Containerstreit in Bensheim Wenn die Windel zum Politikum wird
Mit einem Sack voller Windeln zum Wertstoffhof und ab in die Tonne - 20 Jahre lang war das in Bensheim möglich. Die Stadt hat ihren Windelcontainer kürzlich aus Kostengründen abgeschafft. Das sorgt im politischen Bensheim für Diskussionen.
Rund 20 Jahre konnten die Bensheimer auf dem Gelände des Wertstoffhofs kostenlos volle Windeln entsorgen. Seit Jahresbeginn geht das nicht mehr. Denn die Stadt muss dringend sparen. Auf rund elf Millionen Euro beläuft sich im laufenden Jahr das Haushaltsdefizit nach Auskunft von Jürgen Kaltwasser, Fraktionschef der SPD, die in Bensheim als Koalitionspartner von CDU und FDP mitregiert.
"Irgendwo muss man mit der Konsolidierung anfangen", sagt Kaltwasser. Deswegen tauchten Ende letzten Jahres die 35.000 Euro, die der Container die Stadt im Jahr kostet, im Haushaltsentwurf gar nicht erst wieder auf. Die Idee dafür sei von der Stadtspitze gekommen, so der SPD-Politiker.
Man habe sich sehr genau angeschaut, wo man den Rotstift ansetzen könne, ergänzt Bürgermeisterin Christine Klein (SPD). Da man Pflichtaufgaben der Stadt nicht aus dem Haushalt nehmen könne, sei dies nur bei freiwilligen Leistungen wie eben dem Windelcontainer möglich gewesen.
Grünen sehen Belastung der Schwachen
Nach Ansicht der Grünen trifft diese Sparmaßnahme aber ausgerechnet sozial Schwache wie junge Eltern und Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen, die sogar noch größere Windeln hätten. Denn ohne die Container müssen die Windeln über den Hausmüll entsorgt werden. Die Folge: Die Tonnen sind schnell voll.
Dann werden zusätzliche Leerungen oder Extra-Säcke benötigt, die privat bezahlt werden müssen. Grünen-Fraktionschefin Doris Sterzelmaier sieht darin eine Belastung für junge Familien und Pflegende. "Deshalb wundern wir uns über das Verhalten ausgerechnet der SPD."
Alle Oppositionsparteien tragen Antrag mit
Die Grünen haben deshalb einen Antrag initiiert, mit dem der Magistrat beauftragt werden soll, die Container wieder aufstellen zu lassen und die Kosten dafür "an anderer Stelle des Haushaltes 2024 einzusparen". In einem Ersetzungsantrag haben sich die anderen Oppositionsfraktionen BfB, FWG und VuA der Forderung angeschlossen.
Neu ist sie nicht. Seit Bekanntwerden der Sparmaßnahme ist das Problem zu einem Politikum geworden - "Windelgate" made in Bensheim. Bereits im Dezember 2023 war ein entsprechender Antrag der BfB zum Wiederaufstellen der Container abgelehnt worden. Einen weiteren hatte die BfB wenige Wochen später zurückgezogen. Denn in die Sache war zwischenzeitlich etwas Bewegung gekommen.
Zweckverband verweist auf Rechtslage
Die Stadt hat nämlich gar kein Problem mit einem Windelcontainer. Allein, bezahlen will sie ihn nicht. Also kam der Gedanke auf, die Entsorgung aus den Gebühren des Zweckverbands Abfallwirtschaft des Kreises Bergstraße (ZAKB) zu finanzieren. Die Stadtverordnetenversammlung beschloss - diesmal einstimmig – an den ZAKB heranzutreten.
Inzwischen hat der ZAKB die Forderung aber mit Verweis auf die Rechtslage abgelehnt. Das Kommunalabgabengesetz untersage, eine aus Gebühren finanzierte Annahme von Abfällen aus sozialen Erwägungen im Bereich des Anschluss- und Benutzungszwangs anzubieten, erklärte der Verband am Mittwoch in bestem Juristen-Deutsch. Das habe eine Prüfung ergeben.
Heißt übersetzt: Da alle die Gebühren entrichten müssen, dürfen bestimmte Gruppen wie Familien mit kleinen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen nicht bevorzugt behandelt werden. Eine entsprechende Beschlussvorlage des Vorstands auf Zurückweisung der Forderung der Stadt sei daher angenommen worden.
Junge Union springt Grünen zur Seite
Damit liegt der Ball wieder bei der Stadt. "Ich hoffe auf Einsicht bei der Koalition", sagt Sterzelmaier, die sich wohl bewusst darüber ist, dass die Chancen auf Annahme des Antrags in einer Sitzung der Stadtverordnetenversammlung an diesem Donnerstagabend angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament verschwindend gering sind. Schützenhilfe lieferte im Vorfeld ausgerechnet die Junge Union in Bensheim.
Die Jugendorganisation hatte nämlich kürzlich ihrer Mutterpartei CDU und deren Koalitionspartnern die Leviten gelesen. Man habe Verständnis für die Sparzwänge der Stadt, erklärte die JU in einer Pressemitteilung. Es sei aber der falsche Weg, Eltern und Pflegende mit den Kosten allein zu lassen. "Besonders für junge Familien bedeuten die Mehrausgaben eine echte Belastung."
SPD: "Mütter haben Verständnis"
SPD-Fraktionschef Kaltwasser ist davon weniger überzeugt. "Ich habe selbst mit Müttern gesprochen", sagt er. Dabei sei er durchweg auf Verständnis gestoßen. "Gut, die eine oder andere Kritik gab es, das will ich schon einräumen." Einen "Aufschrei", etwa in den Sozialen Medien, habe er aber nicht wahrgenommen.
Kaltwasser merkt zudem an, dass der Container häufig auch von Auswärtigen genutzt worden sei, die ihre Windeln dort entsorgt hätten. Das wiederum kann sich Sterzelmaier nicht erklären. Schließlich arbeite auf dem Wertstoffhof bezahltes Personal, das die Berechtigung zur Müllentsorgung kontrollieren müsse.
Container in Heppenheim bleibt
Kostenlose Windelcontainer gibt es noch in einigen anderen Kommunen im Kreis Bergstraße, so etwa in Lampertheim, in Bürstadt, in Lorsch oder in Heppenheim. Dort sieht man das Thema entspannt, auch hinsichtlich der Kosten. "Sie liegen im Jahr bei 30.000 Euro", sagt eine Stadtsprecherin auf Anfrage. Der Container sei im Haushalt eingeplant und werde auch bestehen bleiben. Pläne für eine Abschaffung gebe es nicht.
Sollte der Antrag der Bensheimer Opposition wie erwartet scheitern, könnte das Thema zumindest in der Stadtverordnetenversammlung erst einmal für eine Weile vom Tisch sein. Denn eine Fraktion, so erklärt es Sterzelmaier, könne Anträge zur selben Sache nur einmal im Jahr einbringen. Für Gesprächsstoff dürften die Windeln in Bensheim aber noch lange sorgen.
Sendung: hr4, 21.3.2024, 6.30 Uhr
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