knapperer Kassen das ÖPNV-Angebot bewahrt, während andere Bundesländer es reduzierten. Er kündigte zudem an, im laufenden Jahr werde der geplante Transformationsfonds "scharf gestellt". Über günstige Kredite sollen Wirtschaftsinvestitionen in Höhe von einer Milliarde Euro angestoßen werden.
Grüne beklagen "verlorenes Jahr"
Andere hielten weniger zufrieden Rückschau. So sprachen die oppositionellen Grünen von einem "verlorenen Jahr". "Stillstand, Rückschritte und Selbstbedienung" – das haben nach Meinung von Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner CDU und SPD in ihrem ersten Regierungsjahr "vollmundigen Versprechen" folgen lassen. "Und über allem schwebt als Ministerpräsident ein 'Barocker Boris', dem Schein wichtiger als Sein ist", ätzte Wagner.
Es fehle noch immer an Kitas mit passenden Öffnungszeiten. Für die Schulen sei der Koalition einzig die Einführung von Blockflötenunterricht eingefallen.
Im Umwelt- und Klimaschutz werde gekürzt, während man nach Parteibuch Beauftragtenposten vergeben und die Regierung aufgebläht habe. Das Einzige, was SPD-Wirtschaftsminister Mansoori zustande bekommen habe, ist laut Grünen-Politiker Wagner ein Untersuchungsausschuss wegen der umstrittenen Entlassung der Ex-Staatssekretärin Lamia Messari-Becker.
FDP wartet auf Vorschläge des "Schnüffelministers"
Eine "Koalition des Stillstands" sehen auch die beiden FDP-Fraktionsvorsitzenden Wiebke Knell und Stefan Naas am Werk. Dabei könne sich Hessen angesichts der Krisen und Probleme solche "Aufschieberitis sowie Ideen- und Ambitionslosigkeit" nicht leisten.
Mit Gender-Debatten und Blockflötenunterricht betreibe Kultusminister Armin Schwarz (CDU) Symbolpolitik, statt den Lehrermangel zu beheben, sagte Knell. Einen Kardinalfehler machte ihr Kollege Naas darin aus, der SPD das Wirtschafts- und Verkehrsressort überlassen zu haben. Grüne Politik in Straßenbau und ÖPNV habe Mansoori nicht korrigiert und auch kein einziges Gesetz für die Wirtschaft vorzuschlagen. Stattdessen widme sich der "Schnüffelminister" einer Diffamierungskampagne gegen seine Ex-Staatssekretärin.
AfD rüttelt an der Brandmauer
Aus anderen Gründen senkte die AfD den Daumen. Entgegen einer "lauten Selbstvermarkung" gehe die CDU-geführte Landesregierung die Probleme auch mit der SPD nicht wirklich an, sagte Fraktionschef Robert Lambrou. Einen Politikwechsel werde es so lange nicht geben, wie die Union mit linken Parteien und nicht mit der AfD koaliere. Letzteres hat die CDU kategorisch ausgeschlossen.
Statt wie angekündigt Bürokratie abzubauen, habe die Landesregierung mehr als 400 Mitarbeiter eingestellt, kritisierte Lambrou. Das Genderverbot sei wirkungslos, das Hessengeld lediglich ein "Hessentrinkgeld" und in der Migrationspolitik stehe eine "echte Kehrtwende“ aus. So sei die Bezahlkarte für Flüchtlinge anfällig für Missbrauch. Darüber hatte der Landtag Mitte Dezember auf Antrag der AfD eine kontroverse Debatte geführt.
Industrie- und Handelskammern sehen Weichen gestellt
Grundsätzlich positiv urteilte dagegen der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK), der nach eigenen Angaben über die einzelnen IHK-Kammern die Interessen von mehr als 400.000 Unternehmen vertritt. Die Regierung habe wichtige wirtschaftliche Weichen gestellt, sagte HIHK-Präsidentin Kirsten Schoder-Steinmüller. Als Beispiele nannte sie die Sonntagsöffnung für digitale Mini-Supermärkte und Vorschläge einer Expertenkommission, um Hürden bei Genehmigungen für den Wohnungsbau abzubauen.
"Aber es bleibt viel zu tun", mahnte Schoder-Steinmüller und verwies neben dem Bürokratieabbau und dem Ausbau der Energieinfrastruktur auf den Fachkräftemangel. Die Landesregierung solle "zügig die Bedingungen für die qualifizierte Zuwanderung verbessern".
BUND: Schwarz-grüne Errungenschaften abgewickelt
Gemischt sei die Bilanz der schwarz-roten Koalition, befand das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende Hessen. Ihm gehören Umwelt- und Sozialverbände wie der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) und der Paritätische Wohlfahrtsverband ebenso an wie Gewerkschaften oder der Fahrgastverband Pro Bahn. CDU und SPD hätten sich zwar bemüht, die Finanzierung zu verstetigen, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung. Für eine soziale und ökologische Verkehrswende müsse aber sehr viel mehr geschehen. Das gehe nur ohne Schuldenbremse.
In einer eigenen Stellungnahme zur Umweltpolitik kritisierte der BUND die Regierung scharf. Landeschef Jörg Nitsch sagte, CDU und SPD stünden "für eine Luftnummer beim Klimaschutz, für eine Blockade beim Ökolandbau und einen Waldschutz ohne Verbindlichkeit". Es sei erschreckend, wie viele Errungenschaften der schwarz-grünen Vorgängerregierung Schwarz-Rot bereits abgewickelt habe.